Christiane, Tochter des Reutlinger Künstlers HAP Grieshaber, hat ihre schwäbische Heimat  vor mehr als vier Jahrzehnten verlassen. Als Nani Croze schuf sie sich in Kenia ein buntes Paradies aus Glas und Stein. Zu Besuch bei einer rastlosen Frau.

Reutlingen/Nairobi - „Dogs! . . . Dogs! . . . Dogs!“ Bevor die Nacht sich über das Dorf Kitengela senkt, tönt Nani Crozes Ruf unüberhörbar über das Gelände, durchdringt Hauswände und die üppige tropische Vegetation. Und schon scharen sich elf Hunde um ihre Herrin. In ihrem Schlepptau taucht auch einer der Askaris auf, wie in Kenia die Nachtwächter genannt werden, eine große Sisaltasche über der Schulter, in der sich vielerlei Gemüse und reichlich Toastbrot befinden. Dann beginnt der abendliche Rundgang über das weitläufige Anwesen.

 

Einer Prozession gleich führt er zu den mehr als vierzig schwarzen Schweinen, die Nani Croze Sorgen bereiten, weil ihre kenianischen Angestellten sich mit dem fachgerechten Schlachten schwertun. Dann werden einige zig Meter weiter die beiden Strauße mit Salat versorgt, wobei sehr auf die fütternden Finger geachtet werden muss. Auch die zwei Dromedare erhalten kleine Leckerbissen. Und zum Schluss widmet sich das abendliche Ritual den Pferden und Eseln. Die Hunde toben derweil über das weite Grasland, das vor dreißig Jahren noch keine Zäune kannte.

HAP Grieshabers Tochter Christiane, genannt Nani, hat es nicht lange in ihrer schwäbischen Heimat gehalten. Aber wer einmal das Künstlerdomizil des berühmten Holzschneiders auf der Achalm bei Reutlingen gesehen und erlebt hat, erkennt im schöpferischen Chaos von Kitengela die Wurzeln, die dem Leben von Nani Croze Farbe verleihen, aber auch Halt geben. Wenn ihre Jugendfreundin Heidrun sich erinnert, wie einst die Hühner durch das Wohnhaus der Grieshabers gackerten, an den bissigen Affen denkt, den der Künstler oft künstlerisch verarbeitete, an Sveina, das stramme Islandpferd, an die Bubenspiele der beiden Mädchen, die gemeinsam die Reutlinger Waldorfschule besuchten, dann versteht man, was Nani Croze meint: „Ich bin frei aufgewachsen und frei geblieben.“

Als Gänsemädchen bei Konrad Lorenz

Der Weg nach Afrika war deshalb nicht zwingend vorgezeichnet. Als die wilde Tochter „nicht mehr guttat“, wie es Ende der fünfziger Jahre auch im unbürgerlichen Hause Grieshaber hieß, landete sie in einem Internat in England. Sie studierte Biologie und wurde im bayerischen Seewiesen eines der „Gänsemädchen“ bei dem berühmten Verhaltensforscher Konrad Lorenz. Sie forschte in Oxford und lebte in einem Hausboot auf der Themse.

In der englischen Universitätsstadt wurde auch ihr erster Sohn Anselm geboren, der heute ihr Nachbar in Kitengela ist. Sie heiratete den Amerikaner Harvey Croze, was den Standesbeamten im verträumt-provinziellen Eningen fragen ließ, warum es denn unbedingt ein Mann aus Übersee sein müsse: es gebe doch so viele nette Deutsche. Das junge Paar fand 1968 eine passende Beschäftigung in der Serengeti, und damit fiel auch die Entscheidung zu Gunsten Afrikas. Nach der Arbeit in Tansania zogen die Crozes weiter nach Kenia, zuerst in die Teeplantagen bei Limuru und dann in den Bannkreis der Hauptstadt Nairobi.

Der Vater HAP trug sein finanzielles Scherflein dazu bei, dass sich seine Tochter Nani am Rand des Nationalparks, der südlich an Nairobi grenzt, ein ansehnliches Stück Land erwerben konnte. Kitengela wurde 1979 zu ihrer Heimat, die sie seitdem unermüdlich zu einem Gesamtkunstwerk gestaltet hat. Die Ehe hielt nicht, auch wenn der Sohn Anselm inzwischen zwei Geschwister hatte: Katrineka und Lengai. Der Partner Harvey, inzwischen in Diensten der Vereinten Nationen, hielt so viel Natur mit Lehmhütten und Insekten nicht aus. Seinen Platz nahm wenig später der deutlich ältere Eric Krystall ein. Im Gegensatz zu seiner umtriebigen Frau ist Krystall, ein ehemaliger Mitarbeiter der Welternährungsorganisation FAO, ein Mensch, der in sich selbst ruht.

Das Glas lässt ihn nicht mehr los

Beharrlich hat sich Nani Croze lange Zeit gewehrt, Künstlerin zu werden. Die Erinnerung an das Elternhaus auf der Achalm verband sie mit dem Geruch von Terpentin und anderen Materialien des Holz bearbeitenden Vaters. Ein solches Umfeld, glaubte sie, könne sie nicht mehr aushalten. Aber schon in der Serengeti ließen die Abwehrkräfte nach. Sie begann zu malen. Und als sie in der Teeregion um Limuru erkannte, dass sich mit Bildern die Kinderbetreuung bezahlen ließ, war der Bann gebrochen. Zunächst illustriert sie eine Kinderzeitschrift und malt Ölbilder. „Ein Bild rutschte aber mal von der Wand, die Termiten hatten Holz und Stoff angefressen, das reichte mir dann.“

Ein Architekt, ungarischer Jude, sollte zum Wegweiser für Nani Crozes künftige Lebensspur werden. „Du musst Kirchenfenster malen“, schlug er vor. Es gibt in Kenia, das ganz überwiegend ein christliches Land ist, Kirchen wie Sand am Meer. Glas – das war es! Drei Wochen ging sie nach England, um sich Grundkenntnisse im Umgang mit dem zerbrechlichen Material anzueignen. Heute blickt sie versonnen zurück: „Wer einmal mit Glas angefangen hat, den lässt es nicht mehr los“, sagt sie.

In Kenia war Glas ein unbekannter Werkstoff. Nani Croze wurde gewarnt: Es gibt keinen Kenianer, der Glas blasen kann. Und jedermann wusste, wie teuer der Import war. Nani Croze schrieb Kirche auf Kirche an. Sie alle hatten noch nie etwas von bunten Glasfenstern gehört.

Ein rastloser Mensch

Das sollte sich ändern. Sie führte Betonglas ein, das unter Experten als Dalle de Verre bekannt ist. Was Nani Croze mit diesem Material künstlerisch möglich macht, kann man nicht nur im Nationalmuseum in Nairobi bestaunen, sondern auch in Kirchen und Krankenhäusern. Glasmosaike zieren Wände in Hotels, in UN-Gebäuden und auch im Goethe-Institut.

Altglas ist ein Rohstoff, der auch im Plastikzeitalter in Kenia genügend vorhanden ist. Es wird eingeschmolzen und nicht nur zu großen Kunstwerken verarbeitet. In der hauseigenen Galerie, aber auch in zwei Geschäften in Nairobi findet sich eine breite Produktpalette. Nani Crozes Hang zum Ungewöhnlichen ist unübersehbar. Die Trinkgläser weisen überraschende Formen auf. Die afrikanische Tierwelt prägt das eine oder andere Design. Wuchtige Metalltische, ausgelegt mit Glasmosaiken, sind im Angebot. In der Perlenwerkstatt entstehen verspielte Ketten, Vorhänge aus Glasperlen oder Windspiele. Lebensgroße Massai-Frauen in einer Glas-Zement-Metall-Kombination faszinierten auch den deutschen Politiker Klaus Töpfer, der lange Jahre den Vereinten Nationen in Nairobi diente. Er erwarb nicht nur eine der Figuren, sondern die Töpfers waren von Kitengela als Ganzes begeistert.

Nani Croze ist ein rastloser Mensch. Sie wird nie die Hände in den Schoß legen. „Mama“, wie sie von ihren rund 80 Angestellten genannt wird, ist überall auf dem 14 Hektar großen Anwesen präsent. Es gibt kaum einen Winkel, den sie nicht gestaltet hat. Fabelwesen beäugen einen überall auf dem Gelände. Mosaikbänder führen zu verschachtelten Werkstätten und einer Unzahl kleiner und größerer Häuser, die auch an Gäste vermietet werden. Yusuf, ein Nubier, hat mit einheimischen Materialien und mit Hilfe vieler Massai, die bei Nani in Lohn und Brot stehen, die Häuser gebaut: aus Lehm, Holz, Beton, gebündeltem Rohr und Glas. Besonders Türme liebt Nani: „Sie brauchen wenig Platz, und man hat einen schönen Blick.“ Nicht nur einer steht auf ihrem Grund. Auch in ihrer Ruheoase in Watamu am Indischen Ozean ist Nani Crozes „Eco-Tower“ ihr Erkennungszeichen.

Sie liebt ihre Kunst und ihre Tiere

Es scheint keineswegs klar zu sein, ob Nani Croze mehr ihr Glas oder mehr ihre Tiere liebt. Die Paviane, die sich mit Vorliebe am Pool tummeln, vielleicht weniger. Und auch nicht die gefährlichen Wildtiere, die Kitengela blutige Besuche abstatten. Wie drei Löwen im vergangenen Juli, die drei Eseln den Garaus machten. Ahnungslos begruben die kenianischen Angestellten in Abwesenheit Nani Crozes die Eselreste. Das wiederum fanden die Hyänen aus dem Nationalpark eine gute Idee und gruben die Kadaver in der Nacht darauf gierig aus. Geliebt aber sind die elf Hunde von Tolstoi bis Coco, die wachsamen Gänse, Craig, der zahme Kronenkranich, und der uralte ägyptische Geier, der nie fliegen gelernt hat.

Neben ihrem Einsatz für die Glaskunst und für verwaiste Tiere engagiert sich Nani Croze auch für die von ihr gegründete Waldorfschule im nahe gelegenen Stadtteil Mbagathi. 330 Jungen und Mädchen werden von 19 Lehrern in schmucken Pavillons unterrichtet. Unermüdlich versucht sie, Sponsoren aufzutreiben, mit deren Hilfe der Schulbetrieb aufrechterhalten und ausgebaut werden kann. Das bringt oft schwer nachvollziehbare Konflikte mit der kenianischen Bürokratie mit sich.

Keine Lust auf Schnee

Am Herzen liegt ihr aber auch, das Selbstbewusstsein kenianischer Künstler zu stärken. Zu diesem Zweck hat sie vor drei Jahren einen Jahreskalender zusammengestellt, der Woche für Woche einen einheimischen Künstler vorstellt. Wenn sie Wochenendkurse für Kinder veranstaltet, in denen diese kreative Mosaikbilder zusammenfügen, legt sie vielleicht schon den Grund für eine künftige Künstlergeneration. Und so schwebt ihr auch vor, Sommerschulen zu veranstalten, wie es im niederbayerischen Frauenau der deutsche Glaskünstler Erwin Eisch vormacht. Und noch einen Zukunftstraum träumt sie: den von einer Glasfachschule. Das Grundstück dafür wäre schon vorhanden.

Nani Croze ist inzwischen 69 Jahre alt und auf dem Papier noch unverändert deutsche Staatsbürgerin. Nicht, weil sie sich ein Hintertürchen offenhalten will. Solcher Formkram ist ihr nicht wichtig. Afrika ist ihre Welt, an der sie „in keinem Moment“ etwas auszusetzen hat. Nach Europa zurück? „Keine zehn Pferde würden das schaffen“, ist sie sich sicher. „Ich kann mir Deutschland im Schnee gut vorstellen und bin soooo froh, nicht da zu sein.“