Die Emotionen, mit denen in der Autostadt Stuttgart der Streit um die Dieselfahrzeuge geführt wird, sind oftmals überzogen. Unser Kommentator Josef Schunder fordert Mäßigung.

Stuttgart - Was für ein Wechselbad der Gefühle für Dieselfahrer und für Anwohner von schadstoffbelasteten Straßenabschnitten in Stuttgart und anderswo. Erst bläst eine Hundertschaft von Lungenärzten mit einem beachtlichen Erfolg zur Attacke auf die Schadstoffgrenzwerte, die unter anderem zu den ersten Dieselfahrverboten in Stuttgart führten. Dann akzeptiert die EU-Kommission den Vorstoß der Kanzlerin, eine gewisse Überschreitung des Stickstoffdioxid-Grenzwertes für lässlich zu betrachten. Und als der Jubel der Fahrverbotsgegner noch nicht abgeklungen ist, muss der Arzt und Grenzwertkritiker Dieter Köhler Rechenfehler eingestehen beim Kleinrechnen der Gefahren. Die letzten Wochen hatten es wirklich in sich.

 

Von einer angemessenen Debatte kann man in Stuttgart jedenfalls nicht mehr reden. Die nüchterne Lage rechtfertigt nicht das Übermaß der Emotionen. Besonders der Emotionen, die aus dem Vizechef der CDU-Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung im Südwesten, Daniel Hackenjos, sprachen. Wenn er wegen der Fahrverbote in Stuttgart den Verkehrsminister Winfried Hermann ins Gefängnis bringen möchte, zeugt das von mancherlei: von der Verkennung der Tatsachen, von einem Verhalten jenseits der Rechtsstaatlichkeit – und, pardon, von Äußerungen am Rande der Dümmlichkeit.

CDU-geführte Landesregierungen sind mitschuldig

Dass die Autostadt Stuttgart nun so heftig ins Schleudern kommt, obwohl die Schadstoffproblematik seit Jahrzehnten bekannt ist und seit Jahrzehnten hätte diskutiert werden können, spricht nicht für die Voraussicht der Lenker in Wirtschaft und Politik. Diverse CDU-geführte Landesregierungen halfen mit, die von den ersten Fahrverboten betroffenen Autobesitzer in diese Sackgasse zu lotsen. Nun empfiehlt sich die CDU als Problemlöserin.

Und die Autohersteller? Beispiel Daimler: Noch nicht einmal ein halbes Jahr ist es her, da feierte der Konzern in einer Pressemitteilung den Verkauf von weiteren 276 erdgasbetriebenen Omnibussen nach Madrid, womit dort von 2020 an insgesamt 672 dieser „umweltfreundlichen Busse“ fahren sollen. Busse, die laut Daimler bis zu zehn Prozent weniger Klimagas Kohlendioxid ausstoßen als Diesel – übrigens ohne besondere Vorrichtungen sogar noch deutlich weniger Stickoxide als Diesel.

Politik und Wirtschaft waren nicht auf Zack

In Stuttgart haben Stadt und Land und Verkehrsbetriebe vor Jahren einen ähnlichen großen Wurf versäumt. Und in der Daimler-Zentrale hat man beschlossen, aus der Produktion von Erdgas-Pkw auszusteigen. Mangels Nachfrage. Andererseits ist Daimler auch nie mit einer groß angelegten Werbung für die Technik aufgefallen, die in den Werken ähnlich viel Arbeit erhalten könnte wie der Diesel.

Nein, Politik und Wirtschaft waren nicht auf Zack. Daher ist das Erwachen nun so schmerzlich. Weitere Fahrverbote für Euro-5-Diesel mögen vielleicht zu verhindern sein. Die Fahrverbote für Euro-4-Diesel sind nicht so einfach aus der Welt zu schaffen. Die Gerichte werden die nach wie vor gültigen EU-Grenzwerte beachten müssen. Den Mitschuldigen an der Misere wäre Demut anzuraten, kein Hochmut. Klar, bei den Wahlen scheinen den Parteien, die gegen die Fahrverbote agieren, die Stimmen der geprellten Dieselfahrer zu winken. Aber ob sich der Populismus am Ende wirklich rechnet? Wie meint doch ein Leser: „Vielleicht sind die Wähler doch nicht so blöde.“ Fahrverbote gebe es nicht aus Jux und Tollerei.

josef.schunder@stzn.de