Der starke EM-Start gegen Montenegro zeigt, dass Bundestrainer Christian Prokop für sein Deckungssystem die richtigen Handballer nomniert hat, doch die wahren Bewährungsproben kommen noch – schon an diesem Montag (18.15 Uhr/ARD) gegen Slowenien.

Sport: Jürgen Frey (jüf)

Zagreb/Stuttgart - Andreas Wolff humpelte nach seiner überragenden Vorstellung beim 32:19 (17:9) gegen Montenegro mit einem dick bandagierten Knöchel zur Ehrung als „Man of the Match“. Doch trotz der Blessur wird der Torwart an diesem Montag (18.15 Uhr/ARD) gegen Slowenien dabei sein: „Dem Fuß geht es gut. Es tut weh, ist aber keine Verletzung“, gab er Entwarnung, „man muss sich keine Sorgen machen.“ Es wäre ja auch jammerschade, wenn der 1,98-m-Riese vom THW Kiel als Rückhalt der neuformierten Abwehr ausfallen würde. Bundestrainer Christian Prokop setzt zwar genauso wie sein Vorgänger auf eine 6-0-Deckungsformation, doch im Gegensatz zu Dagur Sigrudsson will er sie weitaus offensiver und auch aggressiver sehen. In beiden Formen ist eine kompromisslose Zweikampfführung unabdingbar. Genauso wie bedingungslose Hingabe, totale Aufopferung, die absolute Bereitschaft, Lücken zu stopfen und Fehler der Nebenleute auszubügeln.

 

Diese Mentalität brachte der deutschen Mannschaft beim EM-Triumph 2016 in Polen das Image als Bad Boys. Doch Prokop setzt neue Reize. Für seine Deckungs-Philosophie braucht er bewegliche Spieler, die flink auf den Beinen sind.

Deshalb ließ der neue Bundestrainer den alten Abwehrchef zu Hause. Der 2,10 m große Finn Lemke gehört zu den besten Blockern des Welthandballs. Er funktioniert als defensive Mauer, an der die Bälle abprallen. Doch er gehört eben schon aufgrund seiner Statur nicht zu den Schnellsten. Das zeigte sich zuletzt bei den Testspielen gegen Island. Und auch beim WM-Achtelfinal-Aus 2017 gegen Katar ließ die deutsche Abwehr Rafael Capote (neun Tore) aus dem Rückraum viel zu oft unbedrängt abschließen. Prokop will, dass die gegnerischen Angreifer mutig in den Zweikämpfen attackiert werden, idealerweise bevor diese zum Wurf ansetzen. Seiner Abwehridee entsprechen Spieler wie Maximilian Janke und vor allem Bastian Roscheck.

Roscheck und Janke sind Prokops Musterschüler

Beide hat Prokop als Trainer des SC DHfK Leipzig zu Bundesligaspielern geformt. Er kennt die Qualitäten seiner Musterschüler, sie kennen sein taktisches Konzept. „Für mich waren die beiden schon immer die am meisten unterschätzten Bundesligaspieler“, sagt Rolf Brack, der als Trainer von Frisch Auf Göppingen die gleiche Deckungsphilosophie vertritt wie Prokop. Nicht nur für ihn steht fest: Die neuen deutschen Abwehrkräfte wirkten beim EM-Auftakt gegen Montenegro. Nach 22 Minuten stand es 13:3! Deutschland schaltete in den Testmodus, ohne großartig an Niveau zu verlieren. Dennoch bleiben Fragen. Warum hat Prokop die beiden international völlig unerfahrenen Neulinge nicht schon früher in seinen Kader genommen, um sie noch besser zu integrieren? Und: Wie schlägt sich der Abwehrverbund gegen die Schwergewichte der internationalen Handballbranche mit ihren Weltklasse-Rückraum-Individualisten.

Schon das Spiel gegen den WM-Dritten Slowenien wird erste Aufschlüsse geben. Erst Recht das mögliche Aufeinandertreffen in der Hauptrunde mit Dänemark und seinem Shooter Mikkel Hansen oder das denkbare Duell mit Frankreich und Ausnahmekönner Nikola Karabatic in der Finalrunde. Gut möglich, dass Prokop dann verstärkt auf das defensive, kompakte Innenblock-Tandem Henrik Pekeler/Patrick Wiencek setzt. Oder sogar Lemke nachnominiert. „Prokop hat eine klare Deckungsphilosophie, doch sie ist variabel interpretierbar“, weiß Brack.

Regelauslegung kann für DHB-Team gefährlich werden

Gewisse Risiken hat der Sportwissenschaftler aus Scharnhausen ausgemacht. „Die Schiedsrichter verteilen bei der EM bisher viel mehr Zeitstrafen, als in der Bundesliga. Diese Art zu pfeifen, könnte für Deutschland gefährlich werden.“ Wird ein Zweikampf verloren und beharkt der Abwehrspiele den Angreifer von hinten oder von der Seite, ahnden die Unparteiischen dies schnell mit einer Hinausstellung. Janke bekam dies schon gegen Montenegro zu spüren. Nach drei Zeitstrafen kassierte er in seinem dritten Länderspiel gleich seinen ersten Platzverweis. „Ich hätte gerne ein paar Akzente mehr gesetzt“, sagte der Rechtshänder. Dazu hat er bestimmt noch Gelegenheit. Die Rote Karte zieht keine Sperre nach sich.