Haaga-Schokoladen in Esslingen Am Donnerstag ist Schluss – Süße Erinnerungen an das Schoko-Paradies

Marianne Haaga (links) und ihr Team bereiten sich auf den letzten Öffnungstag ihres Süßwarengeschäfts vor. Foto: Roberto Bulgrin

Das Esslinger Traditionsgeschäft Haaga hat nur noch an diesem Donnerstag, 16. Januar, geöffnet – dann endet eine 111-jährige Tradition. Viele weinen dem Süßwarenladen mehr als nur eine Träne nach. Drei Esslinger erinnern sich an ihre Erlebnisse mit Haaga.

Das Ende kam rascher als erwartet: An diesem Donnerstag öffnet Haaga-Schokoladen zum letzten Mal, dann endet eine 111-jährige Tradition. Kaum hatte unsere Zeitung vermeldet, dass sich Siegfried Haaga, der Enkel des Firmengründers, zur Geschäftsaufgabe entschlossen hatte, da stand die Kundschaft auch schon Schlange.

 

„Solch einen Andrang habe ich noch nie erlebt“, staunt der 84-Jährige. Unzählige Kunden wollten sich noch rasch mit ihren Lieblingssüßigkeiten eindecken. Vor allem aber bedeutete das Süßwarengeschäft in der Pliensau für viele ein Stück ihrer Biografie. „Um unsere Kundinnen und Kunden tut’s mir unglaublich leid“, betonen Siegfried Haaga und seine Ehefrau Marianne. „Bei vielen sind Tränen geflossen.“ Drei Esslinger teilen ihre Erinnerungen.

Cornelius Hauptmann war seit Kindertagen Kunde. Foto: Dmitri Nikolaev

Cornelius Hauptmann (73) Meine frühesten Erinnerungen an dieses einzigartige Geschäft reichen weit mehr als 60 Jahre zurück. Mein Vater hat regelmäßig in der früheren Haaga-Filiale am Marktplatz Süßigkeiten für meine Mutter gekauft: Marzipankartoffeln, Schichtnugat, Geleebananen, Ingwerstäbchen, Marzipanpralinchen mit einer halben Walnuss oder Schoko-Walnüsse mit Füllung. Als ich mich jetzt bei Herrn Haaga für all die Jahre bedankt habe, wusste er noch genau, was wir damals gekauft haben. Dieses Persönliche, das man immer weniger findet, wird vielen fehlen. Bei meinem letzten Einkauf haben wir mit den Haagas über alte Zeiten gesprochen. Sofort waren ein Dutzend Kunden im Gespräch – wie eine große Familie. Und dann die hochwertig angerichteten Tabletts im Schaufenster ... Da hat man schon beim Anschauen Appetit bekommen. Ein Erlebnis aus Mitte der 60er-Jahre ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Vor dem Bau der Ringstraße fuhr man in einer steilen Kurve runter zum sogenannten Haaga-Eck am Neuen Rathaus. Da hat mich eine Autofahrerin übersehen, ich bin mit ihrem Wagen kollidiert – das Fahrrad war kaputt, aber ich war zum Glück nicht schwerer verletzt. Der Dame war’s ganz arg und sie bat mich, ihr die Rechnung fürs Fahrrad vorbeizubringen – sie hat bei Haaga gearbeitet. Als ich vor ihr stand, hat sie sich entschuldigt und mir eine große, weiße Tüte überreicht. Die durfte ich bis zum Rand mit Süßigkeiten füllen. Für mich war Haaga der wichtigste Laden in Esslingen. Dieses einzigartige Geschäft hätte es verdient, als Unesco-Kulturerbe geschützt zu werden.

Für Petra Helmcke ist Haaga viel mehr als ein Süßwarengeschäft. /Romy S Fotografie

Petra Helmcke (58) Er war der Seelenladen von Esslingen, der Trösterle bei Liebeskummer, Belohnungen nach gut gemeisterten Herausforderungen und Rettungsanker für den stressigen Alltag verkauft hat: Schokoladen Haaga. Seine fast unerschöpfliche Auswahl an Bonbons, Fruchtgummis, Karamellen, Schokoladen und Pralinen wurde mit dem Verkauf von exquisitem Kaffee und feinem Gebäck ergänzt. Ich erinnere mich noch gut an die ersten Bürgerfeste, an denen Haaga einen Holzstand mit rot-weiß gestreiftem Sonnendach auf der Pliensau stehen hatte, wo Türkischer Honig vom Block verkauft wurde. Diese süße Köstlichkeit wurde mit einem Spatel abgehobelt. Die cremigen, zuckersüßen und hauchfeinen Splitter zergingen wie Sahne im Mund. Nie wieder habe ich seitdem diese seltene Süßigkeit genießen können. Mein Vater hatte seine Firma in der Nähe – da habe ich mir als Kind oft bei Haaga die Nase am Schaufenster platt gedrückt. Die größte Sehnsucht war eines dieser großen Eier aus Mandelsplitterschokolade, gefüllt mit feinen Trüffelpralinen, in Folie verpackt und mit riesengroßer Dekoschleife. Ostern ist für mich bis heute das Fest der roten Zuckerhasen und der kleinen Rahmhäsle. Deshalb stirbt für mich mit Haaga nicht nur ein Einzelhandelsunternehmen, sondern auch ein wichtiges Stück deutsch-schwäbischer Kultur. Ich bedanke mich bei Familie Haaga für ihren seelenvollen Beitrag für unser Esslingen und für ihren Einsatz an diesem Standort. Richtig gute Einzelhändler sind nie nur Verkäufer von Waren, sondern immer auch Kümmerer. Sie achten auf Sauberkeit rund um ihre Geschäfte und pflegen guten Zusammenhalt. So sind unsere Einkaufsstraßen zu einer Art großer Familien geworden, die sich um das Allgemeinwohl verdient machen. Das bröckelt mit jeder Schließung eines Geschäfts etwas mehr.

Peter Gress wird nicht nur rote Weingummis vermissen. Foto: Roberto B/ulgrin

Peter Gress (68) Haaga war für Esslingen ein Unikum. Alle trugen weiße Mäntel, offene Süßigkeiten wurden mit Schäufelchen in Tütchen abgefüllt, bis zuletzt konnte man nicht mit Karte bezahlen. Das hat zu Haaga gehört. Dieses Geschäft war für mich wie ein Anker in einer guten Zeit – schnuckelig, charmant und verlässlich. Vor 52 Jahren habe ich dort zum ersten Mal eingekauft, als ich meine Friseur-Ausbildung gegenüber im Salon meines Vaters begonnen habe. Natürlich habe ich gerne bei Haaga eingekauft – anfangs auch an diesem legendären Süßwaren-Automaten. Herr Haaga hatte stets ein freundliches Wort, und er hat für mich immer roten Weingummi zurückgelegt. Wo gibt es das sonst, dass man Weingummi nur in einer Farbe bekommt? Für auswärtige Gäste war das Geschäft eine Attraktion. Ich hatte mal Freunde aus Luzern zu Besuch. Die waren ganz im Glück, als sie diesen einzigartigen Laden gesehen haben, zumal es in Luzern ein ähnliches Geschäft gibt. Dort bekommt man aber nur Schokolade. Frau Haaga hat meine Gäste gefragt, woher sie kommen. Und als sie erfuhr, dass sie aus der Schweiz angereist sind, meinte sie augenzwinkernd: „Das ist ja lustig: Schweizer kommen nach Esslingen, um Schweizer Schokolade zu kaufen und wieder in die Schweiz mitzunehmen.“ Als ich meine obligatorischen roten Weingummis gekauft habe, wollte mein Freund Pierre auch welche. Da meinte Frau Haaga schmunzelnd: „Fragen Sie erst mal Peter Gress, ob sie auch welche bekommen.“ Das alles werde ich vermissen. Ich habe mir zwar noch einen Notvorrat meiner Lieblingssüßigkeiten angelegt, aber dieses Geschäft ist nicht zu ersetzen. Da geht eine Ära zu Ende.

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