Im Streit um hoch verzinste Sparverträge hat erstmals eine Bausparkasse eine höherinstanzliche Niederlage hinnehmen müssen. Die Kündigung eines Vertrags von 1978 durch die Bausparkasse Wüstenrot ist laut OLG Stuttgart nicht rechtens gewesen.

Stuttgart - In der Prozesswelle um die Kündigung von Bausparverträgen hat das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) als erstes Berufungsgericht zu Gunsten einer Bausparkundin entschieden (Az.: 9 U 171/15). Die Bausparkasse Wüstenrot habe kein Recht, den Vertrag zu kündigen, so Richter Thomas Wetzel am Mittwoch in Stuttgart. „Der Vertrag ist fortzusetzen.“ Das Urteil in dem Berufungsverfahren war insofern eine Überraschung, als Wüstenrot in erster Instanz recht bekommen hatte. Dazu hatten andere OLG – etwa in Koblenz, Celle, Hamm und München – zu Gunsten der Bausparkassen entschieden. Diese Gerichte hatten nur schriftliche Beschlüsse gefasst, da ein mündliches Verfahren aus ihrer Sicht keine Aussicht auf Erfolg hatte. Wüstenrot, Deutschlands zweitgrößte Bausparkasse, hatte gekündigt, weil die Kundin das angesparte Geld seit 22 Jahren auf dem Konto liegen ließ und drei Prozent Zinsen erhielt, statt das Darlehen abzurufen.

 

Bausparkassen haben 200 000 Verträge gekündigt

Die Bausparkassen haben in Deutschland rund 200 000 reife Verträge gekündigt, weil sie angesichts von Marktzinsen nahe null die vor vielen Jahren vereinbarten hohen Zinsen nicht mehr zahlen wollen. Es gibt inzwischen etwa 200 Urteile. In 90 Prozent der Fälle bekamen die Bausparkassen recht, nur in zehn Prozent setzten sich die Verbraucher durch – das zumindest gibt der Verband der Privaten Bausparkassen an. Doch die Lage ist unübersichtlich, zentral erfasste Daten einer objektiven Stelle gibt es nicht. Verbraucherschützer weisen darauf hin, dass eine solche Statistik die Zahl der Vergleiche und somit De-facto-Niederlagen für Bausparkassen nicht enthalte. In den fünf Fällen, die bisher bei Oberlandesgerichten gelandet waren, hatten die Sparer jeweils den Kürzeren gezogen. Am OLG Celle beispielsweise wurde entschieden, dass das Kündigungsrecht der Bausparkassen legitim ist.

Der nun vor dem OLG Stuttgart verhandelte strittige Bausparvertrag war seit 1993 zuteilungsreif, die Sparerin hätte also ein Darlehen in Anspruch nehmen können, was sie nicht tat. In dem Fall ging es um eine Bausparsumme von 40 000 D-Mark (etwa 20 500 Euro), von denen die Sparerin 15 000 Euro als Guthaben einzahlte, dann aber mit den Einzahlungen aufhörte. Der Richter bemängelte, dass die Kasse der Sparerin nicht längst gekündigt habe, als die Einzahlungen aufgehört hatten. Dadurch habe es das Geldinstitut zugelassen, dass der Vertrag ruhe. Da es das getan habe, könne sich die Bausparkasse nicht später auf ein gesetzliches Kündigungsrecht berufen, so der Richter.

Wüstenrot beruft sich auf gesetzliches Kündigungsrecht

Wüstenrot hatte argumentiert, der Vertrag sei mehr als zehn Jahre nach der Zuteilungsreife kündbar. Aus Sicht des Instituts und anderer Bausparkassen findet durch den Verzicht auf das Darlehen eine Zweckentfremdung des Bausparvertrags zur reinen Kapitalanlage statt. Sie berufen sich auf den Paragrafen 489 im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), demzufolge Darlehensnehmer zehn Jahre nach vollständigem Empfang einer Leistung kündigen dürfen. In der Sparphase sehen sich die Finanzinstitute als Darlehensnehmer, da sie ja Geld der Sparer bekommen und hierfür Zinsen zahlen. „Wir teilen diese Auffassung nicht“, sagte Richter Wetzel. Die Bausparerin müsse auch weiterhin die Möglichkeit haben, das Darlehen in Anspruch zu nehmen, auch wenn sich das derzeit bei einem Zins von fünf Prozent nicht rechne. Die Zehnjahresfrist greife erst, sobald das Darlehen vollständig zugeteilt sei. Auch das gesetzliche Kündigungsrecht, auf das sich Wüstenrot berief, gelte nicht. Das wäre nur der Fall gewesen, wenn die Bausparkasse die Sparerin aufgefordert hätte, weiter Beiträge zu zahlen, und diese der Forderung nicht nachgekommen wäre.

Institute halten Kündigungen weiter für rechtmäßig

Auch aus Sicht von Verbraucherschützern und Bausparern greift der Paragraf 489 nicht. „Der Paragraf wurde zum Schutz von Verbrauchern gegenüber Banken eingeführt und nicht umgekehrt“, sagt Anwalt Thomas Basten, der sich 2015 in einem Verfahren vor dem Landgericht Stuttgart gegen die Bausparkasse Wüstenrot durchsetzen konnte. Und selbst wenn sich ein Institut darauf berufen dürfte, so wäre der Paragraf nicht anwendbar, sagt Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Denn nur weil ein Vertrag seit zehn Jahren zuteilungsreif sei, sei damit nicht die vollständige Leistung empfangen worden, also die gesamte Auszahlung des Darlehens – schließlich gingen die Einzahlungen der Sparer ja weiter, das Darlehen wachse an. „Der Zeitpunkt der Zuteilung ist irrelevant“, so Nauhauser. Anwalt Basten sagt zudem, die Bausparkassen begründeten ihre Kündigung auch mit der Annahme, die Sparer wollten das Darlehen gar nicht mehr in Anspruch nehmen. „Vielleicht wollen Sparer das in Zukunft ja doch machen, das ist also Spekulation.“

Ein Sprecher der Privaten Bausparkassen sagte, man halte an der Auffassung fest, dass die Kündigungen grundsätzlich rechtmäßig seien. Der Anwalt der Klägerin, Filippo Siciliano, bezeichnete das Urteil als absolut richtig. Wüstenrot werde nun eine Revision gegen das Urteil vor dem Bundesgerichtshof prüfen, erklärte deren Anwalt Herve Edelmann. Davon geht das OLG Stuttgart fest aus. „Entschieden werden muss es vom BGH“, sagte Richter Wetzel. Mit einem öffentlichen Urteil anstelle eines schriftlichen Beschlusses wolle er den Weg zum obersten deutschen Gericht ebnen. Es gehe schließlich um Millionen Spargelder, sagte Wetzel.