Allerheiligen, Halloween und Dia de los Muertos: Stuttgarter gedenken auf unterschiedliche Weise der Toten – die Stadt ist international geprägt. Wir haben uns bei den Bürgern umgehört, was der 1. November für sie bedeutet.

Stuttgart - Werner Laub orientiert sich nicht an Monaten, sondern an christlichen Festen. Weihnachten, Ostern, Mariä Himmelfahrt, Allerheiligen – andere sagen: Winter, Frühling, Sommer und Herbst. Gerade die Zeit um den 1. November ist für den Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde St. Elisabeth eine besondere Zeit: „Am Ende des Herbstes macht die Natur eine Pause und der Mensch kann zur Ruhe kommen.“ Zum Beispiel bei einem Besuch auf dem Friedhof, was für viele Menschen zu Allerheiligen gehört.

 

Auch Werner Laub, der beruflich das ganze Jahr über auf Friedhöfen ist, geht in diesen melancholischen Tagen gern privat zu den Ruhestätten. „Die Gräber sind schön hergerichtet, ich mag diese Atmosphäre.“

Für ihn gehören Allerheiligen und Allerseelen zusammen. Ein Tag nach dem gesetzlichen Feiertag, also immer am 2. November, wird nicht nur der Heiligen, sondern aller Verstorbenen gedacht. Laub nimmt die Definition von Heiligen ohnehin nicht so streng: „Dazu zählen für mich auch Menschen wie die Toten von Lampedusa.“ Einige der offiziellen Heiligen hätten ein ausschweifendes Leben geführt. „Zum Beispiel Augustinus oder Paulus.“ Und von Mutter Teresa, die Werner Laub sehr bewundert, wisse man inzwischen, dass sie zeitweise an der Existenz von Gott gezweifelt hat.

Für Werner Laub sind auch Menschen heilig, die ihm nahestanden und die er bereits verloren hat. Die Familie ist ihm wichtig, deshalb kommt er an Allerheiligen gern mit der Verwandtschaft zusammen: „Kaffee und Kuchen in wohliger Atmosphäre mit Onkel und Tanten.“

„Wir haben Rübengeister gebastelt“

Mit dem Trubel um Halloween kann Werner Laub nichts anfangen, wobei der Pfarrer mit dem Motorrad ein moderner und geselliger Mensch ist. „Wenn am 31. Oktober Kinder klingeln und Süßigkeiten wollen, grüße ich freundlich, aber gebe nichts“, sagt der 42-Jährige, der seit gut einem Jahr neben der Elisabethenkirche lebt.

Heidnische Bräuche an sich findet Werner Laub überhaupt nicht schlimm: „Wir haben früher auf dem Land auch Rübengeister gebastelt.“ Er mag es auch nicht, wenn manche Kirchenleute immer gleich Gefahren wittern. „Aber man sollte akzeptieren, dass ein Großteil der Gesellschaft an Allerheiligen etwas Bedeutendes feiert.“ Die Wertschätzung an sich sei ein hohes Gut, sagt er, „leider geht sie immer mehr verloren“. Als der Kulturschaffende Robin Bauer zum ersten Mal sein Rock-’n’-Roll-Halloween veranstaltete, zählte die Theodor-Heuss-Straße noch dreieinhalb statt 30 Bars. Es gab mehr Liveclubs als Partylocations. Und ein regelrechter Halloween-Hype mit zig Kostüm- und Kürbis-Partys war ebenfalls in weiter Ferne. „Meine Mutter Mary-Anne brachte mich damals auf die Idee“, erzählt Robin Bauer, der das Stuttgarter Subkulturleben als Konzertveranstalter, DJ und Musiker seit 1998 mitgestaltet.

Die Bauers veranstalteten eine der ersten Halloween-Partys in Stuttgart

Bauers Mutter hat ihre Wurzeln in Trinidad und Tobago, ein Teil der Familie lebt in den USA. „Dort ist Halloween schon seit den 50er Jahren Teil der Populärkultur. In Stuttgart war die Clubszene im Jahr 2000 noch nicht so ausdifferenziert“, so Bauer. Da hatte der kulturell aktive Bauer-Clan die Idee, eine Motto-Party mit Livemusik zu veranstalten. Robin Bauers Rock-’n’-Roll-Halloween, eine der ersten Halloween-Partys Stuttgarts, fand im Limelight statt, einem Club am Olgaeck, der längst das Zeitliche gesegnet hat. Nach Zwischenstationen im    Schlesinger, im Landespavillon und im Zwölfzehn findet die Party 2013 erstmals im Goldmark’s am Charlottenplatz statt.

Politisches Gruselkabinett

Ein Gespräch mit Robin Bauer gleicht einer popkulturellen Standortbestimmung Stuttgarts. Der 41-Jährige ist ein aufmerksamer Beobachter der hiesigen Subkultur. Bauer vermisst in Sachen Vielfalt zwei Institutionen ganz besonders: den Landespavillon und die Röhre: „Nicht nur aus der Sicht des Gastes fehlen beide Läden, auch aus Konzertveranstalterperspektive klafft eine Lücke. Es gibt in der Innenstadt keinen Club mehr, den ich logistisch vernünftig mit einem Nightliner erreiche.“ Die Politik verhalte sich in dieser Frage wie ein Gruselkabinett an Halloween. „Besonders von den Grünen bin ich immer noch enttäuscht, dass sie sich nicht stärker gegen die voreilige Schließung beider Institutionen gewehrt haben.“

Der Halloween-Veteran ist bis heute Teil der S-21-Protest-Bewegung. Bei seinem Rock-’n’-Roll-Halloween geht es aber angenehm politisch inkorrekt zu. Die Deko besteht aus Kürbissen, die Bauers Neffen und Nichten aushöhlen, diversen Skeletten – und einem Sarg. „Der nette Herr, der den SWR-Fundus in Endersbach verwaltet, hat gesagt, dass den vor uns noch keiner haben wollte“, so Bauer. Die erste Party vor dem Halloween-Hype muss eben extra-gruselig sein. Auf die Schminke kommt es an. Wenn sich Thorsten Schwämmle verwandelt, seine Augen mit schwarzer Farbe betont, das Gesicht weiß grundiert und das Totenkopfgebiss aufträgt, verwendet er Fettschminke. „An der perlt der Schweiß einfach ab“, erzählt der 33-Jährige. Es wäre fatal, wenn ihm morgen Abend der Schweiß in die Farbe in die Augen rinnen würde – dann steht Thorsten Schwämmle als Sänger der Band Los Skeleteros in den Wagenhallen auf der Bühne – die Mariachi-Punker sind Teil einer Kultparty, die seit drei Jahren Stuttgart erobert und immer mehr Fans gewinnt: Viele Stuttgarter feiern in der Nacht auf den 1. November den „Dia de los Muertos“ – das mexikanische Totenfest.

Die Lebenden feiern mit den Toten ein Picknick

Wobei „feiern“ in Mexiko durchaus das passende Wort für diesen Tag ist: „In vielen Dörfern gehen die Familien gemeinsam auf den Friedhof und bringen ihren Verstorbenen deren Lieblingsgetränke und -speisen mit“, erzählt Schwämmle, „eine Nacht lang erstehen die Toten wieder auf, und die Lebenden feiern in ihrer Vorstellung mit ihnen ein Picknick.“ Als Schwämmle sich vor Jahren erstmals mit dem mexikanischen Totenfest beschäftigte, war er fasziniert vom fröhlichen und unverkrampften Umgang der Mexikaner mit dem Tod: „Wir haben in Deutschland ein ehrfürchtiges Verhältnis zum Tod – in der Ehrfurcht verbirgt sich die Furcht und damit auch die Angst.“

In Mexiko lacht man über den Tod

Schwämmle entdeckte immer mehr Facetten des „Dia de los Muertos“, die seine Fantasie befeuerten – in Mexiko wird der Heimweg für die Verstorbenen ins Totenreich mit einem bunt bemalten Altar und gelben sowie orangefarbenen Blumen gekennzeichnet. „Dahinter steckt der Glaube, dass die Toten Gelb und Orange sehen können und dadurch aus dem Jenseits geleitet werden.“ In der Art und Weise, wie die Mexikaner ihr Totenfest begehen, zeigt sich, wie der alte indianische und der aus Spanien importierte katholische Glaube sich nach und nach vermischten.

In den Wagenhallen will Thorsten Schwämmle morgen (Einlass von 20 Uhr an) die Stuttgarter dazu bewegen, „die Sache mit dem Tod einmal ein bisschen bunter zu sehen“. Dabei wird eine Tanzgruppe mexikanische Volkstänze aufführen, es gibt neben Punk Akkordeonmusik von Stefan Hiss, der mit seiner Band Los Santos auftritt. „In Mexiko lacht man oft über den Tod“, erzählt Thorsten Schwämmle. Mitunter schmeckt er sogar süß: wenn es Totenköpfe mit Zuckerguss gibt.