Frauen können neben der fachlichen Kompetenz mit ihrer Beratungsfähigkeit punkten.
Stuttgart - Wenn man einen Elektriker oder Klempner ruft, dann steht meistens ein Mann in blauer Latzhose vor der Tür. Auch bei Stuckateuren, Maurern und Fliesenlegern denkt man nicht unbedingt zuerst an eine Frau. Doch das Handwerk ist vielschichtig - es reicht von A wie Augenoptikerin bis Z wie Zweiradmechaniker. „Wir reden hier über 100 Branchen”, erklärt Gerd Kistenfeger, Pressesprecher der Handwerkskammer Stuttgart. Trotzdem nimmt er eine Differenzierung vor: „Der gewerblich-technische Bereich und das Baugewerbe sind stark männerdominiert.” Dazu gehören zum Beispiel Gerüstbauer, Dachdecker und Karosseriebauer. „Frauen dagegen sind eher in kreativen Berufen zu finden - etwa als Friseurin, Schneiderin, Buchbinderin oder Fotografin.”
Eine dieser Kreativen ist Stephanie Henzler: Ihr war schon in der Schule klar, dass sie Goldschmiedin werden wollte. Einfach war das nicht, denn es gab kaum Ausbildungsplätze. Sie hielt trotzdem hartnäckig an ihrem Berufswunsch fest und stellte sich einfach bei einem Goldschmied für Hochzeitsschmuck vor. „Auch wenn jemand nicht ausbilden will, sollte man hingehen und seine Unterlagen abgeben”, lautet ihr Rat. Ihre Eigeninitiative wurde belohnt: Sie bekam ihren Ausbildungsplatz. Die Alternative wäre eine Goldschmiedeschule gewesen, aber die konnte sie mit 17 nicht finanzieren.
Bei Eheringen ist die Beratung und Menschenkenntnis wichtig
Ihr Arbeitgeber hat seine Entscheidung nie bereut, denn Henzler brachte viel Kreativität und Gespür für die Kunden mit. Deshalb durfte sie schon als Lehrling Ringe gestalten. „Eheringe sind sehr individuell, da sind Menschenkenntnis und eine gute Beratung wichtig”, so Henzler. Obwohl sie bei all ihren Arbeitgebern immer viel Gestaltungsfreiheit bekam, wollte sie unabhängig sein und machte sich selbstständig. Das bedeutete aber ein finanzielles Risiko: „Wenn ich mich beim heutigen Goldpreis um ein paar Gramm verrechne, macht das gleich mehrere Hundert Euro aus.” Um den Kunden ihr Handwerk näherzubringen, betreibt sie ihre Werkstatt im Laden. „Dann sehen sie, wie viel Arbeit dahintersteckt, und dass die Preise gerechtfertigt sind.”
Ihre Erfahrungen gibt sie gerne weiter. Im September 2011 hat sie zwei Auszubildende eingestellt. „Eigentlich wollte ich nur eine Mitarbeiterin, aber wenn ein Mädchen handwerklich begabt ist, gebe ich ihr gerne eine Chance.” Sie weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, auf der Straße zu stehen und keine Perspektive zu haben. Ihren Azubis gewährt sie dieselben Freiheiten, die sie selbst genoss: „Sie dürfen allein oder zusammen mit mir Kunden beraten.” Das setzt ein hohes Vertrauen voraus. „Wenn ein Kunde einen Einkaräter abgibt, muss man alles genau aufschreiben.”
Es muss nicht nur das Produkt, sondern auch die Chemie stimmen
Kreativität, Menschenkenntnis und Beratungskompetenz braucht auch eine Raumausstatterin. Das war nicht immer so: „Früher reichte es, ein guter Handwerker zu sein”, erklärt Patricia Haller, die schon als Kind ihren Vater auf die Baustelle begleitete. Als ihr Großvater 1935 den Familienbetrieb gründete, gab es üblicherweise nur einen Raumausstatter in einem Ort, der 20 Stoffballen anbot. „Heute haben wir 2000 Stoffe zur Auswahl und sind drei- bis viermal beim Kunden zu Hause, bevor wir mit der eigentlichen Arbeit beginnen. Da muss nicht nur das Produkt, sondern auch die Chemie stimmen.” Durch die lange Familientradition ist sie quasi in den Beruf hineingewachsen. „Mein Vater hat mich aber nie dazu genötigt”, betont sie, „das war von Anfang an meine Entscheidung.” 1982 begann sie ihre Lehre. Neun von zehn Azubis waren Männer, und auch in der Meisterschule (1996-97) sah es kaum anders aus. „Damals musste man noch hart anpacken, Bodenbeläge abschleifen oder schwere Böden in den vierten Stock schleppen.” Heute werden viele Arbeiten von Maschinen übernommen, aber es bleibt ein Beruf mit Körpereinsatz. „Wir Mädchen kamen damals hauptsächlich aus Raumausstatter-Familien.” Das ist heute anders, aber viele denken, es geht nur um ein bisschen dekorieren. „Die sind dann ganz überrascht, wie schwer die Arbeit ist”, so Haller.
Haller hätte die Ausbildung im elterlichen Betrieb machen und danach gleich dort anfangen können, aber das wollte sie nicht. „Bis zur Betriebsübernahme habe ich immer nur auswärts gearbeitet, insgesamt in vier Unternehmen.” Das ist ungewöhnlich, denn ihre Gesellen- und Meisterkollegen arbeiteten alle zu Hause. „Neue Impulse und Fähigkeiten bekommt man aber nur, wenn man über den Tellerrand schaut.” Ihrem Vater rechnet sie hoch an, dass er sie in dieser Entscheidung unterstützte. So konnte sie in Firmen mit unterschiedlichen Schwerpunkten - vom reinen Handwerk bis hin zum Art Director mit hochwertigen Textilien - ihre Erfahrungen sammeln.
Gegen Vorurteile hilft nur fachliche Kompetenz
Inzwischen macht sie den Job seit 30 Jahren, die Hälfte der Zeit als Firmenchefin. Für die Betriebsübernahme musste sie die Meisterprüfung ablegen. Das ist heute nicht mehr nötig, aber der Meisterbrief hat ihr viele Türen geöffnet: „Als Frau hat man damit ein ganz anderes Standing.” Kistenfeger bestätigt: „Gegen Vorurteile hilft nur fachliche Kompetenz, zum Beispiel wenn eine Frau bei Prüfungen eine Nasenlänge voraus ist.” Junge Unternehmerinnen hätten anfangs sowohl bei Kunden als auch bei Mitarbeitern zu kämpfen. „Mit einem soliden Auftritt, Kommunikationsfähigkeit und Beratungskompetenz ist diese Phase jedoch schnell überwunden”, so Kistenfeger.
Haller ist froh, dass ihr Vater ihr von Anfang an vertraute und sich nicht - wie in vielen anderen Fällen - auch noch im Ruhestand einmischt. „Ich durfte meine Entscheidungen immer selbst treffen und umsetzen, auch wenn mein Vater es anders gemacht hätte”, sagt sie. Sie hat den Laden komplett umgekrempelt, um ihre eigene Persönlichkeit einzubringen. Das war ein finanzieller Kraftakt: „Ich war mir der Tragweite der Firmenübernahme anfangs gar nicht bewusst.” Sie musste sich mit Architekten beraten, ein Marketingkonzept entwickeln, Alleinstellungsmerkmale herausfiltern. Sie macht Schulungen - etwa zu Beratung, Verkaufspsychologie und Farbkenntnis. „Viele Kunden lassen sich in Sachen Wohntextilien lieber von einer Frau beraten”, hat Haller festgestellt. Für die konkrete Umsetzung der Kundenprojekte arbeitet sie dann mit Dienstleistern zusammen, etwa mit Malern, Schreinern und Näherinnen.