Stuttgart - April 2019. Der echte Polizeibeamte kam mit einer guten und einer schlechten Nachricht. Die gute war, dass er die 6900 Euro zurückbrachte, die Martha Götz (Namen von der Redaktion geändert) von ihrem Sparbuch geholt und einem – wie sie heute weiß – falschen Polizisten ausgehändigt hatte. Die Beamten hatten den Abholer des Geldes verhaftet. Er trug das Kuvert mit den Scheinen noch bei sich, auf dem die Fingerabdrücke von Martha Götz waren. So weit, so gut.
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Denn Martha Götz geht schließlich zu einer Filiale der Kreissparkasse Ludwigsburg in Landkreis, bei der sie seit Jahrzehnten Kundin ist. Brav erzählt sie die Geschichte, die man ihr eingebläut hat: Ihr Sohn brauche ein neues Auto. Martha Götz sagt, man habe sie in der Filiale nicht vor falschen Polizisten gewarnt. Sie wirkt eigentlich nicht so, als könne sie sich nicht recht erinnern. Die Bank sagt das Gegenteil. „Unsere Mitarbeiter sind in solchen Fällen wie in diesem gehalten, Kunden eindringlich auf die aktuellen Betrugsfälle hinzuweisen. Dies ist auch im vorliegenden Fall geschehen“, erklärt die Kreissparkasse schriftlich auf Anfrage und verweist auf das Bankgeheimnis.
Bankmitarbeiter empfinden es als Gratwanderung
Letztlich sei es immer der Kunde, der über die Auszahlung entscheide. „Wenn die Willensbekundung trotz der Aufklärung durch unsere Mitarbeiter klar, eindeutig und bestimmt ist, gilt es, den Kundenauftrag auszuführen“, heißt es in der Erklärung weiter. Es ist in der Tat eine Gratwanderung zwischen der Mündigkeit der Bankkunden und der Verhinderung einer Straftat, die über den konkreten Fall hinausweist. Die Bank betont, keinen Fehler gemacht und alle ihr möglichen Sicherheitsmaßnahmen getroffen zu haben.
Günther Bubenitschek, der Präventionsbeauftragte des Weißen Rings Baden-Württemberg, hält es hingegen für angeraten, in Fällen wie diesen die Polizei zu rufen, und sagt: „Die Polizei ist auch dazu da, Schaden abzuwenden.“ Ähnlich argumentiert auch Jan Everding vom Präventionsreferat des baden-württembergischen Landeskriminalamtes. „Wir kommen lieber einmal zu viel als einmal zu wenig.“ Im Fall Martha Götz ist der Anruf unterblieben. Die Fälle, in denen Betrugsversuche durch falsche Polizisten mithilfe von Bankmitarbeitern durch einen Anruf bei der echten Polizei gestoppt wurden, sind nach Everdings Auskunft deutlich gestiegen. „Wenn keine Indizien für betrügerisches Handeln ersichtlich sind, existiert auch keine Verpflichtung für eine Rückmeldung an die Polizei“, erklärt die Kreissparkasse.
Noch lebt Martha Götz alleine, versorgt sich selbst. Die rüstige Frau ist es nicht anders gewohnt. Sie hat ein Leben lang gearbeitet, durchaus auch in verantwortlicher Funktion. Immer war sie sparsam. Ihre Wohnung ist bescheiden im Stil längst vergangener Jahre eingerichtet. Im Schnitt holt Martha Götz jeden Monat 500 Euro am Schalter. Das reicht locker. Bei Geburtstagen und vor Weihnachten können es auch mal 600 oder 800 Euro sein. Sie grämt sich. „Wie konnte ich das nur glauben?“ – und meint die Betrugsmasche. Zusammen mit ihrem Sohn beschäftigt sie aber unausgesprochen noch eine andere Frage: Wie konnte die Bank mir nur glauben?
Oder generell gefragt: Wie weit dürfen und müssen Banken gehen, um betagte Kunden vor einem möglichen Schaden zu bewahren? Und tragen sie gar eine Verantwortung, wenn Kriminelle mit ihrer Betrugsmasche erfolgreich sind? Martha Götz’ Sohn glaubt: Ja. Zumal auch er bei der gleichen Bank Kunde ist wie seine Mutter. Man kenne sich. Er glaubt, eigentlich hätte bekannt sein müssen, dass er ein relativ neues Auto fahre. Aber niemand habe bei ihm nachgefragt. Die Begründung, die man ihm nannte: Er habe keine Vollmacht für das Konto seiner Mutter, deshalb greife der Datenschutz. Die Telefonate über einen möglichen Schadensausgleich laufen nun jedoch über ihn, stellt er verwundert fest, obwohl er immer noch keine Vollmacht habe. Nach Gesprächen, die bis in die Vorstandsebene gingen, hat die Kreissparkasse Martha Götz 2000 Euro als Geste der Bank angeboten, sagt er. Die Bank kommentiert das mit Verweis auf die Vertraulichkeit nicht.
Hätten in der Filiale nicht die Alarmglocken läuten müssen, wenn eine Frau im fortgeschrittenen Lebensalter, die, wie ihre Kontoauszüge beweisen, immer nur 500 Euro monatlich zum Leben braucht, plötzlich ihr Festgeldkonto abräumt? Niels Nauhauser, Abteilungsleiter Altersvorsorge, Banken, Kredite bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, hat eine Antwort auf diese Frage. „Selbstverständlich haben die Institute eine dahin gehende Verantwortung ihren Kunden gegenüber. Wenn sie berechtigten Anlass haben, anzunehmen, dass eine Kundin Opfer eines Betrugs werden oder geworden sein könnte, haben sie diese darauf hinzuweisen.“ Die Betrugsmasche „Falscher Polizist“ sei den Banken natürlich bekannt. Bisher, so sagt Oliver Renner, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht aus Stuttgart, gebe es, soweit ersichtlich, kein Urteil in einer solchen Sache. Noch hat keiner der Betrogenen sein Geldinstitut vor einem Gericht in Regress genommen – bisher gibt es kein Urteil für solch einen Fall. Für Juristen sieht Renner darin ein interessantes Neuland. „Bei einem auffälligen Abhebungsverhalten und wenn nicht gewarnt“ worden sei, sehe er gute Chancen für die Betroffenen. Aber die Beweislast, nicht aufgeklärt worden zu sein, liege bei den Betroffenen.
Falscher Polizist ist das Topbetrugsthema
Für die Ermittler bei der Polizei sind die Banken eine der drei Säulen, auf die sie bei der Eindämmung des Falscher-Polizist-Phänomens setzen – neben der Verhaftung von Tätern und der Sensibilisierung potenzieller Seniorenopfer. Die Banken sind die entscheidende Klippe, über die die betrügerischen Anrufer ihre Opfer dirigieren müssen. „Das Thema ist inzwischen Bestandteil der Ausbildung“, sagt Stephan Schorn, der Sprecher des baden-württembergischen Sparkassenverbandes. In der Tat gibt es ja auch Meldungen, dass Bankangestellte einen Betrug verhindert haben. Regressforderungen von Betrugsopfern gegen eine Bank kenne er keine, sagt Schorn.
70 000 Euro, sagt ein erfahrener Ermittler, sei ein außergewöhnlich hoher Betrag. Er schätzt, dass etwa zwei Drittel der Betrogenen die spätere Beute bei der Bank abheben müssen. Für Martha Götz ist die Rücklage weg, mit der sie ihr Leben im Alter gestalten wollte. Jenseits der persönlichen Katastrophe, ihrem geschwundenen Vertrauen in die Menschen heißt das für die Solidargemeinschaft: Sollte Martha Götz und die anderen Betrugsopfer einmal zum Pflegefall werden und über keine eigenen Rücklagen mehr verfügen, wird die Allgemeinheit einspringen müssen. Auf 6,8 Millionen Euro beläuft sich der Schaden in Baden-Württemberg nach Auskunft des Landeskriminalamtes im letzten Jahr. Für das laufende Jahr gehe man von weiter steigenden Betrugsversuchen aus. Martha Götz will die 2000 Euro nicht annehmen. Am Schalter ihrer Filiale war sie bisher nicht mehr.