SPD–Frau Hannelore Kraft hat Chancen, Ministerpräsidentin zu werden. Um wie die Frau von nebenan zu wirken, gibt sie sich transsparent.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)
Düsseldorf - Hinter dem zäh dahinfließenden Rhein geht die Sonne unter und sendet ihre letzten warmen Strahlen des Tages in das Untergeschoss des Düsseldorfer Landtags, doch für die Genossen geht sie gerade erst auf. Was vor Monaten noch unmöglich schien, wird nun fassbar: die Rückkehr zur Macht am 9. Mai. Wer wollte es ihnen verdenken, dass die Arbeitnehmervertreter beim Empfang der SPD-Landtagsfraktion applaudieren, als stünde der einstige Übervater Johannes Rau unter ihnen, um eine neue sozialdemokratische Ära in Nordrhein-Westfalen zu verheißen. Dabei wurde lediglich ein neues Umfrageresultat verkündet, wonach Rot-Grün deutlich vor Schwarz-Gelb liegen und die Linkspartei auf der Strecke bleiben könnte.

Selbst der SPD-Pressesprecher reagiert ungläubig, denn die Zahlen hat das relativ unbekannte Forschungsinstitut Omniquest ermittelt. Egal. Entscheidend sei der Trend, wie die Spitzenkandidatin Hannelore Kraft meint. Der Trend führt womöglich in die Staatskanzlei. Seit vielen Jahren hat das Bier den Genossen im Landtag nicht so gut geschmeckt. Die Arbeitnehmervertreter haben ihre SPD wieder lieb, heißt es, und nur wenige warnen: "Dat ist doch wie beim Fußball", grantelt einer. "Erst die Klappe aufreißen und sagen: Schalke gewinnt, und dann kommt die Pleite."

Hannelore Kraft hat die SPD an Rhein und Ruhr wiederbelebt - weniger, weil sie eine blendende Figur machte, sondern weil ihre Gegner so dramatisch an Glanz eingebüßt haben. Die Frontfrau der Partei hat wenig gemein mit den früheren SPD-Ministerpräsidenten Peer Steinbrück oder Wolfgang Clement, ihrem Entdecker - auch nichts mit Johannes Rau, der zwei Jahrzehnte lang das Land regiert hat. Mit dem früheren Landesvater hatte sie nur eine Begegnung, die ihr nachhaltig in Erinnerung blieb. Das war 2001, als sie NRW-Europaministerin geworden und Rau schon Bundespräsident war. Von einer Renaissance soll nun keine Rede sein: "Die SPD ist heute eine andere Partei als unter Johannes Rau", sagt sie. "Wir müssen neue Wege ausprobieren."

Gerne kokettiert die Genossin Kraft mit Privatem


Als legitimen Nachfolger von Bruder Johannes, dem guten Menschen aus Wuppertal, sieht sich seit 2005 ohnehin Jürgen Rüttgers. Der selbst ernannte Arbeiterführer nimmt Rau so offen für seine Zwecke in Anspruch, dass er schon als Bruder Jürgen tituliert wird, der gute Mensch aus Pulheim. In der SPD bezeichnen sie ihn freilich als "Erbschleicher" und "Raubkopie".