Gute-Nacht-Geschichte aus der Jakob-Stube Über Sabotage, Travestie und die Kippen-Polizei

Die Jakob-Stuben-Mitarbeiter:innen Kerstin Sturm, Ricky Buluga und Heinrich Huth (v. l. n. r.). Foto: /Petra Xayaphoum

In die Stuttgarter Jakob-Stube im Leonhardsviertel hat es fast jede:n schon einmal verschlagen. Seit 23 Jahren schenkt Heinrich in der Kiezkneipe Bier aus und kümmert sich um Tages- und Nachtgestalten. Wir haben ihm seine besten Storys entlockt.

Stadtkind: Petra Xayaphoum (px)

Seit 23 Jahren arbeitet Heinrich-Hermann Huth schon in der Jakob-Stube im Leonhardsviertel. Jung wie alt, männlich wie weiblich wie divers, Ur-Stuttgarter:innen wie Nei’gschmeckte, Partytiere wie Feierabendbiertrinker:innen haben hier in der Jakobstraße 6 in Stuttgart-Mitte ihr zweites Wohnzimmer gefunden. Mit ihnen hat Heinrich schon das eine oder andere durchgemacht, auch einige Nächte, und ihnen gelauscht, wenn sie ihm morgens um vier bei einem Schnaps ihr Herz ausgeschüttet haben. Die Kneipe als Institution und Treffpunkt für alle liegt dem Barmann daher sehr am Herzen. „Eine Kneipe wie unsere ist wichtig für das Viertel und die Nachbarschaft“, beteuert er. „In der Jakob-Stube legen wir nämlich viel Wert darauf, den verschiedensten Menschen eine Begegnungsstätte zu bieten, in der jede und jeder so respektiert wird, wie er oder sie ist.“ Am Tresen kommt man zusammen, am Tresen sind alle Gäst:innen gleich.

 

Als wir Heinrich in seinem zweiten Wohnzimmer auf ein paar Kippen und ‘ne Cola besuchen, hat er ein Schreiben vorbereitet, das er gerne verlesen würde. „Auf solche Termine komme ich gerne lieber vorbereitet“, sagt er und zieht einen Zettel aus der Hosentasche. Seine letzten Begegnungen mit der Presse hat er in semi-guter Erinnerung. „Es wird häufig nur über uns, statt mit uns gesprochen“, sagt er und meint damit die Bewohner:innen des Leonhardsviertels. „Und wenn, dann wollen die Leute nur über das Rotlicht berichten“, schildert der Barmann, der vor mehr als zwei Jahrzehnten aus Heidelberg in den Kessel übergesiedelt ist. „Das haben sie mich damals auch spüren lassen“, erinnert sich Heinrich, „dass ich nicht dazugehöre und nicht einer von ihnen bin. Nach drei Monaten war ich soweit, dass ich aufhören wollte.“

Kein leichter Start in Stuttgart

Hat er aber nicht, sondern entfaltet nun, 23 Jahre später, eine Din-A4-Seite, auf die er – säuberlich in Abschnitte unterteilt – ein Plädoyer für das Nachtleben und die Kneipe geschrieben hat. „Gastronomie bedeutet Magenkunde und Liebe geht durch den Magen! Tatsächlich kümmern sich aber die Mitarbeiter:innen der Gastronomie mit ihrer harten Arbeit dabei nicht nur um das leibliche Wohl ihrer Gäste, sondern auch um das seelische“, hört man ihn vorlesen. Dass er seinen unausgesprochenen Nebenjob als Hobbytherapeut am Zapf sehr ernst nimmt, merkt man ihm an.

Gin-Tonic heilt keine Wunden

Die voranschreitende Gentrifizierung des Leonhardsviertels beobachtet Heinrich daher mit ein wenig Argwohn. „Ich habe nichts gegen die vielen neuen, hippen Bars“, erklärt er, „sie haben allerdings meistens nur am Wochenende geöffnet.“ Das lockt zwar freitags und samstags viel Feierpublikum an und verschafft dem Viertel einen anziehenden Glanz nach außen; die Bewohner:innen des Viertels selbst, die gerne auch einfach mal dienstags nach der Arbeit entspannt ein Bierchen trinken und dabei mit Frau Maier von gegenüber ein Schwätzchen halten würde, haben aber nicht viel davon. Der Kitt, der ein Viertel zusammenhält, wird in Kiezkneipen wie der Jakob-Stube gebraut. Und zwar nicht aus Limoncello Spritz, soviel ist klar.

Und weil sich immer mehr gespannte Leute zu uns gesellen – darunter auch Papierkünstler und aktueller Hannes-Burgdorf-Preisträger Clemens Schneider, der im Leonhardsviertel sein Atelier hat, sowie seine Frau Rashida – gerät Heinrich dann doch noch ins Erzählen. Seinem eigenen Vorsatz zum Trotze, den er sich schwarz auf weiß auf seinen Zettel geschrieben hat: „Ich soll eine Gutenachtgeschichte aus der Jakob-Stube erzählen. […] Geschichten könnte man da erzählen. Jede Nacht entstehen neue, aber es gibt ja auch ein Aussage-Verweigerungsrecht für Mitarbeiter:innen der Gastronomie deines Vertrauens.“ Nun, zum Glück hat er davon nicht Gebrauch gemacht.

Sabotage auf der Micro-Bühne

Die erste Geschichte, die Heinrich in den Kopf schießt, betrifft eine lange zurückliegende Lesung des Stuttgarter „Schräggastro-Führers“. Darin hatte das Stuttgartmagazin Lift seine besten Schräggastro-Kolumnen gesammelt und veranstaltete zum Release eine Lesetour durch verschiedene Stuttgarter Schräggastro-Kneipen. Erster Halt: Jakob-Stube. Denn – Fun-Fact am Rande – in der Jakob-Stube gibt es trotz des eh schon beengten Raumes eine Mini-Bühne, die dem verstorbenen Schauspieler, Theatermacher und Jakob-Stuben-Stammgast Günther Brombacher zu verdanken ist. Der wollte ursprünglich darauf ein Ein-Mann-Stück performen, verstarb aber vorher.

Die Bühne aber blieb der Kneipe erhalten und diente fortan unter anderem jener Szene als Plattform: „Ich fand diese Schräggastro-Kolumnen immer ein bisschen von oben herab geschrieben“, erzählt Heinrich. „Und so habe ich an dem Abend dem vorlesenden Chef-Redakteur ständig dazwischengerufen, wie doof ich das finde.“ Ob mit reingespielt hat, dass die Jakob-Stube von der Redaktion zuvor auf Platz 1 der Absturz-Kneipen in Stuttgart gehievt worden war? „Nein, das ist wiederum das größte Kompliment, das man uns hätte machen können“, schmunzelt der Störenfried.

Einen Keil zwischen den Verlag und die Kneipe hat das alles aber nicht getrieben. Die Jahre darauf nahm die Kneipe erfolgreich an der vom Verlag organisierten Stuttgartnacht teil, bei der sich auch die folgenden Storys ereignen sollten.

Travestie Extreme

„Als wir zum ersten Mal an der Stuttgartnacht teilgenommen haben, hatten wir das Ganze etwas unterschätzt gehabt“, erinnert sich Heinrich. Während des ganzen Abends, an dem zahlreiche Nachtschwärmer:innen von Location zu Location tingelten, um möglichst viel Action, Stücke und Bühnenperformances zu sehen, hatte die Kneipe nur zwei Travestie-Shows eingebucht. „Zu wenig“, lautete das Fazit. Die Leute wollen ja richtig was zu gucken haben.

Das Jahr darauf meinte man es dann folgerichtig extra gut: „Wir hatten fünf Travestie-Künstlerinnen abwechselnd mit je zwei Performances eingeplant – das heißt, sie mussten sich alle für die jeweilige Performance bei uns im kleinen Lagerraum umziehen und schminken“, erzählt der Jakob-Stuben-Mitarbeiter. Chaos vorprogrammiert. „An jenem Abend war es auch noch so kalt, dass wir in den eh schon kleinen Raum einen extra Heizkörper reinstellen mussten.“ Wo währenddessen die Getränke gelagert wurden? „Die haben wir in zwei Kühlschränke gepackt und flaschenweise aus dem Flur raus verkauft“, lacht Heinrich. „Aber pssst.“

Und weil aller guten Dinge drei sind, war dann bei der dritten Stuttgartnacht alles richtig: „Da hatten wir den Dreh dann raus und einen Travestie-Showblock von 25 Minuten eingeplant, der sich die Nacht lang wiederholt hat, während die Zuschauer:innen in Gruppen ein- und ausgeschleust wurden.“ Die Jakob-Stube verzeichnete die Rekordsumme von 600 Gäst:innen an einem Abend. „Die Menschen standen Schlange bis zum Brunnenwirt!“, staunt Heinrich jetzt, Jahre später, immer noch.

Tohuwabohu um ein kleines Schild

Als sich die nächste Geschichte ereignete, wusste Heinrich noch nicht, welchen Rattenschwanz sie hinter sich her ziehen würde. „Eines Tages schlug ein Professor in der Kneipe auf. ‚Wissen Sie eigentlich, wo Sie hier stehen?!‘, hat er gefragt.“ Es stellte sich heraus, dass die Jakob-Stube das Geburtshaus von Balthasar Friedrich Wilhelm Zimmermann ist. Sein Versuch, die Straße nach dem Stuttgarter Politiker, Historiker und Theologe zu benennen, war gescheitert, doch wenigstens eine Gedenktafel wollte der Professor an dem Haus angebracht sehen und fand in Heinrich einen Mitstreiter. „Das Haus gehört der Stadt, da dürfte es doch nicht schwer sein, eine solche Gedenktafel für diesen Mann anbringen zu lassen, dachte ich.“

Am Ende kostete es ihn zahlreiche Nerven und Briefverkehr, etwa mit dem Bezirksbeirat, dem Ministerium, dem Heimatverein und (erst mal) 270 Euro. „Ich habe am Ende das Schild selbst bezahlt“, sagt Heinrich, aus der öffentlichen Kasse gab’s nämlich nichts, trotz flammender Joe-Bauer-Kolumne. „Als die Gedenktafel mit Presse und Gäst:innen dann feierlich enthüllt wurde, habe ich die Tür zugesperrt und gesagt: ‚Bevor die 270 Euro nicht wieder reingetrunken wurden, geht hier keiner raus!‘ – Eine halbe Stunde hat’s gedauert“, lacht Heinrich. Summe summarum ist die Gedanktafel Zimmermanns also von den Bürger:innen dieser Stadt bezahlt worden. Der Geburtstag von Wilhelm Zimmermann wird übrigens seitdem jährlich am 2. Januar in der Kneipe gefeiert.

Der Vorzeige-Polizist und die Zigaretten

Hängengeblieben ist in seinen Erinnerungen auch die Zeit, als ein ausnahmsloses Rauchverbot in Kneipen verhängt wurde. Auch in der Jakob-Stube, in der seit jeher geraucht werden darf und in der die Gäst:innen den Teufel tun würden, sich das Rauchen verbieten zu lassen. „Die Wirt:innen durften das Rauchen zwar nicht fördern, also etwa Aschenbecher auslegen“, erinnert sich der langjährige Jakob-Stuben-Mitarbeiter, „aber aktiv verantwortlich für die Umsetzung des Gesetzes war man auch nicht.“ Wo kein Kläger, da kein Richter! Nachdem Heinrich also heimlich an alle Gäst:innen Taschenaschenbecher verteilt hatte, hängte er fleißig Rauchverbots-Schilder auf und ließ dem Leben seinen Lauf.

„Keine:r der Polizeibeamt:innen war da päpstlicher als der Papst. Dass die Besseres zu tun hatten, als in Kneipen Raucher:innen zu verwarnen, kann man sich ja denken.“ Dumm nur, dass ein ganz bestimmter Polizist Heinrich und die Jakob-Stube auf dem qualmenden Kieker hatte. Nach dessen erstem unangenehmen Besuch nahm der Barmann eine kleine Änderung an der Tür vor: „Ich hatte an der Türe eine Klingel und einen elektrischen Türöffner installiert, sodass er nicht einfach in den Laden stürmen konnte, sondern die Gäst:innen Zeit hatten, ihre Kippen auszumachen, wenn ich ihn vor der Tür erspäht habe.“

Die daraus entstandenen Geschichten könnten sich Satiriker:innen nicht besser ausdenken: Eines Tages rannte Heinrich die Straße vom Brunnenwirt aus mitsamt Essen hoch, nachdem er die Silhouette des besagten Polizisten vor der Jakob-Stube auf Kontrolle gesehen hatte, um die rauchenden Gäst:innen vor seinem Besuch zu warnen. An einem anderen Abend wiederum hatte der Polizist sich einen ausgefuchsten Plan ausgedacht, um unangekündigt in die Stube zu kommen: Er bat einen wildfremden Passanten, für ihn zu klingeln, während er sich um die Ecke versteckte, um dann im richtigen Moment aus seinem Versteck herauszuspringen und sich durch den Türspalt in die Kneipe quetschen zu können (was ihm nicht gelang). Und noch anderes Mal musste Heinrich eine geschlossene Gesellschaft, die den Geburtstag eines Toten feierte, erfinden, um den aufdringlichen Polizeibeamten nicht zu den Rauchenden einlassen zu müssen.

Wer noch mehr Geschichten aus den vergangenen 23 Jahren Jakob-Stube hören möchte, muss nur zwischen Montag und Samstag auf ein Bier in der Kiezkneipe vorbeischauen. Zu erzählen hat Heinrich nämlich reichlich. Gut möglich, dass es dann aber zwei oder drei Bier werden.

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