Laut einer Studie der IHK stehen jedem Kreisbürger 7540 Euro pro Jahr zur Verfügung, die er im Einzelhandel ausgeben kann. Das ist Rang zwei im Land. Das Problem: Immer mehr davon landet bei Internetanbietern.

Kreis Böblingen - Der Landkreis Böblingen schneidet unter den Landkreisen der Region Stuttgart besonders gut ab, wenn es um die Kaufkraft im Einzelhandel geht. Wie eine Untersuchung der Industrie- und Handelskammer Böblingen (IHK) ergab, sind die Bewohner des Landkreises überdurchschnittlich wohlhabend.

 

Lesen Sie aus unserem Angebot: Wofür der Burger-Index taugt

Insgesamt verfügen sie laut der Studie in diesem Jahr über fast drei Milliarden Euro an einzelhandelsrelevanter Kaufkraft, das entspricht einem Siebtel der regionalen oder knapp vier Prozent des landesweiten Nachfragepotenzials. Pro Einwohner sind das 7540 Euro, womit der Landkreis in der Region Stuttgart bei diesem Kriterium auf dem ersten Platz liegt – vor der Landeshauptstadt und den Landkreisen Ludwigsburg und Esslingen.

„Die Wirtschaft ist erfolgreich und die Einwohner verdienen gut, weshalb sie auch mehr Geld im Einzelhandel ausgeben als in den meisten Kreisen Deutschlands“, erklärt Marion Oker, Leitende Geschäftsführerin der IHK-Bezirkskammer Böblingen, in einer Pressemitteilung. „Von den über 400 Stadt- und Landkreisen der Republik liegt unser Landkreis immerhin auf Rang 17; in Baden-Württemberg sind nur die Einwohner Baden-Badens wohlhabender.“

Lesen Sie aus unserem Angebot: Breuninger darf erweitern

Trotzdem bedeute dies nicht volle Kassen im örtlichen Einzelhandel. Der innerörtliche Handel hätte sich schon vor der Pandemie zwischen peripheren Lagen und dem Internet in Bedrängnis befunden und sei dann durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie in noch größere Nöte geraten, betont Oker. Denn ein gutes Potenzial für Handelsunternehmen bewahre sie nicht vor dem schon vor den Schließungen erkennbaren Trend zum Online-Handel. Und genau dieser Trend habe sich im Lockdown noch dramatisch verschärft. Die Folge seien zunehmend Geschäftsaufgaben und Leerstände auch in den Kernlagen. Das Problem vieler inhabergeführten Betriebe, Nachfolger zu finden, sei ebenfalls zu größeren Teilen diesem Umstand geschuldet.

Ehningen ist Spitze

„Eine große Kaufkraft ist das eine. Wichtig ist aber, dass das Geld auch im lokalen Einzelhandel ankommt“, sagt Oker. Konkrete Herausforderungen gelte es beinahe überall anzugehen. Die IHK werde dazu mindestens bis zum Ende des nächsten Jahres vom Land geförderte Innenstadtberater einsetzen können, um bestimmte Kommunen bei der Bewältigung dieser Herausforderungen zu unterstützen. „Alle Akteure müssen gemeinsam die Ärmel hochkrempeln und mit anpacken, damit unsere Innenstädte weiter attraktiv bleiben“, fordert Oker. Ihre Aussage ergänzt sie um einen weiteren Aspekt: „Wichtig scheint uns auch die Erfahrung, dass Unternehmen, die bereits in einem relevanten Maß digitalisiert sind, leichter durch die Krise kommen.“

In allen 26 Gemeinden des Landkreises liegt die einzelhandelsrelevante Kaufkraft pro Einwohner über dem Bundesdurchschnitt von 6760 Euro. Ehningen liegt dabei mit 8079 Euro um fast 20 Prozent darüber, Grafenau und Leonberg folgen. Selbst das Schlusslicht Mötzingen liegt mit 6877 Euro über dem Bundeswert.

Stationäre Händler verbuchen 2,3 Milliarden Euro

Die stationären Einzelhändler im Kreis verbuchen insgesamt gut 2,3 Milliarden Euro an Umsatz, pro Einwohner entspricht das mit 5885 Euro etwas mehr als fünf Prozent über dem Durchschnitt Deutschlands. In der Region liegt bei diesem Merkmal nur die Landeshauptstadt vor dem Landkreis Böblingen.

Auf kommunaler Ebene kann sich Sindelfingen den Spitzenplatz sichern. Über 660 Millionen Euro klingeln dort in den Kassen der Händler. Auch bei den Pro-Kopf-Werten liegt Sindelfingen vorn: 10 120 Euro bedeuten 81 Prozent über dem Bundeswert. Es folgen Jettingen mit gut 9500 Euro und Böblingen mit knapp 8200 Euro pro Einwohner. Verantwortlich sind dafür großflächige Einzelhandelsbetriebe – allesamt nicht in der Innenstadt, sondern außerhalb in Gewerbegebieten. Sie ziehen Kaufkraft von anderen Gemeinden und den eigenen Innenstädten ab. In vielen Kommunen ist die Versorgung der Bewohner allerdings nicht mehr gesichert: In Magstadt erzielen die örtlichen Händler beispielsweise nicht einmal 2000 Euro pro Kopf an Umsatz. „Die stationären Umsätze müssen aber vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass ein immer größerer Teil der Kaufkraft im Internet landet“, bemerkt Marion Oker.

Kleine Kommunen haben das Nachsehen

Wenn man die Umsätze nicht nur ins Verhältnis zur Einwohnerzahl setzt, sondern dabei auch die Kaufkraft der ansässigen Bevölkerung berücksichtigt, ergibt sich die sogenannte Zentralitätskennziffer. Diese bildet ab, wie stark der Konsum durch Kundschaft von außerhalb geprägt ist. Wie beim Pro-Kopf-Umsatz bleibt Sindelfingen mit einer Kennziffer von 171,6 das Maß aller Dinge im Landkreis, Jettingen folgt mit 161,8 vor Böblingen (130,3). Rutesheims Einzelhandel erzielt einen Umsatz, der zumindest von der Größenordnung her mit der einheimischen Kaufkraft erklärt werden kann (95,5).

Ab dem nachfolgenden Leonberg verlieren jedoch alle anderen Gemeinden des Landkreises deutlich ansässige Kaufkraft an die Händler in anderen Gemeinden, schreibt die IHK. Die Gemeinden Aidlingen und Magstadt zeigen, dass nur etwa ein Drittel der Kaufkraft ihrer Einwohner im Ort ausgegeben wird, der größere Teil fließt ans Umland oder ins Internet. „An vielen Standorten gilt es, sich diesem Trend entgegenzustellen“, betont Oker.

Immer mehr Geld fließt in die Freizeit

Einzelhandelsrelevante Kaufkraft
Die Statistiker gehen davon aus, dass rund 30 Prozent des Geldes, das den Durchschnittsdeutschen zum Konsum zur Verfügung steht, im Einzelhandel ausgegeben wird. Dieser Wert wird immer geringer, je wohlhabender eine Gesellschaft ist. In der Nachkriegszeit, sagt Martin Eisenmann, Handelsexperte der IHK Böblingen, lag dieser Wert noch bei rund 80 Prozent. Heutzutage fließt ein großer Teil des zur Verfügung stehenden Geldes nicht mehr in Güter des täglichen Bedarfs, sondern in Investitionen für Reisen, Freizeit- und Sportvergnügen, Restaurantbesuche und Versicherungen.

Studie
Die komplette Auswertung aller Gemeinden des Landkreises Böblingen ist auf www.stuttgart.ihk.de/boeblingen, Dok-Nr. 4140398 zu finden. mis