König von Kreuzberg, Quälix für Ex-Außenminister Joschka Fischer: Hans-Christian Ströbele zählt zum Urgestein der Grünen. Jetzt nimmt er seinen Abschied im Bundestag.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Wenn es nach Hans-Christian Ströbele geht, kann ihm das ganze Abschieds-Gedöns gestohlen bleiben. Seine Berliner Parteifreunde haben dem leidenschaftlichen Vegetarier und Milchtrinker bereits im Frühjahr die Patenschaft für eine Brandenburger Kuh zum Abschied geschenkt. Spätestens damit wäre es nach seinem Geschmack wohl genug. Eine Abschiedsrede werde er nicht halten, von Terminen für Abschiedsporträts will er nichts wissen, lässt er wissen. Im Übrigen plane er „bis Ende September auch im Rahmen seines Bundestagsmandats ausgesprochen aktiv zu sein“.

 

Friedrichshain-Kreuzberg hat Ströbele berühmt gemacht – und umgekehrt

Ströbele verlässt den Bundestag nach insgesamt 21 Jahren Mitgliedschaft. Damit geht eine Legende. Eine Marke ist der Mann mit den weißen Haaren und buschigen Augenbrauen, der meist Jeans und – wenn’s kalt ist – einen roten Schal trägt, nicht nur in Berlin. Dass die Identifikationsfigur der linken Grünen, dessen parteipolitisches Engagement ganz früher einmal bei der SPD begann, seinen Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg vier Mal als Direktkandidat gewonnen hat, macht ihn zum Solitär in der parlamentarischen Geschichte der Grünen. 2013 holte er „nur“ noch 39,9 Prozent der Erststimmen – nach 46,7 Prozent vier Jahre zuvor. Dass die Zweitstimmenergebnisse der Grünen deutlich unter solchen Traumwerten bleiben und selbst Ströbeles innerparteilicher Antipode Joschka Fischer bei seiner letzten Bundestagswahl 2005 vergleichsweise bescheidene 18,8 Prozent der Erststimmen in Frankfurt holte, macht Ströbeles Kultstatus messbar.

Eine Chance hatte er nicht, aber die hat er genutzt

Überhaupt: Ströbele und Fischer. Wenn da nicht die Sache mit Edward Snowden und Ströbeles unermüdlicher Einsatz gegen die NSA-Aktivitäten und den Überwachungsstaat wären, könnte man annehmen, dass er seine besten Zeiten in der rot-grünen Regierungszeit hatte. Damals avancierte er zum Schrecken der Grünen. Mit dem frechen Slogan „Ströbele wählen heißt Fischer quälen“ zog der frühere RAF-Anwalt 2002 ohne sicheren Listenplatz in den Wahlkampf.

Eine Chance hatte er nicht – aber die hat er, ganz Sponti, genutzt und gewonnen. Zuvor hatte der durch die Studentenproteste und die Erschießung Benno Ohnesorgs politisierte Ströbele die rot-grüne Koalition mit sieben Mitstreitern dem maximalen Stresstest unterzogen. Alle acht waren sie gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan, den Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein Außenminister Joschka Fischer nach den Al-Kaida-Anschlägen auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington für notwendig hielten. Spätestens als Schröder die Abstimmung über den Auslandseinsatz mit der Vertrauensfrage über den Kanzler verknüpfte, waren das zwei mehr, als die Koalition vertragen konnte. Dass Ströbele mit Nein stimmen würde, stand immer fest. Zugleich aber war er es, der den Weg aus dem Dilemma fand: Stellvertretend für alle acht stimmten vier Grüne gegen den Bundeswehreinsatz und die vier anderen für Kanzler und Koalition.

Alt-68er und Revoluzzer auf Lebenszeit – aber mit Gentleman-Qualitäten

Ströbeles Klare-Kante-Profil als Kriegsgegner und aufrechter Linker schadete der machttaktische Coup nicht, im Gegenteil. Vielleicht offenbart sich darin sogar ein Geheimnis seiner politischen Ausstrahlung: Ströbele ist eine perfekte Mischung aus antiautoritären und bürgerlichen Charakteristiken. Zwar hat der „Spiegel“ ihn irgendwann zum „König von Kreuzberg“ ausgerufen, aber als Privatmann wohnt er immer noch in der Eigentumswohnung im bürgerlichen Charlottenburg. Zwar wurde er vom Geist der 68er-Jahre geprägt, ist für die Freigabe von Cannabis und gegen den autoritären Staat, aber er ist verheiratet und hat nie gekifft. Auch wenn er nach wie vor für die Revolution ist, wie er vor Kurzem in einem Interview erklärte, findet er es heute „vielleicht besser so“, dass die Vorstellungen, die er 1996 von einer besseren Verfassung und Machtverteilung hatte, nie Wirklichkeit geworden sind. Zwar hat Ströbele – selbst Wehrdienstleistender – bei den Debatten über Bundeswehreinsätze in den rot-grünen Jahren klare Gegenposition zur Realolinie gehalten und dafür in der Fraktion viel Prügel bezogen. „Aber selbst nach härtesten Auseinandersetzungen hat er immer noch richtig nett mit Joschka geredet“, erzählt einer, der dabei war.

Ströbele hat zum Abschied noch einmal darauf gedrungen, dass das Wahlprogramm einen Leitfaden für Kriegseinsätze der Bundeswehr enthalten müsse. Die Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt übernahm die Würdigung des 78-Jährigen. „Mit dir geht das Gesicht von 1968 aus der deutschen Politik“, erklärte sie. Jahrzehnte von Bürgerrechtsgeschichte habe Ströbele geprägt „vor den Grünen, mit den Grünen und für uns Grüne“. Ströbeles Besuch beim prominentesten Whistleblower der Welt, Edward Snowden, in Moskau bezeichnete Göring-Eckardt als „größten Stunt der Legislaturperiode“. Der Parteitag tobte.