Im Streit um die Erbschaftsteuer könnte Karlsruhe eigene Regeln durchsetzen. Politiker von Bund und Ländern wollen es darauf nicht ankommen lassen.

Stuttgart/Berlin - Der Zeitpunkt, so kurz vor der Sommerpause, mag überraschend gewesen sein, der Inhalt der Ankündigung eher nicht. Das Bundesverfassungsgericht hatte praktisch gar keine andere Möglichkeit, als das Thema Erbschaftssteuer wieder auf die Tagesordnung zu nehmen. Im Dezember 2014 hatten die Richter dem Gesetzgeber eine Frist gesetzt, die ist am 30. Juni dieses Jahres ergebnislos verstrichen. Da war es schon aus Gründen des Autoritätserhaltes notwendig zu handeln.

 

Was der Erste Senat in seiner Sitzung Ende September beschließen wird ist nun Gegenstand der Spekulation – tatsächlich wissen werden das momentan nicht einmal die Richter selbst. Ein Fingerzeig ist die Terminierung: Offenbar wollen die Richter eine Sitzung des Vermittlungsausschusses im September abwarten und werden erst nach diesen Verhandlungen entscheiden. Das ist so etwas wie eine letzte Chance, die den streitenden Parteien gewährt wird.

Das Gericht lässt sich nicht in die Karten schauen

Die Möglichkeiten, die sich den Verfassungsrichtern bieten, sind weit gefächert. Die am wenigsten einschneidende Variante wäre eine Verlängerung der Frist für den Gesetzgeber. Doch da sich Bundestag und Bundesrat in eineinhalb Jahren nicht auf einen Kompromiss einigen konnten, ist dies eher unwahrscheinlich. Auf der gegenüberliegenden Seite der Handlungsskala steht die Möglichkeit, die bisherigen Regeln von sofort an für unwirksam zu erklären und selbst Übergangsregeln zu entwickeln. So etwas hat das Verfassungsgericht in der Vergangenheit immer mal wieder gemacht, in der Regel allerdings zusammen mit dem Urteilsspruch. Ein Mittelweg könnte darin bestehen, die geltenden Regeln von einem bestimmten Datum an für unwirksam zu erklären – und der Politik eine allerletzte Frist einzuräumen, die Dinge zu regeln.

Einen gewissen Hinweis darauf, wie ernst es den Richtern ist, dass die von ihnen beanstandeten Regeln rasch verfassungskonform umgestaltet werden, bietet die Webseite des Vereins zur Förderung der Steuerrechtswissenschaft in Hannover. Dort gab es im Januar 2015, also wenige Wochen nach dem Karlsruher Urteil, ein Symposium zu dem Richterspruch. Mit dabei: Verfassungsrichter Michael Eichberger, der Berichterstatter in dem Verfahren. Demnach sagte Eichberger auf die Frage, was das Gericht zu tun gedenke, wenn der Gesetzgeber die ihm gesetzte Frist verstreichen lasse, dass das Gericht die Möglichkeit hätte, im Wege eines „Vollstreckungsbeschlusses“ gegebenenfalls durchdachte Übergangsregelungen zu schaffen.

Verzögerungen des Gesetzgebers gibt es immer wieder

Eine Novum ist die Untätigkeit der Bundesregierung trotz Fristsetzung nicht. Den Bereich Grunderwerbssteuer bei Lebenspartnerschaften wollten die Verfassungsrichter bis zum 31. Dezember 2012 geregelt haben – es geschah nichts. Auch damals erklärte das Gericht, sich erneut mit dem Thema zu befassen. Der Gesetzgeber kam dem zuvor.

In Berlin ist das Gerichtsschreiben an die Bundesregierung, den Bundestag und den Bundesrat mit Überraschung aufgenommen worden. Weil das Verfassungsgericht im Frühjahr über seinen Pressesprecher erklären ließ, dass die bisherigen Regelungen auch nach dem 30. Juni 2016 weiter bestünden, wähnten sich die Beteiligten auf der sicheren Seite. Auf ein paar Monate mehr oder weniger komme es nicht an, lautete die Leitlinie bei einigen Ministerpräsidenten und Koalitionären. Ein Irrtum.

Im Bundesfinanzministerium ist die Einschätzung zu hören, dass es nun keine Verzögerungen mehr geben darf. Das Ressort von Finanzminister Wolfgang Schäuble setzt sich in den internen Gesprächen dafür ein, dass der Vermittlungsausschuss bald zusammenkommen soll. Die Finanzminister der Länder hatten sich Anfang Juli darauf verständigt, dass der Ausschuss wegen der Sommerpause erstmals im September tagt. Dann sollten Arbeitsgruppen eingesetzt werden. Das sei viel zu spät, argumentieren Schäubles Beamte.

Der hessische Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) rief Bund und Länder dazu auf, von Maximalforderungen Abstand zu nehmen. Bis September müsse eine Einigung vorliegen, sagte er. Falls nicht, drohe eine Vollstreckungsanordnung des Gerichts. „Was das für unsere Wirtschaft bedeutet, möchte ich mir nicht ausmalen.“