Über drei Jahre hat Matthias Kästner in seinem Laden in der temporären Einkaufsmeile fair gehandelte Produkte aus Portugal verkauft. Ende Juni ist Schluss in der Calwer Passage, Ende August geht’s aber in der Rotebühlstraße weiter.

S-West - Am Anfang war die Orange. Eine herrlich aromatische, süße, saftige, sonnenverwöhnte Orange, die allen in Stuttgart den Kopf verdrehte. Matthias Kästner hatte sie aus Portugal mitgebracht und einhellige Reaktionen damit geerntet: Mehr! Wir wollen mehr davon! Dass daraus binnen weniger Jahre ein europäisches Vorzeigemodell für fairen Handel werden würde, ahnte damals freilich noch niemand. Obwohl: Kästner ist von Natur aus einer, der gern größer denkt. Um nicht zu sagen: Richtig groß.

 

Ein politischer Beitrag für Portugal

Die Geschichte von Pois ist deswegen die Geschichte einer großen Liebe. Mit 18 trampte Kästner erstmals in das Land am Atlantik. Und verfiel der Natur, den Menschen, der Lebensart und den Produkten sofort. Seither kommt er jedes Jahr wieder – und irgendwann erwuchs aus dem jährlichen Urlaub eine Idee: Warum nicht mal diese wunderbaren Produkte nach Deutschland überführen und dort unter die Leute bringen? Warum nicht den dortigen Bauern helfen? „Das Land und die Menschen haben mir so viel geschenkt, dass ich mit Pois etwas zurückgeben möchte“, sagt er. „Ich will dem Land helfen – als mein politischer Beitrag.“

Der ist ihm wichtig. Kästner kommt aus der Bürgerbewegung, war lange ein aktiver und passionierter Gegner von S 21. Allein: „Daran habe ich mich ziemlich aufgerieben.“ Sein Fairhandelskonzept Pois ist da natürlich eine deutlich heilsamere Methode, die Welt zu verändern. Orangen statt Transparente also. Heute hat Pois 13 Mitarbeiter, zudem arbeitet Kästner derzeit mit 107 Bauern aus Portugal zusammen. 40 Prozent davon sind biozertifiziert. Wichtig ist ihm das nicht: „Für mich ist biologischer Anbau eigentlich eine Selbstverständlichkeit und die Zertifizierung laut EU-Recht sowieso bedenklich“, sagt er. „Also bin ich alle fünf Wochen selbst vor Ort, um mir anzuschauen, wie die Bauern anbauen, und um Fragen zu beantworten. Der Rest läuft über Vertrauen.“

Weg von der Marktwirtschaft hin zu einer ökologischen Landwirtschaft

Dieses Vertrauen hat er sich auch mit seinem ungewöhnlichen Ansatz erarbeitet. Er will „weg von der Marktwirtschaft“, wie er betont. „Der Bauer bekommt das ganze Jahr über das gleiche Geld – und seine Produkte kosten bei mir das ganze Jahr ebenfalls das gleiche Geld.“ Kästner ist ein Mann mit starker Meinung, einer, der gern Taten sprechen lässt. Er zahlt das Vielfache von dem, was die Bauern auf dem Großmarkt erzielen würden. Das sichert ihnen ihren Lebensunterhalt und ermöglicht ihnen, nachhaltig zu arbeiten. „Ich will zeigen, dass fairer Handel in Europa möglich ist“, sagt er. Und nicht nur das: „Meine Kunden sagen, dass es im Großraum Stuttgart keine besseren Orangen und Avocados gibt.“

Seit 2013 hat er einen Hofladen in Winnenden, seit April 2015 ist er im Fluxus. Nach dem Ende der temporären Einkaufsmeile wird Pois zunächst freitags und samstags in der Galerie Kernweine Obst und Gemüse verkaufen, ab dem 31. August ist der Laden dann an der Rotebühlstraße 90 im Modeladen Twentytwo zuhause.

Eine Eröffnungssause mit portugiesischen Winzern und Erzeugern ist für den 22. September geplant, passend zu Schätze des Westens. „Die Besitzerin Susanne Lohrmann schlug eine Ladengemeinschaft vor, eine Art Mini-Fluxus. Das fand ich sofort super – und der Laden war Liebe auf den ersten Blick“, so Kästner.

Dennoch betont er im selben Atemzug, dass Pois nicht einfach nur ein Obst- und Gemüseladen fürs Quartier ist. „Ich habe eine Fairhandelsidee, bei der mein Laden eher ein Showroom ist, um auf das Projekt aufmerksam zu machen.“ Schon jetzt beliefert Pois viele Restaurants, Bars und Privatpersonen. Und es dürfen ruhig noch ein Paar mehr werden.

Die Idee sollte dringend Nachahmer finden

Übrigens nicht nur in Sachen Portugal. Er wünsche sich, dass seine Idee möglichst viele Nachahmer findet. Nachahmer, die mit Griechenland, Malta oder Spanien das gleiche machen wie er mit Portugal. „Aber dafür braucht man entweder einen, der Kohle hat oder einen Verrückten.“

Kästner pausiert kurz, rückt seine Brille zurecht, grinst. „Kohle hatte ich zumindest nicht . . .“