Mit einem Hagelscanner werden derzeit tausende Autos in Kornwestheim (Kreis Ludwigsburg) überprüft. KI und Mensch arbeiten Hand in Hand für ein genaues Schadensbild. Wie die Schadensbegutachtung am Fließband funktioniert.

Ludwigsburg: Frank Ruppert (rup)

Der 12. Juli ist vielen Autobesitzern im südlichen Teil des Landkreises Ludwigsburg in schmerzhafter Erinnerung geblieben. Über die Region Kornwestheim, Möglingen und Ludwigsburg zog ein Unwetter, das Hagelkörner mit mehreren Zentimetern Durchmesser auf das heilige Blechle niederregnen ließ. Wer keine Garage hat oder gerade Besorgungen erledigte, wurde von dem Hagelschauer überrascht und musste tatenlos zusehen, wie sich Dellen in den vierrädrigen Untersatz gruben.

 

Hagel verbeult Kopf und Auto

„Ich habe einen Kollegen, der ist in der ersten Reaktion rausgerannt zu seinem Auto. Er kam aber am Kopf blutend schnell wieder zurück unters Dach“, berichtet Adam Rupp aus Stuttgart. Er arbeitet in Möglingen und musste mitansehen, wie sein geliebter schwarzer BMW X3 zerbeult wurde. „Das tut einem schon weh“, sagt der Autofreund. Umso glücklicher war er, dass sich nun hochprofessionell um sein Auto und den Schaden gekümmert wird. Seit Donnerstag ist ein großes Zelt auf dem Parkplatz von W&W in Kornwestheim aufgebaut, in dem tausende Schadensfälle vom 12. Juli mit einem Hagelscanner untersucht werden. Dabei handelt es sich um eine Kooperation der Württembergischen Versicherung mit DAS Automotive aus Göppingen, einer Firma, die sich auf Hagelschäden spezialisiert hat.

Dellendoktor Mauro Hermosi bei der Arbeit. /Simon Granville

Viele Hagelschäden im Kreis

„Tausende Fahrzeuge im Kreis Ludwigsburg waren von dem Hagel am 12. Juli betroffen. Wir haben uns für einen zentralen Ort entschieden, um die Bearbeitung für unsere Kunden zu vereinfachen“, sagt Katja Bäcker-Wittke, aus der Pressestelle der Wüstenrot & Württembergische-Gruppe. Wie bei Adam Rupp wurden die Kunden nach der Schadensmeldung angeschrieben und ihnen wurde angeboten, sich online einen Termin für den Hagelscanner geben zu lassen. Das Gerät sieht aus wie Torbogen. Mittels Licht und Kameratechnik erfasst der Scanner jeden Millimeter der Karosserie eines hagelgeschädigten Fahrzeugs und kann dabei auch kleinste Hageldellen erkennen.

„Zwölf Kameras machen pro Auto mehr als 4000 hochauflösende Fotos“, erklärt DAS-Geschäftsführerin Daniela Jenisch. Seit drei Jahren nutzt ihre Firma die Hagelscanner, die dank KI auch unterscheiden können, ob der Schaden aus einem Ereignis stammt oder aus mehreren. Die KI könne sehr genau differenzieren zwischen Karosserie-Design und Dellen durch Hagel. „Hageldellen haben eine ganz besondere Eigenart, die mit der Form der Hagelkörner zu tun hat“, sagt Jenisch. Fünf solcher Scanner, deren Anschaffung jeweils einen sechsstelligen Betrag kostet, hat die Göppinger Firma im Einsatz. Und sie werden gebraucht: „Es gibt immer häufiger Hagelschäden und damit steigt auch der Bedarf für unsere Hagelscanner. Wir sind eine der wenigen Firmen, die vom Klimawandel profitieren“, sagt Jenisch.

Das Zelt in der die Hagelbegutachtung in Kornwestheim stattfindet. Foto: W&W/Sebastian Berger

Versicherung lässt tausende Autos checken

Die Kunden kommen an diesem ersten Tag fast wie am Fließband. Bis zu 60 Autos durchlaufen pro Tag den Scanner. Insgesamt haben sich laut Bäcker-Wittke bereits mehr als 2800 Kunden angemeldet, jeder muss etwa eine halbe Stunde Zeit mitbringen. Das Zelt wird einige Wochen auf dem Parkplatz stehen. Die Überdachung ist nicht nur als Schutz vor dem Wetter, sondern auch vor Licht wichtig. Nur mit künstlichem Licht erkenne man alle Dellen, sagt Matthias Deppert, ein Sachverständiger der Württembergischen. Fünf dieser Experten haben derzeit ihren Arbeitsplatz ebenfalls in dem Zelt bezogen. Sie kontrollieren die Ergebnisse des Scanners und verfassen gleich vor Ort ein Schadensgutachten. Der Scanner spuckt nach etwa fünf Minuten seine Analyse dazu aus. „Das menschliche Auge wird müde, der Scanner nicht“, fasst Deppert den Hauptvorteil des Hagelscanners zusammen. Es sei eine tolle Möglichkeit die Hagelschäden zu erfassen.

Durch den Scanner fährt ein Sachverständiger die Autos. Foto: W&W/Sebstian Berger

Adam Rupp steht neben Deppert, als dieser die Ergebnisse des Scans erhält. 351 Dellen hat das Gerät am BMW des Stuttgarters festgestellt. Das ist ein durchschnittlicher Schaden. Deppert hat alles zwischen 60 und 1400 Dellen schon gesehen. Rupp muss allerdings erst mal schlucken. Mit bloßem Auge sieht man auf dem schwarzen Lack nicht einmal die Hälfte der 351 Dellen. Nun ist Rupp hin und hergerissen: Soll er das Geld der Versicherung nehmen oder lieber die Dellen beheben lassen? Wirtschaftlich sinnvoll wäre wahrscheinlich das Geld zu nehmen, meint Deppert. Rupp will sich das erst noch überlegen: „Man will ja nicht in einem verbeulten Auto herumfahren.“

Gleich vor Ort präsentiert das Göppinger Unternehmen DAS auch, wie so ein Dellendoktor arbeitet beim Ausbeulen der Autos. Am Werk ist Mauro Hermosi. Der Spanier ist ein echter Experte, der seit mehr als 20 Jahren nur Dellen aus Autos entfernt. „Das ist eine Kunst“, sagt er selbst. In der Tat braucht es viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl, die Dellen per Drücken und Ziehen von den Unebenheiten zu befreien, ohne den Lack zu beschädigen. Er schafft etwa einen Wagen pro Tag, ganz ohne Künstliche Intelligenz.

Was bei Hagel zu tun ist

Hagel
 Gerade im Sommer kommt es immer wieder zu Niederschlag mit Hagelkörnern. Deutet sich ein Unwetter an, sei es am besten das Auto frühzeitig irgendwo unterzustellen, rät Matthias Deppert, Kfz-Sachverständiger der Württembergischen Versicherung.

Schutz
 Von Decken oder ähnlichem hält Deppert wenig. Meist helfen diese kaum einen Schaden zu verhindern. Schon gar nicht solle man während des Hagels hinaus gehen, um sein Auto zu retten. Das sei gefährlich, so Deppert. Meist sei ein Hagelschaden am Auto nur ein optischer Makel, der aber natürlich den Wert des Wagen drücke.

Versicherung
Ab einer Teilkasko deckt die Autoversicherung den Hagelschaden ab, abzüglich der jeweils vereinbarten Selbstbeteiligung.