Reportage: Frank Buchmeier (buc)

Die Besucher trudeln in der Stuttgarter Altbauwohnung ein – bunt gemischtes Großstadtvolk, das seine Schuhe brav vor der Eingangstür stehen lässt. Normalerweise laden Carolin Stickel und Daniel Pfefferle regionale Popgruppen ein, bei ihnen im Wohnzimmer zu spielen. Kürzlich war der Sänger Jumaa mit seiner Band zu Gast. „Da hatten wir mehr als 50 Leute hier, die Stimmung war gigantisch“, erzählt Pfefferle. Die Lesung mit Hannes Finkbeiner sei ein Experiment. „Caro und ich wollen einfach mal sehen, ob wir auch mit Literatur einen coolen Abend hinbekommen.“

 

Im Frühjahr 2014 geschieht auf der Leipziger Buchmesse ein Wunder: Gleich vier renommierte Verlage interessieren sich für „Jogginghosen-Henry“, der größte von ihnen – Heyne – erhält den Zuschlag. Hannes Finkbeiner bekommt einen erfahrenen Lektor zur Seite gestellt, jetzt muss der Nachwuchsautor so schnell wie möglich 300 Romanseiten produzieren.

Jeden Tag von morgens um acht bis mittags um eins schreibt Finkbeiner. Mehr geht nicht, weil seiner Fantasie nach fünf Stunden die Puste ausgeht. Anfangs zweifelt er an seiner Geschichte. „Ich habe das Gefühl, dass ich totale Scheiße fabriziere“, sagt er einmal zu seinem Lektor. Doch irgendwann fließen die Sätze wie von allein in den Laptop: „Es war, als würde mir Henry seine Geschichte erzählen.“

Lesungen als Multimediashow

Früher ist das Publikum zufrieden gewesen, wenn ein Schriftsteller an einem Tisch saß, sein Werk rezitierte und zwischendurch an einem Wasserglas nippte. Seit der Jahrtausendwende entwickeln sich Lesungen immer mehr zu Multimediashows. Der Bestsellerautor Frank Schätzing präsentiert seine Science-Fiction-Thriller beispielsweise mit wuchtigen Filmprojektionen und lässt eine israelische Sängerin als „Special Guest“ auftreten. Hannes Finkbeiner hat immerhin einen Lautsprecher mit integriertem Subwoofer nach Stuttgart mitgebracht, den er per Bluetooth mit seinem iPhone verbindet. Wenn es in seinem Buch donnert, soll es auch in seiner Lesung donnern. Und wenn es die Trash-Metal-Band Slayer in seinem Buch krachen lässt, sollen auch in seiner Lesung die Slayer-Gitarren krachen.

„Jogginghosen-Henry“ erzählt die Geschichte eines jungen Mannes aus der Provinz, der sich auf Rockfestivals rumtreibt. Es ist ein moderner Bildungsroman in der Tradition von amerikanischen Klassikern wie J. D. Salingers „Fänger im Roggen“ oder Harper Lees „Wer die Nachtigall stört“. Er handelt von Liebe, Religion, Kunst und Tod, also von allem, was die Menschheit beschäftigt. Meist ist „Jogginghosen-Henry“ komisch, manchmal tragisch. Er wolle seinen Lesern „Unterhaltung bieten, die nicht ganz blöd ist“, sagt Hannes Finkbeiner.

Die Besucher trudeln in der Stuttgarter Altbauwohnung ein – bunt gemischtes Großstadtvolk, das seine Schuhe brav vor der Eingangstür stehen lässt. Normalerweise laden Carolin Stickel und Daniel Pfefferle regionale Popgruppen ein, bei ihnen im Wohnzimmer zu spielen. Kürzlich war der Sänger Jumaa mit seiner Band zu Gast. „Da hatten wir mehr als 50 Leute hier, die Stimmung war gigantisch“, erzählt Pfefferle. Die Lesung mit Hannes Finkbeiner sei ein Experiment. „Caro und ich wollen einfach mal sehen, ob wir auch mit Literatur einen coolen Abend hinbekommen.“

Im Frühjahr 2014 geschieht auf der Leipziger Buchmesse ein Wunder: Gleich vier renommierte Verlage interessieren sich für „Jogginghosen-Henry“, der größte von ihnen – Heyne – erhält den Zuschlag. Hannes Finkbeiner bekommt einen erfahrenen Lektor zur Seite gestellt, jetzt muss der Nachwuchsautor so schnell wie möglich 300 Romanseiten produzieren.

Jeden Tag von morgens um acht bis mittags um eins schreibt Finkbeiner. Mehr geht nicht, weil seiner Fantasie nach fünf Stunden die Puste ausgeht. Anfangs zweifelt er an seiner Geschichte. „Ich habe das Gefühl, dass ich totale Scheiße fabriziere“, sagt er einmal zu seinem Lektor. Doch irgendwann fließen die Sätze wie von allein in den Laptop: „Es war, als würde mir Henry seine Geschichte erzählen.“

Lesungen als Multimediashow

Früher ist das Publikum zufrieden gewesen, wenn ein Schriftsteller an einem Tisch saß, sein Werk rezitierte und zwischendurch an einem Wasserglas nippte. Seit der Jahrtausendwende entwickeln sich Lesungen immer mehr zu Multimediashows. Der Bestsellerautor Frank Schätzing präsentiert seine Science-Fiction-Thriller beispielsweise mit wuchtigen Filmprojektionen und lässt eine israelische Sängerin als „Special Guest“ auftreten. Hannes Finkbeiner hat immerhin einen Lautsprecher mit integriertem Subwoofer nach Stuttgart mitgebracht, den er per Bluetooth mit seinem iPhone verbindet. Wenn es in seinem Buch donnert, soll es auch in seiner Lesung donnern. Und wenn es die Trash-Metal-Band Slayer in seinem Buch krachen lässt, sollen auch in seiner Lesung die Slayer-Gitarren krachen.

„Jogginghosen-Henry“ erzählt die Geschichte eines jungen Mannes aus der Provinz, der sich auf Rockfestivals rumtreibt. Es ist ein moderner Bildungsroman in der Tradition von amerikanischen Klassikern wie J. D. Salingers „Fänger im Roggen“ oder Harper Lees „Wer die Nachtigall stört“. Er handelt von Liebe, Religion, Kunst und Tod, also von allem, was die Menschheit beschäftigt. Meist ist „Jogginghosen-Henry“ komisch, manchmal tragisch. Er wolle seinen Lesern „Unterhaltung bieten, die nicht ganz blöd ist“, sagt Hannes Finkbeiner.

Trotz der Sommerhitze füllt sich die Altbauwohnung. Auf dem Balkon drängen sich rauchende Männer um eine reizende Künstlerin, die von ihrem neuesten Projekt erzählt. Im Esszimmer schaufeln sich hungrige Gäste mitgebrachte Fleischbällchen, Nudelsalate und Schokotörtchen auf die Teller. Nebenan im Wohnzimmer sind die Sofaplätze bereits belegt, der Großteil des Publikums muss sich mit dem Laminat begnügen. Um halb neun beginnt Hannes Finkbeiner seine Performance: „Ich freu’ mich total, hier zu sein!“

Werbeplakate in Kneipen

Wenn jemand ein Buch in einem großen Verlag veröffentlicht, dann bemüht sich der Verlag, dieses Buch zu vermarkten. Heyne präsentierte die Neuerscheinung „Jogginghosen-Henry“ auf seiner Homepage und ließ quer durch die Republik tausend Werbeplakate in Kneipen aufhängen. Der Verlag erwartet aber auch, dass der Autor selbst etwas dafür tut, dass sein Buch von möglichst vielen Freunden der Literatur entdeckt wird. Folglich postet Finkbeiner täglich bei Facebook Neuigkeiten über sich und sein Erstlingswerk, und in einem Youtube-Video sieht man den Autor lesend auf einem Rockfestival-Dixie-Klo. Ohne ständige Internetpräsenz geht nichts mehr.

Gleichzeitig versucht Hannes Finkbeiner, sein Produkt direkt an den Kunden zu bringen. Zu der WG-Lesung hat er 30 Exemplare vom „Jogginghosen-Henry“ mitgebracht und neben dem Bücherstapel einen Hut als Kasse platziert. Als Finkbeiner die ersten Sätze vorliest, sitzt er noch ruhig auf einem Metallhocker: „Lehrer habe ich immer als Wesen aus einer anderen Welt empfunden, als Außerirdische – nicht unbedingt böswillig, das nicht, aber sie kommunizieren in einer Sprache, die mir fremd und unverständlich war.“ Finkbeiner springt auf, wippt von einem Fuß auf den anderen und ruft: „Die Wolken waren schwarz, nicht grau, schwarz! Irgendwo, tief im Bauch des Schulgebäudes, fiel mit einem dumpfen Knall eine Tür ins Schloss – ich sag’ Ihnen, so fangen Horrorfilme an!“ An dieser Textstelle gibt es digitales Gewitterdonnern vom iPhone.

Schon die Veröffentlichung ist ein Erfolg

In Deutschland leben viele Menschen, die ihren Namen gerne auf einem Buchdeckel sehen würden. Allein beim Heyne Verlag landen pro Jahr rund 10 000 Manuskripte, veröffentlicht werden etwa 650 Titel. So gesehen, gehört Finkbeiner zu den erfolgreichen Autoren, was allerdings nichts über seinen wirtschaftlichen Erfolg sagt. Laut Künstlersozialkasse verdient ein Schriftsteller durchschnittlich weniger als ein Müllmann: monatlich 1400 Euro brutto.

Hannes Finkbeiner will nicht über seinen Vertrag mit Heyne sprechen. Geht man von den üblichen Konditionen in der Branche aus, hat er für den „Jogginghosen-Henry“ ein Garantiehonorar von 10 000 Euro bekommen. Zusätzliche Zahlungen erhält er nur, wenn mehr als 10 000 Exemplare verkauft werden – pro Stück etwa einen Euro. Finanziell betrachtet steht sein Aufwand von etwa einem Jahr Schreibarbeit also in einem Missverhältnis zu seinem Ertrag. Doch vielleicht spielt Geld keine große Rolle, wenn man genügend Anerkennung bekommt. Über die sozialen Netzwerke erreichen Finkbeiner Komplimente wie: „Unfassbar geiles Buch! Henry hat mich so gefesselt, dass ich ihn innerhalb von drei Tagen geschafft habe und jetzt enttäuscht bin, dass ich fertig bin.“ In solchen Momenten gibt es wohl nichts Schöneres, als Schriftsteller zu sein.

„Gibt es Fragen?“

Nach gut einer Stunde ist die Wohnzimmerlesung vorbei. Das Publikum klatscht rhythmisch, so als fordere es eine Zugabe. Hannes Finkbeiner bedankt sich strahlend. „Gibt es Fragen?“

Ein Baseballkappen-Träger, Mitte 20, will wissen, wie viel vom realen Hannes in der Romanfigur Henry stecke. „Auch ich liebe seit meiner Jugend Heavy Metal, war viel auf Rockfestivals unterwegs, mag keinen Früchtetee und halte alle Nazis für gehirnamputiert“, antwortet Hannes Finkbeiner. Alles Weitere gerne im Anschluss bei einem Bierchen.

Es werden dann einige Flaschen Tannenzäpfle. Gegen halb vier schläft Hannes Finkbeiner mit einem mittleren Seegang im Kopf auf dem Sofa ein. Um acht muss er sich auf den Heimweg machen, in Braunschweig erwarten ihn seine Frau Francesca und sein zweijähriger Sohn Theo. Der Schriftsteller Hannes Finkbeiner schleppt 17 Bücher zum ICE, 13 hat er nach der Lesung in der Altbauwohnung verkauft. Glücklicherweise hat seine Frau eine Festanstellung.