Die meisten Schüler stehen mit Mathe auf Kriegsfuß. Das Wirtemberg-Gymnasium in Untertürkheim setzt mit neuen Übungsformaten und Frühkursen dagegen. „So kann man vermeiden, dass eine Mathearbeit richtig in den Teich geht“, sagt Mathelehrer Dietrich Ottenhaus.

Stuttgart - Wie schafft man es, G8-Gymnasiasten zu Mathefreunden zu machen? An dieser Frage tüfteln viele Schulen. Das Thema rückt auch aufgrund des Fachkräftemangels in Mint-Berufen und der Klagen vieler Hochschulen über matheunfähige Studierende immer stärker in den Vordergrund. „Bei vielen Schülern geht die Motivation für Mathe verloren“, berichtet Stephan Hepperle, Mathelehrer am Wirtemberg-Gymnasium in Stuttgart-Untertürkheim. Das will die Schule ändern. Mit einem mehrstufigen Konzept versucht man dort, diese Entwicklung zu korrigieren. „Wir wollen Mathe aus der Ecke des Nichtzugänglichen, des Mysthischen, herausholen“, sagt Schulleiter Martin Bizer.

 

Zunächst geht es allerdings darum, zu verhindern, dass die klassischen Mathelücken überhaupt entstehen. „In Klasse fünf ist die Motivation in der Regel noch sehr gut“, sagt Dietrich Ottenhaus, der am Wirtemberg-Gymnasium Physik, Mathe und den neuen Fächerverbund IMP (Informatik, Mathe, Physik) unterrichtet. Doch im Zuge der Pubertät und durch die geringere Zeit zum Üben im G8 lasse das leider oft nach. Hinzu kommt: „Wir haben nicht mehr ganz so leistungsstarke Schüler“, berichtet Tanja Dörfner, Abteilungsleiterin Mint und Mathe in der Oberstufe. Die Schüler seien gewohnt, sich schnell mal Infos aus dem Internet zu holen, „aber viele gehen nicht mehr in die Tiefe“. Dazu komme eine veränderte Einstellung: „Es macht Schülern nicht mehr soviel aus, etwas nicht zu wissen“, sagt die Mathelehrerin. Dies könnte sich allerdings schon bald ändern. Denn vom Abi 2021 an führen null Punkte in einem Fach zum Nichtbestehen des Abiturs.

Online-basiertes Lernprogramm hilft Schülern beim Rechnen

Damit die Lücken nicht wachsen, bekommen die Untertürkheimer Schüler für jede Klassenstufe einen Kompetenzkatalog – eine Art komprimiertes Nachschlagewerk. Darin finden sich wesentliche Beispielaufgaben samt gut verständlicher Lösungswege. Zudem nutzen seit einem Jahr rund 300 Schüler von der fünften bis zur zehnten Klasse das Lernprogramm Compulearn. Das hat Ottenhaus gemeinsam mit seinem Sohn entwickelt. Es ist ein cloudbasiertes Programm mit 4000 Übungen zu Bruch-, Prozent-, Potenzrechnung, linearen Gleichungen und was sonst ansteht. „Die absoluten Basics, die man braucht“, sagt Ottenhaus. Vorteil für die Schüler: sie erhalten sofort Rückmeldung vom System, ob sie richtig oder falsch gerechnet haben – samt dem richtigen Lösungsweg. Vorteil für den Lehrer: „Er sieht sofort, wo die Klasse noch Defizite hat – und kann nachsteuern“, so Ottenhaus. „So kann man vermeiden, dass eine Mathearbeit richtig in den Teich geht.“ Ganz konkret: „Wenn in Klasse acht die Bruchrechnung noch nicht sitzt, kann der Lehrer den Schülern spezifische Aufgaben über das Programm geben.“

Doch es geht auch klassisch. Fatima Masovic ist Ganztagsschülerin und nutzt mittags die Hausaufgabenbetreuung durch ältere Schüler. „Ich üb’ das für mich selber“, sagt die Fünftklässlerin: 400 mal drei, oder 1200 mal 3000, und Textaufgaben mit Kilo und Gramm und Euro. „Wenn man Fragen hat, dann helfen die uns“, sagt Fatima – „und dann versteht man auch alles besser“. Von Klasse neun an ersetzen Pool- und Differenzierungsstunden die Hausaufgabenbetreuung, in der Kursstufe werden Förder- und Vertiefungskurse angeboten.

Um 6.55 Uhr pauken Kursstufenschüler Wahrscheinlichkeitsrechnung – fast freiwillig

Hart zur Sache geht es bei der Abivorbereitung. Die beginnt montags um 6.55 Uhr – „in der nullten Stunde“, wie Bizer das nennt. 20 Teilnehmer gönnen sich das. „Wir kriegen Kaffee“, erzählt Luka Orlandini. Der 17-Jährige paukt zu dieser frühen Stunde Wahrscheinlichkeitsrechnung. Freiwillig? „Ein bisschen Druck war dabei“, räumt er ein. „Es bringt schon was“, ergänzt seine Mitschülerin Jule Jörg – „das ist im Pflichtteil Mathe voll gut, um Punkte zu sammeln“. Eine weitere Mitschülerin meint: „Mathe hat noch nie Spaß gemacht – man hat da keinen Bezug zum Alltag.“

Das sehen die Fünftklässler Mehmet Elgümüs und Andreas Wüllner ganz anders. „Mir macht es Spaß nachzudenken und zu knobeln“, sagt Andreas über Textaufgaben. „Mathe und Sport sind meine Lieblingsfächer.“ Mehmet geht es genau so: „Ich find’s schön, meinen Kopf anzustrengen; wenn ich eine Aufgabe gelöst habe, bin ich glücklich.“ Beide haben an der Mathe-Olympiade teilgenommen. „Wir wollen dadurch erreichen, dass die Begeisterung für Mathe größer wird“, sagt Dörfner. Die Achtklässlerin Chiara Jurkovic hat schon bei „Jugend forscht“ mitgemacht und entwirft Parkettierungsmuster aus Quadraten und Dreiecken. „Ich bin wissensdurstig“, sagt sie, „mich interessiert, wieso Computer nur mit Nullen und Einsen funktionieren – und wie man Farben programmiert.“

Wirtemberg-Gymnasium arbeitet mit Hochschulen zusammen

Zusatzfutter erhalten leistungsstarke Schüler auch in der Informatik-AG. Mit Unterstützung von zwei Studierenden /

der Uni Stuttgart und der Hochschule Esslingen lernen die Gymnasiasten Programmieren. Um die Lerninhalte der Schule besser mit den Erwartungen der Hochschulen zu verknüpfen, nimmt das Wirtemberg-Gymnasium wie das Königin-Katharina-Stift an der Kooperation Schule-Hochschule (Cosh) teil, der auch die Hochschule für Technik in Stuttgart sowie die Hochschule Esslingen angehören. Durch die Zusammenarbeit wollen sie den Übergang Schule-Hochschule erleichtern, auch wenn das durch den Bildungsplan schwierig ist. Professoren monieren, dass Lehrer nicht ausreichend wissen, was an der Uni gefordert wird. Tanja Dörfner korrigiert: „Wenn das nicht im Lehrplan steht, können die Professoren das nicht erwarten.“