Halbzeit in der Formel 1 Note drei plus für Sebastian Vettel
Der viermalige Formel-1-Weltmeister hat sich nach anfänglichen Schwierigkeiten bei seinem Team Aston Martin eingelebt und freundet sich mehr und mehr mit dem Auto an.
Der viermalige Formel-1-Weltmeister hat sich nach anfänglichen Schwierigkeiten bei seinem Team Aston Martin eingelebt und freundet sich mehr und mehr mit dem Auto an.
Stuttgart - Für wildes Parken gibt es in der Formel 1 keine Strafe. Esteban Ocon, Sebastian Vettel und George Russell hatten ihre Autos nach dem Großen Preis von Budapest auf der Rennstrecke am Straßenrand abgestellt. Sicherheitshalber. Die Tanks waren so gut wie leer, es war nicht garantiert, ob sie den Parc fermé erreichen würden. Und, was noch wichtiger war, ob sie die Restspritmenge von einem Liter mitbringen würden. Für zu wenig Benzin im Tank gibt es aber eine Strafe. In Vettels Aston Martin waren trotz des Notstopps nur noch 300 Milliliter statt der vorgeschriebenen 1000. Disqualifikation, der Heppenheimer verlor Platz zwei. Zwar behauptete das Team, es seien 1,74 Liter im System, doch aufgrund eines defekten Teils konnten sie nicht abgepumpt werden. Aston Martin erwägt, Berufung einzulegen, die Chancen, dass Vettel Platz zwei behalten darf, sind jedoch ziemlich gering. „Aber das schmälert nicht die sonst fehlerfreie Fahrt von Sebastian. Heute haben wir gezeigt, dass unser Auto eine starke Rennpace hat“, sagte Teamchef Otmar Szafnauer tapfer.
Irgendwie passt das zur Halbzeitbilanz des 34-Jährigen. Elf Rennen liegen hinter dem hessischen Rennfahrer, noch zwölf in dieser Saison vor ihm – und es fällt nicht leicht, ein eindeutiges Urteil über seine Leistungen zu fällen. Wie bei einem Schüler, der sich häufig hängen lässt, der aber manchmal zu bemerkenswerten Ergebnissen fähig ist. Nicht Fisch, nicht Fleisch. Zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben. Vettels Welt – zwischen frischem Bunt und tristem Grau.
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Die undiskutierbaren, harten Fakten: Platz zwölf in der Fahrer-WM mit 30 Punkten, wobei die 18 Zähler aus Ungarn bereits abgezogen sind. Ein Podiumsplatz mit Rang zwei in Baku war das Spitzenresultat. Teamkollege Lance Stroll hat lediglich 18 Zähler gesammelt, kam in den Rennen über Platz acht nicht hinaus und liegt im Qualifikationsduell mit 4:7 hinter dem Routinier. Intern bei Aston Martin ist der Altmeister die Nummer eins, wobei es eine motorsportliche Mindestanforderung darstellt, dass ein viermaliger Weltmeister mit 267 Grand-Prix-Einsätzen im Vergleich zu einem 22 Jahre alten Rennfahrer mit 89 Formel-1-Starts, der lediglich dreimal Renndritter wurde, deutlich in Front liegt.
Eigentlich hatte Vettel etwas mehr im Arbeitsjahr 2021 vor als nur den Teamkollegen in Schach zu halten. Im vorderen Drittel wollte er mitfahren, den inoffiziellen Titel „Best of the rest“ hinter den Mercedes- und Red-Bull-Piloten erobern. Doch der Ex-Weltmeister holperte in die Saison, weder Auto noch Fahrer waren so konkurrenzfähig wie erwartet, es folgte eine Achterbahnfahrt. Die ersten vier Rennen waren schlimm bis schauderhaft, in Monaco glänzte Vettel als Fünfter und in Baku als Zweiter. Auf Rang neun in Frankreich folgten drei Läufe ohne Punkte, bis er in Ungarn als Zweiter ins Ziel kam – und aus der Wertung genommen wurde. Auf Jubel folgte Ernüchterung, das Schema Vettel in diesem Jahr.
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Doch nun ist mehr Hoffnung als im März und April, Vettel hat sich nach dem schwierigen Start im neuen Team gefunden. Der 34-Jährige, der dem immensen Erfolgsdruck bei Ferrari letztlich nicht gewachsen war (wobei auch das Auto zuletzt WM-untauglich war), benötigt Nestwärme für gute Leistungen, wie Ex-Rennfahrer Sebastian Klien bemerkte. „Dieser Reset war für ihn unheimlich wichtig. In einem kleineren Team in England fühlt er sich recht gut aufgehoben“, sagte der Österreicher vor einiger Zeit. Vettel hat erneut belegt, dass Vertrauen für ihn der Kraftstoff ist, der ihn auf Drehzahl bringt – wenngleich er selbst, aber auch die Kollegen der Boxencrew nicht immer optimal agierten. Vettel hat seine Fehlerquote verringert. „Seb ist definitiv glücklich bei uns. Er genießt das Rennfahren, und das war sein erstes Ziel“, erklärte Teamchef Szafnauer in Budapest, „ich würde sagen, wir haben das gemeinsam mit ihm erreicht.“ Im Zwischenzeugnis des Sebastian Vettel, geboren am 3. Juli 1987 in Heppenheim, steht eine 3+.
Die Note für Mitarbeit und Verhalten? Der Automobil-Weltverband Fia würde dem Hessen vielleicht eine 4 geben, mit viel gutem Willen. Denn Vettel hatte bei der ungarischen Hymne ein T-Shirt in Regenbogenfarben mit der Aufschrift „Same Love“ getragen, er setzte ein Zeichen für Toleranz und Respekt sowie gegen das geplante Referendum gegen die Rechte nicht-heterosexueller Menschen in Ungarn. Doch während der Hymne hätte er laut Fia-Regularien das Shirt ablegen und den Rennoverall tragen müssen. Bei der Anhörung am Abend hatte Vettel erklärt, er habe „vergessen“, das Teil rechtzeitig auszuziehen. Er erhielt eine Verwarnung. „Ich würde es wieder tun“, sagte er.
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Sebastian Vettel hat in der ersten Saisonhälfte die wichtigsten Zeichen außerhalb der Rennstrecke gesetzt, vielleicht gelingt ihm ähnlich Bemerkenswertes im zweiten Halbjahr auch auf der Strecke.