Der Abstand hatte etwas Positives: „Ich habe immer ein sehr gutes Verhältnis zu meinen Eltern gehabt.“ Das litt auch nicht, wenn der kleine Star („Ich hielt mich für was Besonderes“) beim Heimatbesuch von ihnen sanft geerdet wurde, indem sie ihn zum Einkaufen schickten. Milch holen – er, der Kruzianer!? Der Stadt Schwarzenberg ist Rademann bis heute verbunden, jedes Jahr leitet er ein Konzert in St. Georgen, die säulenlose Hallenkirche gilt ihm nicht nur als barocker Bau, sondern zugleich als Konzertraum als nahezu ideal.

 

Zwingender, wirkungsreicher als im Biografischen definiert sich für Rademann Herkunft in der Musik. Und da wird es dann doch ziemlich aktuell, denn ihn lockt es herauszufinden, was das Spezifische eines Werks ausmacht, was es vom anderen unterscheidet – und es möglicherweise wertvoller macht. Rademacher hat keine Probleme, Komponisten zu benennen und zu missbilligen, die heutzutage in der Chorliteratur allzu glatt eine publikumsnahe Süffigkeit bedienen oder die mit handwerklich bedenklichen Mitteln schlichte Erfolge feiern. Allein, deren Namen will er nicht nennen. Auch, weil sie beim Musikfest auf dem Programm stehen?

Leicht ließe sich solche Diskretion auf 25 Jahre DDR-Sozialisation reduzieren. Doch die Taten eines Musikers sind nicht in seinen Äußerungen zu finden. Nicht jeder Lautsprecher und Meinungsventilator steht auf dem Dirigentenpodest gleichermaßen seinen Mann. Rademann wird an seinen Aufführungen und inzwischen etlichen CD-Aufnahmen gemessen.

Claudio Abbado inspiriert den angehenden Dirigenten

Der Hang zum Podium setzte in der siebten Klasse ein: Dirigent wollte er werden, einmal vor der Dresdner Staatskapelle stehen. Der Wunsch erfüllte sich 1990 mit Brahms’ Deutschem Requiem. Rademann erinnert sich, dass ihn ein Verdi-Requiem darin bestärkte, das Claudio Abbado Anfang der achtziger Jahre bei den  Musikfestspielen in Dresden dirigierte, ebenso wie Konzerte mit Bernard Haitink: „Der konnte allein mit seinem Schlag den Klang transparent machen.“

Vorbei. Rademann will nicht zurückschauen, denn das erste Jahr hier habe ihn ansonsten enorm beflügelt. Und als Realist weiß er: „Der Idealfall tritt leider nicht ein.“

Andere Probleme müssen angegangen werden. Rademann sieht die Bachakademie mitten in einem Umbruch. Die Rilling-Fans bleiben aus – und nicht nur die, auch langjährige Unterstützer, und das betrübt ihn, gerade jetzt, wo es um die Sache geht. Es bröckelt also, und das neue, junge Publikum, das sich für seine Arbeit und neue Angebote der IBA interessiert, füllt noch nicht die Säle.

„Herkunft“ heißt das Motto des Musikfests

Da ist er wieder: der Schatten. Helmuth Rilling. Der Vorgänger ist ungebrochen aktiv, mit einem neu gegründeten „Bach Ensemble Helmuth Rilling“ tritt er in der kommenden Saison in Deutschland und Moskau auf. Eine Woche nachdem Rademann mit dem Bach-Collegium Stuttgart und der Gächinger Kantorei im Dezember in der Liederhalle das Weihnachtsoratorium aufführen wird, hat sich Rilling mit seinem Bachensemble und der Chorakademie Lübeck in Esslingen und Leonberg angekündigt. Mit dem Weihnachtsoratorium. Die Unschärfe, besonders in der internationalen Wahrnehmung, wer da für welche Institution mit welchem Ensemble unterwegs ist, kann Hans-Christoph Rademann nicht gefallen. Aber er kommentiert es nicht.

Bei aller äußeren Zurückhaltung: der enorme Wille dieses Musikers ist offenkundig. Ebenso wie seine Beharrungs- und Bindungskraft. „Herkunft“ heißt das Motto des Musikfests – ein Thema, das nicht gesucht wirkt, sondern Rademann tatsächlich etwas zu bedeuten scheint. Das könnte Brisantes bergen, wenn man an die gegenwärtige Debatte denkt, die politische Korrektheit zum heiligen Gral erhebt und Herkunft darum als einen Begriff verteufelt, der Trennendes benennt – und das darf in einer Gesellschaft nicht sein, die die Gleichheit ihrer Mitglieder postuliert, ungeachtet der Realitäten.

Rademann freilich setzt tiefer an: „Herkunft ist erst einmal Heimat“, sagt er beim abendlichen Termin und bestellt statt mediterraner Dorade lieber Matjesfilet mit Bratkartoffeln. Rademanns Wurzeln liegen im Erzgebirge. In Dresden geboren, wuchs er in Schwarzenberg auf, sein Vater war Kirchenmusiker, und früh half Hans-Christoph an der Orgel beim Registrieren. Genauso früh wusste er, dass er ein Musiker ist – und verfolgte sein Ziel mit Sturheit. Mit zehn wollte er in den Dresdner Kreuzchor, die Eltern waren dagegen, er setzte sich durch, obwohl ihn im Internat in der gut 120 Kilometer entfernten Elbestadt dann heftiges Heimweh erwischte.

Rademann ist bis heute seiner Heimat Schwarzenberg verbunden

Der Abstand hatte etwas Positives: „Ich habe immer ein sehr gutes Verhältnis zu meinen Eltern gehabt.“ Das litt auch nicht, wenn der kleine Star („Ich hielt mich für was Besonderes“) beim Heimatbesuch von ihnen sanft geerdet wurde, indem sie ihn zum Einkaufen schickten. Milch holen – er, der Kruzianer!? Der Stadt Schwarzenberg ist Rademann bis heute verbunden, jedes Jahr leitet er ein Konzert in St. Georgen, die säulenlose Hallenkirche gilt ihm nicht nur als barocker Bau, sondern zugleich als Konzertraum als nahezu ideal.

Zwingender, wirkungsreicher als im Biografischen definiert sich für Rademann Herkunft in der Musik. Und da wird es dann doch ziemlich aktuell, denn ihn lockt es herauszufinden, was das Spezifische eines Werks ausmacht, was es vom anderen unterscheidet – und es möglicherweise wertvoller macht. Rademacher hat keine Probleme, Komponisten zu benennen und zu missbilligen, die heutzutage in der Chorliteratur allzu glatt eine publikumsnahe Süffigkeit bedienen oder die mit handwerklich bedenklichen Mitteln schlichte Erfolge feiern. Allein, deren Namen will er nicht nennen. Auch, weil sie beim Musikfest auf dem Programm stehen?

Leicht ließe sich solche Diskretion auf 25 Jahre DDR-Sozialisation reduzieren. Doch die Taten eines Musikers sind nicht in seinen Äußerungen zu finden. Nicht jeder Lautsprecher und Meinungsventilator steht auf dem Dirigentenpodest gleichermaßen seinen Mann. Rademann wird an seinen Aufführungen und inzwischen etlichen CD-Aufnahmen gemessen.

Claudio Abbado inspiriert den angehenden Dirigenten

Der Hang zum Podium setzte in der siebten Klasse ein: Dirigent wollte er werden, einmal vor der Dresdner Staatskapelle stehen. Der Wunsch erfüllte sich 1990 mit Brahms’ Deutschem Requiem. Rademann erinnert sich, dass ihn ein Verdi-Requiem darin bestärkte, das Claudio Abbado Anfang der achtziger Jahre bei den  Musikfestspielen in Dresden dirigierte, ebenso wie Konzerte mit Bernard Haitink: „Der konnte allein mit seinem Schlag den Klang transparent machen.“

Immer wieder spricht Rademann vom Klang als einer zentralen musikalischen Kategorie, und als „absoluter Bildermensch“, der er ist, versucht er oft durch Anschauung das Werk und seine Essenz zu entschlüsseln. „Im besten Fall laufen die Bilder bei Aufführungen wie ein Film mit.“ Es wundert nicht, dass ihn eine der ersten Reisen nach der Wende nach Colmar führte, zum Isenheimer Altar, der für ihn in der Musik von Heinrich Schütz einen Echoraum gefunden hat. Für Rademann, dessen Schütz-Gesamtaufnahme beim Carus Verlag mit dem von ihm gegründeten Dresdner Kammerchor gerade bei Volume neun angekommen ist, hat Schütz „am besten die Bibel allein musikalisch, also ohne Beifügung des Worts, erklären können“.

Die frühe Begeisterung für die barocken Meister brachte ihn zwangsläufig zur historischen Aufführungspraxis. Noch als Student war er der Erste, der in Dresden Händels „Messias“ und Bachs Weihnachtsoratorium mit alten Instrumenten aufführte. Dieser neue Stil, die Inspiration durch Musiker wie René Jacobs hat ihn als Musiker vorangebracht. Er hat mit Concerto Köln gearbeitet und der Akademie für Alte Musik Berlin. Künftig soll die Aufführungspraxis bei der Bachakademie stärker Einzug halten, deswegen ist das Freiburger Barockorchester jetzt beim Musikfest Residenzorchester.

Rademann sieht in der Gächinger Kantorei großes Potenzial

Von Bewährtem ausgehend, sieht Rademann andererseits bei der Gächinger Kantorei großes Potenzial: „Was das Arbeitstempo betrifft, ist das der schnellste Chor, den ich kenne.“ Und der Dirigent kennt etliche. Um nur drei zu nennen: er hat mit Herreweghes Collegium Vocale Gent gearbeitet, war Chefdirigent beim NDR-Chor und leitet bis 2015 den Rias-Kammerchor. Die Gächinger sollen wieder „Weltspitze werden“. Selbstbewusst sagt er das, wissend, dass es allein in Stuttgart Frieder Bernius’ Kammerchor und das SWR-Vokalensemble gibt – beides Gruppen, von denen er voller Hochachtung spricht.

Auch wenn bei ihm die „Alarmglocken“ schrillen, wenn es heißt, das normale Konzert habe ausgedient – neuen Ästhetiken und Vermittlungsformen steht Hans-Christoph Rademann äußerst offen gegenüber. Manche aus dem Bachakademie-Umfeld müssen davon erst überzeugt werden. „Singet dem Herrn ein neues Lied“ zitiere er immer, wenn er die IBA-Unterstützer von Uraufführungen und Neuerungen überzeugen möchte. Vielleicht unbeabsichtigt hat Hans-Christoph Rademann da einen tauglichen Schlüssel gefunden: Mit Bibelworten hat man es in manchen Stuttgarter Kreisen etwas leichter.