Berlin - Man begegnet Hans-Georg Maaßen dieser Tage immer wieder im politischen Betrieb. Es ist ein durchaus überraschendes Comeback. Als Verfassungsschutzchef widersprach Maaßen 2018 der Position der Bundesregierung, wonach es in Chemnitz zu Hetzjagden auf Ausländer gekommen war. Innenminister Horst Seehofer (CSU) ordnete einen Wechsel als Staatssekretär ins Innenministerium an. Doch als Maaßen auf seiner These beharrte und schwere Vorwürfe gegen Medien und Politik erhob, ließ ihn Seehofer fallen.
Herr Maaßen, markieren die Ereignisse in Chemnitz für Sie persönlich eher einen Verlust oder einen Neubeginn?
Chemnitz ist nicht verantwortlich dafür, wie die Dinge für mich gelaufen sind. Ich bin aus dem Amt damals ausgeschieden. Die Umstände waren nicht schön. Es war ein tiefer Einschnitt. Andererseits hatte es auch sein Gutes, denn mir war seit längerem klar: Ich muss irgendwann gehen. 24 Stunden, sieben Tage die Woche und für mehr als sechs Jahre diesen Job zu machen, das zehrt an der Gesundheit.
War es nur die Belastung?
Wesentlichen Anteil hatte natürlich die Diskussion über angebliche Hetzjagden nach dem Chemnitzer Stadtfest Ende August 2018. Ich will auf die Debatte um diesen Begriff nicht mehr näher eingehen. Das liegt hinter mir. Aber auch unabhängig davon stand ich bereits davor lange Zeit durch Linke und Grüne politisch unter Beschuss. Ich hatte den Eindruck, dass es nahezu jährlich Kampagnen gegen mich gab, ob im Zusammenhang mit Edward Snowden oder mit netzpolitik.org.
Seit Ihrer Versetzung in den Ruhestand sind Sie bei der WerteUnion, einer sehr konservativen Gruppierung innerhalb von CDU und CSU.
Wobei ich mich nicht als konservativ bezeichnen würde.
Sondern?
Ich betrachte mich als Realisten. Ich stamme aus einer eher linken, katholischen Familie. Die WerteUnion nennt sich zwar konservativ. Aber es geht nicht um den Blick nach hinten, sondern darum nüchtern und realistisch auf der Grundlage von Werten Entscheidungen für morgen zu treffen. Ich stimme mit den Positionen der WerteUnion, die teilweise sehr kritisch sind, überein. Sie betreffen eine Reihe politischer Entscheidungen, die dieses Land in den vergangenen Jahren stark zum Negativen verändert haben.
Zum Beispiel?
Ich habe große Zweifel, was den Kohle- und Atomausstieg anbelangt. Beides ist aus umweltpolitischen Gründen wünschenswert. Aber beides gleichzeitig anzugehen, halte ich für fatal für den Industriestandort Deutschland.
Der Chef der WerteUnion, Alexander Mitsch, ist vor allem durch seine wiederholten Rücktrittsforderungen an Kanzlerin Angela Merkel aufgefallen. Schließen Sie sich dieser Forderung an?
Herr Mitsch ist nicht der einzige, der das fordert. Aber in der Union ist er derjenige, der das am pointiertesten vorbringt. Er und die Kollegen der WerteUnion sagen aber auch: Entscheidend sind nicht Personen. Das ist auch meine feste Überzeugung. Entscheidend sind Positionen und Überzeugungen. Ich glaube, wir brauchen in Deutschland eine Politikwende, und zwar im Großen. Das betrifft die Innen- , Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik. Deutschland liegt zurück. Es liegt eine bleierne Schicht über diesem Land. Es passiert nichts. Wir haben eine Politik der eingeschlafenen Hände und Füße.
In welche Richtung sollte es sich Ihrer Meinung nach wenden?
Hinter uns liegen die fetten Jahre mit hohen Steuereinnahmen. Das Geld ist in dieser Zeit aber nicht dort angekommen, wo es nötig war, etwa bei Straßen, Bahnhöfen oder Schultoiletten. Wir haben uns in den guten Jahren nicht so fortentwickelt, wie wir es hätten können. Nun liegen dürrere Jahr vor uns. Das heißt, für das, was nötig wäre, wird erst recht kein Geld ausgegeben. Auch bei Schlüsseltechniken im IT-Bereich hinkt Deutschland hinterher. Wir sind von China abhängig beim Ausbau der digitalen Infrastruktur. Das ist ein Offenbarungseid. Oder sehen Sie sich die Entwicklungen von künstlicher Intelligenz an. Da müssen wir bei den Investitionen klotzen. Es braucht eine mentale Wende.
Warum läuft es Ihrer Ansicht nach schief?
Von der SPD ist sehr viel Geld ausgegeben worden für die sozialdemokratische Klientel. Sozialleistungen sind erhöht worden. Und schauen Sie sich mal an, wieviel Geld für Migration ausgegeben wird.
Sie meinen, die Ausgaben für die Migranten der letzten Jahre sind verantwortlich für den Investitionsstau in Deutschland?
Es bestand keine Verpflichtung, Asylsuchende in dieser großen Zahl nach Deutschland zu lassen.
Wobei viele Beschlüsse in der Asyl- und Sozialpolitik keineswegs einsamen SPD-Entscheidungen waren. Die Koalitionspartner CDU und CSU haben diese Politik mitgetragen.
Das ist richtig. Wir reden aber jetzt darüber, was die WerteUnion besser machen will. Und es gibt einfach Bereiche, in denen müssen wir massiv aufholen.
Ihre Ausführungen klingen insgesamt wie eine Bewerbungsrede für ein politisches Amt. Trügt der Eindruck?
Ich bin ein politischer Mensch und habe schon immer über meinen beruflichen Tellerrand geblickt. Das bedeutet nicht, dass ich ein politisches Amt anstrebe. Aber ich schließe nichts aus.
Was würden Sie der sächsischen CDU raten, wenn sie nach der Wahl vor der Entscheidung steht, eine Koalition mit der AfD oder eine Vierparteien-Regierung einzugehen?
Schwierige Frage. Das Ziel sollte sein, dass die CDU die stärkste Kraft in Sachsen wird und es weder die Linke noch die AfD braucht, um eine tragfähige Regierung zu bilden. Unser Favorit als Koalitionspartner ist die FDP.
Fährt Sachsens CDU-Chef und Ministerpräsident Michael Kretschmer den richtigen Kurs, indem er das Problem des Rechtsextremismus im Freistaat klarer benennt als seine Vorgänger.
Ja. Wir haben in Deutschland ein Problem mit Rechtsextremismus. Leider hat es in den vergangenen Jahren zugenommen, und zwar sowohl die absolute Zahl der Rechtsextremisten als auch die der Gewaltbereiten in der Szene. Hinzu kommt, dass wir immer wieder Kleinstgruppen identifiziert haben, die Anschläge planten oder vorbereiteten. Das hat mir große Sorgen bereitet. Wir haben aber zugleich ein Problem mit Linksextremismus, etwa beim G20-Gipfel in Hamburg oder in Sachsen im Leipziger Stadtteil Connewitz. Auch der radikale und gewaltbereite Islamismus bleibt hochproblematisch.
In Österreich hat rund anderthalb Jahre lang eine Koalition aus konservativer ÖVP und der rechtspopulistischen FPÖ regiert. Kürzlich kam es zum Bruch. Wäre ein Bündnis aus CDU und AfD für Deutschland eine Option oder lehrt Österreich, dass dieses Modell keine Zukunft hat?
Wir können nicht alle rechten Parteien in Europa gleichsetzen. Es gibt ein Spektrum von Rechtspopulisten bis hin zu Rechtsextremen. Und unter den Rechtspopulisten gibt es welche, mit denen kann man reden, und solche, die untragbar sind. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache wäre ohne das so genannte Ibiza-Video noch im Amt und auch die Koalition mit der ÖVP gäbe es noch. Das Ziel der CDU muss sein, aus eigener Kraft so stark zu werden, dass man keine Unterstützung der AfD braucht. Ich kann mir sogar unter bestimmten Umständen vorstellen, dass die Union bundesweit wieder auf 40 Prozent kommen kann.
Wo verläuft die Trennlinie zwischen tragbaren und untragbaren Rechtspopulisten?
Rechtspopulistisch und rechtsradikal bedeutet aus Sicht des Verfassungsschutzes, dass Positionen noch weitgehend von der Meinungsfreiheit gedeckt sind. Rechtsextrem heißt dagegen, dass eine Gruppierung die freiheitlich -demokratische Grundordnung bekämpft und deshalb beobachtet werden muss. Politisch würde ich aber auch nichts mit Rechtsradikalen zu tun haben wollen. Sie sind keine akzeptablen Partner.
Sie sagen, die CDU lasse sich wieder auf 40 Prozent bringen. Welche Wählerschichten wollen Sie dazugewinnen?
Diese Herangehensweise ist zu machtstrategisch. Dahinter steht die Überlegung, dass sich die CDU so verändern muss, dass sie möglichst viele Stimmen erhält. Die WerteUnion schaut nicht auf die Popularität etwa einer Klima-Aktivistin Greta Thunberg oder eines Youtubers Rezo. Wir versuchen vielmehr, mit unseren eigenen Positionen Mehrheiten zu gewinnen. Eine solche Haltung hatte früher auch die CDU. Die heutige CDU richtet sich hingegen programmatisch danach aus, wo sie ‚neue Kundschaft‘ finden kann. Für einen Unternehmer mag das richtig sein, aber nicht für eine Partei.
Welche CDU-Positionen sehen Sie denn vernachlässigt?
Vor allem die Themen Sicherheit und Migration. Viele Menschen verstehen nicht, dass die Politik über diese Themen so wenig diskutiert. Viele haben beispielsweise die Erwartung, dass es an den Grenzen Zurückweisungen gibt. Sie wollen, dass darüber auch in der CDU konfrontativ debattiert wird.
Wobei die Große Koalition beinahe am unionsinternen Streit um Abweisungen von Migranten zerbrochen ist. Man kann nicht sagen, dass darüber nicht diskutiert worden sei. Hätten Sie sich gewünscht, dass sich die CSU durchsetzt, die für Abweisungen an der Grenze war?
Ja, das habe ich mir damals gewünscht.
Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf Andrea Nahles. Die SPD-Chefin wollte Sie im vergangenen Herbst aus dem Amt haben. Jetzt ist auch Nahles als SPD-Vorsitzende Geschichte.
Dass es für Frau Nahles so ausgehen würde, war nahe liegend. Sie konnte es halt nicht. Das habe ich damals auch gemerkt. Die SPD hat ein Personalproblem. Sie hat niemanden, der es kann. Es tut mir leid für die Partei. Deutschland hat mit zwei starken Volksparteien über Jahrzehnte gute Erfahrungen gemacht. Dass die SPD so stark absackt und nur noch eine Funktionärspartei ist, ist nicht gut für die Bundesrepublik.
Hat die CDU eine Chance, dem Schicksal der SPD zu entgehen?
Sagen wir so: Wenn die CDU so weitermacht wie bisher, wenn sie also auch künftig dem Zeitgeist hinterher rennt, die SPD und die Grünen thematisch enteignet, eine Politik macht, die nicht ihre eigene ist, und Positionen übernimmt, ohne auf die eigenen Werte zu achten, wird sich die Abwärtskurve für die Union unvermindert fortsetzen. Dann wird auch die CDU irgendwann bei 20 Prozent landen. Oder sogar noch darunter.