Heimlich Unterstützung bekommen, ohne dass es der Peiniger merkt: Um Opfern von häuslicher Gewalt zu helfen, richtete eine polnische Studentin einen Kosmetik-Webshop ein. Das ist für viele gerade in der Pandemie wichtig.

Volontäre: Annika Mayer (may)

Stuttgart - Auf den ersten Blick wirkt die Facebook-Seite wie die eines polnischen Natur-Kosmetik-Shops. Bei „Rumianki i bratki“, zu deutsch „Kamille und Stiefmütterchen“ werden Cremes zur Linderung von Hautirritationen, Pflege und Wundheilung angeboten. In Wirklichkeit verkauft der Shop jedoch keine Kosmetik– sondern es handelt sich um ein Hilfsangebot für Opfer von häuslicher Gewalt. Gründerin der Seite ist die polnische Schülerin Krystyna Paszko, wie das Süddeutsche Zeitung (SZ) Magazin berichtet. Im April 2020 baute sie den Shop auf, als Reaktion auf die Zunahme von häuslicher Gewalt in der Pandemie.

 

Fast 500 Frauen hat der Fake-Shop bereits geholfen, wie eine Mitarbeiterin des Projekts dem SZ Magazin erklärt. Über SMS, E-Mail, Facebook-Messenger oder telefonisch können Frauen in Not den Shop erreichen. Die Nutzerinnen bekommen laut RTL anschließend harmlose Fragen gestellt, wie beispielsweise „Welche Hautprobleme haben Sie?“. Die Fälle würden dann an Hilfsorganisationen weitergeleitet. Wenn eine Frau eine Bestellung aufgebe und ihre Adresse mitteile, sei das das Zeichen, die Polizei zu rufen, wie es im Bericht des SZ Magazins heißt. Mittlerweile habe die Seite auch Kontakte in anderen Ländern, wie beispielsweise Australien oder Großbritannien. Dort soll das Modell kopiert werden.

Zahl der Notrufe im ersten Lockdown stark gestiegen

In europäischen Ländern ist die Anzahl der Notrufe von Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt sind, um bis zu 60 Prozent im ersten Lockdown gestiegen. Das erklärte der Europa-Direktor der Weltgesundheitsorganisation Hans Kluge in einer Pressekonferenz. In Deutschland wurden 2019 laut dem Bundeskriminalamt 141.792 Menschen Opfer von Gewalt in der Partnerschaft, 115.000 davon waren Frauen. Für 2020 liegen die offiziellen Zahlen noch nicht vor. Eine repräsentative Studie der Technischen Universität München zeigte jedoch, dass etwa 3 Prozent der Frauen in Deutschland während der Kontaktbeschränkungen des ersten Lockdowns körperliche Gewalt erfahren haben. 3,6 Prozent wurden zu Geschlechtsverkehr gezwungen. Dabei haben vor allem finanzielle Sorgen die Situation verschlimmert.

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Neben dem polnischen Online-Shop gibt es für Opfer von häuslicher Gewalt auch in anderen Ländern Möglichkeiten, sich diskret Hilfe zu suchen. In Frankreich, Spanien, Belgien, Griechenland, den Niederlanden und Deutschland spielen dabei die Apotheken und Arztpraxen eine Rolle. Frauen, die in gekennzeichneten Anlaufstellen das Codewort „Maske 19“ nennen, werden laut Redaktionsnetzwerk Deutschland beiseitegenommen. Auf Wunsch wird außerdem die Polizei verständigt.

Mit diesem Signal holen sich Frauen in Videochats Hilfe

Außerdem führte die Canadian Women’s Foundation in der Pandemie das „signal for help“ ein: Dieses hilft Frauen dabei, in Videochats ohne Worte zu zeigen, dass sie Opfer von häuslicher Gewalt sind. Es handelt sich dabei um eine Handbewegung. Erst wird die offene Handfläche zur Kamera gezeigt, dann der Daumen eingeklappt. Schließlich schließen sich die restlichen Finger um den Daumen.