Psychologie und Partnerschaft: Eva-Maria Manz (ema)

Am 27. Oktober 1958 stirbt Gräser. Jetzt, wo sein Vorbild tot ist, stellt Hermann Müller sich zum ersten Mal die Frage: Muss ich selbst eine neue Hütte bauen, wenn einer vor mir schon eine prachtvolle errichtet hat? Ist es nicht eher meine Aufgabe, seine für die Nachwelt zu erhalten? Er will herausfinden, was vom Werk, den Gedichten Gusto Gräsers noch übrig ist. Müller geht zum Friedhof, spricht mit dem Pfarrer und erfährt: ein Teil des Nachlasses ist bei der Staatsbibliothek gelandet, ein anderer kam zu einer entfernten Verwandten Gusto Gräsers nach Stuttgart, die Hermann Müller später alle Sachen überlässt.

 

Aus kleinen Puzzleteilen setzt Müller das Leben von Gusto Gräser zusammen, schreibt alles, was in München in der Staatsbibliothek liegt, in den sechziger Jahren penibel ab. Hermann Müllers Faszination grenzt an Besessenheit, eine sture Bestimmtheit. Seit Jahrzehnten sammelt er, organisiert Ausstellungen, schreibt Bücher. Ohne ihn gäbe es heute sehr viel weniger Erinnerungen an Gusto Gräser und die frühen Hippies des Monte Verità. Ohne Hermann Müller hätte sich Gräsers Persönlichkeit nur noch in Hermann Hesses literarischen Figuren widergespiegelt: im „Demian“, im „Siddhartha“ oder im „Glasperlenspiel“. Hesse war Gusto Gräser am Monte Verità begegnet. Einige Tage lebte er in Gräsers Felshöhle, teilte mit ihm die Erfahrung der Einsiedlerschaft. Für Hesse wurde Gräser so etwas wie ein Guru.

Gräsers Ideen leben weiter

Hermann Müller erging es wie Hermann Hesse: Die kurze Begegnung mit dem Dichter, Maler, Naturfreund, Gesellschaftskritiker, Propheten und vagabundierenden Outsider hat ihn geprägt. Für die Arbeit an Gräsers Werken opfert Müller sein wildes Leben auf der Straße, zieht in ein Haus, wo er alles aufbewahren kann. Er schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch: als Lastwagenfahrer, Hauslehrer, Gärtner, ist auf die Unterstützung seiner Familie angewiesen. Zweimal ist er verheiratet, er hat fünf Kinder. Wenigstens ein Dach über dem Kopf und seine Liebe kann er ihnen geben. Anders als Gusto Gräser, der seine Familie in Ascona zurückgelassen hatte.

Hermann Müller sagt: „Aus Dichtung kann Wirklichkeit werden.“ Doch dazu muss sie erst einmal überliefert werden. Eine Lebensaufgabe. Als er in den siebziger Jahren zu einem Fest auf den Monte Verità eingeladen wird, sieht Hermann Müller Bhagwan-Anhänger und Hippies. Da merkt er : Gräsers Ideen leben weiter.