Hawaii, Kalifornien, Brasilien, Peru, Ecuador, Kolumbien – Andrej Kluge ist schon viel gereist. Seine Homebase hat der gebürtige Stuttgarter aber in der Mutterstadt, im Lehmann Club. Warum es Zuhause noch immer am schönsten ist, verrät er in unserer Gute-Nacht-Geschichte.

Stadtkind: Laura Müller-Sixer (six)

Stuttgart - Ja, man könnte Andrej schon eher als spontanen Menschen bezeichnen. Immerhin „arbeitete“ er auf seinen Reisen bereits als mehr oder weniger professioneller Fotograf, zog mit Straßenkünstlern die Küste entlang, verkaufte selbstgeknüpfte Armbänder und kaufte in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá für umgerechnet 100 Euro eine Bar. Kurzgefasst: Das, was man eben in der Jugend so macht.

 

Ähnlich glücklich meinte es der Zufall mit Andrej und dem Lehmann Club. Es war eine dieser typischen Nächte, in der man leichtfertig feiern geht und im Morgengrauen die Party dann leicht fertig wieder verlässt – nur leider ohne Haustürschlüssel. Was danach passiert ist Geschichte: Die gute Seele des Hauses Siggi wurde kontaktiert, es kam zur Schlüsselübergabe und nach dem wohl kürzesten Vorstellungsgespräch der Welt war der „Hippie-Typ mit den Dreads“ sozusagen eingestellt.

Bitte, Danke

Das Witzige war ja, dass diese ganze Geschichte in der Silvesternacht passiert ist, als ich gerade wieder frisch in Deutschland angekommen bin. Eine Woche später wurde ich dann super lieb im Club aufgenommen und habe erstmal als Abräumer angefangen, was ein ziemlich harter Job ist, weil du auf dem Boden rumkriechst, Gläser aufsammelst und so gut wie nie ein „Bitte“ und „Danke“ hörst. Aber das könnten Menschen eh öfters sagen. Ich stehe jetzt ja hinter der Bar, aber die kleinen Gesten der Wertschätzung, egal welchen Job du ausübst, machen die Arbeit dann noch viel schöner und pushen dich.

That’s the spirit

Ich habe mein Herz ziemlich schnell an das Lehmann verloren, weil so viel Liebe in allem steckt. Hier gilt nicht nur: „There is a Home for Techno“ - diese Leute sind auch meine zweite Familie geworden. Allein die Story, wie alle mit angepackt haben, nachdem der Club Prag 2009 geschlossen wurde, um sozusagen aus Schutt und Asche die neue Lehmann-Location aufzubauen. Dieser besondere Spirit ist für jeden spürbar. Zusammenhalt und Loyalität spielen hier eine echt große Rolle. Es ist ganz einfach: Wenn du dich anstrengst und zeigst, dass du gewillt bist was zu reißen, dann wirst du immer etwas zurückkriegen, egal ob von deinen Kollegen oder dem Typen und dem Mädel vor der Bar.

„Haben die eigentlich Spaß?“

Es ist schön zu sehen, dass das Leben von jedem einzelnen Mitarbeiter weiterläuft und es trotzdem irgendwann alle wieder zurück in den Club zieht. Keine Ahnung, nehmen wir an, du warst jetzt drei Jahre in Berlin und bist wieder in Stuttgart - der Club erwartet dich immer mit offenen Türen. Und das gilt ebenso für die Besucher. Wir haben zum Beispiel ein Stammgast-Pärchen von außerhalb, die den ganzen Abend lang an der gleichen Stelle sitzen. Man könnte sich fragen: „Hey, haben die eigentlich Spaß?“ Ja klar, haben sie den, denn das ist genau dieses Zuhause-Gefühl, was ich meine. Sie sitzen halt in ihrem „Wohnzimmer“ und genießen den Abend mit ihren Leuten. So soll es sein.

Stolz wie Mutti

Im März haben wir unser siebenjähriges Bestehen gefeiert. Ey, wir waren alle so aufgeregt! Immerhin hatten wir Headliner wie Green Velvet im Haus. Ohne Spaß, ich bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke wie Raphael Dincsoy, einer unser Resident-Djs, Back-to-Back mit Green Velvet gespielt hat. Wir waren alle richtig auf stolz auf ihn und haben dann auch mal kurz unsere Arbeit liegengelassen, um mit den Gästen vor dem DJ-Pult in der ersten Reihe zu feiern –  das war so ein geiler Moment! Da kam auch kein Chef aus dem Büro gestürmt und hat Stress gemacht. Ich könnte hier jetzt stundenlang weiterreden und tausend schöne Erinnerungen nennen, aber was mich jedes Mal wieder aufs Neue fasziniert, ist der Moment, wenn die Türen kurz nach 23 Uhr aufgehen und die Leute schon schreiend und tanzend in den Club reinstürmen. Die haben richtig Bock auf die Nacht. Eine bessere Motivation gibt es fast gar nicht.

Die geilsten Gäste der Welt

Ich finde es schon immer witzig, wenn jemand wegen 10 Cent Wechselgeld übertrieben genervt an der Bar steht und es nicht schnell genug gehen kann. Wer in der Gastro arbeitet, der weiß, dass es nicht schaden kann auch mal aufzurunden. Auch wenn dann so Fragen kommen wie: „Öh, was? 7,50 fürn Longdrink?“ Einmal war es echt krass, da wurde mir der Geldschein wortlos entgegengeschmissen, das fand ich wirklich unverschämt. Aber das kommt so selten vor. Vielleicht, weil wir einfach die geilsten Gäste der Welt haben. Wir kennen viele so gut, dass wir eher ein Mix aus Seelsorger, Motivator, Kotztüte und (manchmal) Trinkpartner sind.

There is a future for Techno

Ich glaube, jeder kennt diese „Früher war alles besser“-Floskeln. Mit denen wurden wir auch schon konfrontiert, weil das Prag halt ein dreckiger, kleiner Schuppen war. Das ist der Lehmann Club ja auch noch. Aber es hat sich in den vergangenen Jahren echt viel getan, auch qualitativ. Unsere Resident-Jungs Rapha, Hours, Steffen, Chris Hirose, Simo Lorenz, ZEC oder Lukas Stern sind gut unterwegs und der Background ist größer geworden. Allein wenn man mal das Line-Up betrachtet, zum Beispiel Ben Klock, der am 20. August bei uns ist. Aber das ist doch schön, oder? In Stuttgart bekommt man viel geboten. Es ist vielleicht nicht Berlin, aber hier vereinen sich die Vorzüge von Dorf und Großstadt. Deshalb arbeiten wir neben dem Club auch in unserer Agentur Lehmann an Festivals, Bookings und neuen Konzepten. Ich kann nur so viel verraten: Es wird noch spannend in diesem Jahr. Ab September holen wir auch die gute alte Sonntags-Afterhour wieder in das Lehmann zurück. Vielleicht sieht man sich da mal!