Ganz schön viel los auf den Brücken der beiden wichtigsten deutschen Verlagstanker. Während Suhrkamp nach einer Art Meuterei des Minderheitsgesellschafters seit einigen Tagen führungslos vor sich hindümpelt, gibt einer der letzten großen Entdecker alten Schlags auf dem Ozean der Literatur nun überraschend das Kommando ab.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Ganz schön viel los auf den Brücken der beiden wichtigsten deutschen Verlagstanker. Während Suhrkamp nach einer Art Meuterei des Minderheitsgesellschafters seit einigen Tagen führungslos vor sich hindümpelt, gibt einer der letzten großen Entdecker alten Schlags auf dem Ozean der Literatur nun überraschend das Kommando ab. Ein großer Teil der 14 Nobelpreisträger, mit denen sich der Münchner Carl Hanser Verlag, Trophäen gleich, schmücken kann, wurden von dem scheidenden Geschäftsführer Michael Krüger erobert. Seit 1986 leitet er den Literaturverlag, und zwar so erfolgreich, dass das Haus, eines der wenigen in Deutschland, das nicht zu einem großen Konzern gehört, plötzlich mit Literatur mehr verdiente als mit seinem Fachverlag. 1995 brachte ihm dies die Leitung des gesamten Unternehmens ein, einen Posten, den er bis heute, oder wie man jetzt genauer weiß, noch bis Ende nächsten Jahres bekleidet.

 

Man könnte die deutsche Geistesgeschichte, findet man schon Gefallen an Heldenmären, als die Geschichte zweier Männer erzählen: Der eine wäre Siegfried Unseld, dessen Suhrkamp-Kultur gewissermaßen das geistige Rückgrat der jungen Bundesrepublik bildete. Der andere wäre Michael Krüger, der nicht weniger prägend wirkt, auch wenn sich der Begriff einer Hanser-Kultur nicht in vergleichbarer Weise durchgesetzt hat. Es reicht jedoch, die Verlagsprospekte der letzten Jahre und Jahrzehnte zu durchblättern, um sich einen umfassenden Überblick über die weltliterarisch tonangebenden Autoren und Autorinnen zu verschaffen, wie gesagt vielfach geadelt vom Votum des Stockholmer Nobelpreiskomitees, wofür unter anderen die Namen Herta Müller, Orhan Pamuk, Seamus Heaney, Tomas Tranströmer oder zuletzt Mo Yan stehen.

Erfolgte Krügers Rückzug nicht ganz freiwillig?

Noch auf der letzten Buchmesse in Frankfurt erklärte der vor einigen Tagen 69 Jahre alt gewordene Krüger verschmitzt auf die Frage seiner Zukunftsplanung, er wolle noch so lange weitermachen, bis sein Autor Philip Roth endlich den längst fälligen Nobelpreis gewonnen haben würde. Und wer weiß, welchen Anteil an der überraschenden Wendung Roths Ankündigung hat, nie wieder einen Roman schreiben zu wollen.

Doch soll Krügers Rückzug nicht ganz freiwillig erfolgt sein. Und wollte man näher bestimmen, was sich hinter diesem Gemunkel verbirgt, empfiehlt es sich, noch etwas weiter als bis zur letzten Messe zurückblicken, auf die diesjährigen Buchtage in Berlin, bei denen der große alte Herr der Verlagsbranche mit allem ins Gericht ging, was seinen hohen Begriff des Literarischen zu unterwandern droht. Seine Philippika, die im Rückblick wie ein Vermächtnis erscheint, wandte sich gegen den Fluch der Digitalisierung, den Triumph der Entsinnlichung, wie er mit den neuen Medien, E-Books zumal, einhergehe. Und die Abrechnung mit einer „brutal voranschreitenden , rücksichtslos operierenden digitalen Gesellschaft“ gipfelte in dem Ausruf: „Wir sind doch nicht Buchhändler geworden, um der deutschen Comedy Weltgeltung zu verschaffen! Dem Heimatkrimi! Dem Erotikratgeber!“ Demgegenüber beschwor er den berauschenden Geruch der Druckereien, eine Zeit, in der er mit Druckerschwärze an den Händen zur Freien Universität in Berlin geeilt war – und Literatur, die auf der Voraussetzung beruht, den Mensch aus den Selbsterhaltungsanforderungen heraustreten zu lassen, ohne ihm sein geistiges Eigentum zu rauben.

Krüger: „Zauber des Hanser-Profils bewahren“

In der Querelle des Anciennes et des Modernes, die die Buchbranche gegenwärtig erschüttert, hat sich die Doppelbegabung Krüger, der als Lyriker bei Suhrkamp verlegt wird, eindeutig auf die Seite der Alten geschlagen. Und auch wenn er seinem Verlag auch in Zukunft als Herausgeber erhalten bleibt, lässt doch aufhorchen, was in der Hanser-Presseerklärung seinem designierten Nachfolger Jo Lendle zugute gehalten wird: Er verkörpere den modernen Verleger, der den Veränderungen des Medienmarktes mit verlegerischem Weitblick und kaufmännischer Umsicht begegne – mit ausdrücklichem Verweis auf seine Haltung in Fragen der Digitalisierung und des Urheberrechts, jenen Bereichen also, in denen Krüger ausgesprochen konservative Positionen bezogen hat.

Der 44-jährige Lendle, wie Krüger sowohl auf Seiten der sogenannten Verwerter wie als Suhrkamp-Autor aktiv, ist seit diesem Jahr Geschäftsführer des DuMont-Literaturverlags, dem er seit 2006 als Programmleiter dazu verhalf, dass dessen Literatursparte mit Autoren wie Haruki Murakami oder Jan Brandt wieder konkurrenzfähig wurde. Er gilt als ausgesprochen E-Bookfreundlich. Darin eine Gefährdung klassischer Buchverlage zu sehen, liegt ihm fern: „Wenn es keine Filter gibt, herrscht erst einmal Rauschen“, sagte er kürzlich in einem Interview auf die Frage, ob künftig an den Verlagen vorbei produziert würde: „Es ist kein wahnsinnig großes Vergnügen, ein unlektoriertes Buch zu lesen.“

Zu den Verdiensten Krügers zählte nicht unbedingt, seine Nachfolge sehr engagiert geregelt zu haben. Man darf also gespannt darauf sein, wie Lendle seine Ankündigung, den „Zauber des Hanser-Profils“ bewahren und ausbauen zu wollen, einlöst.