In der DDR ist er ein ganz Großer gewesen, heute ist er nahezu vergessen. Lukas Jenkner erinnert in unserer Krimikolumne „Killer & Co.“ an das Spätwerk des Bestsellerautors Harry Thürk.

Nachrichtenzentrale : Lukas Jenkner (loj)

Stuttgart - Er ist ein ganz Großer gewesen. Fünf Dutzend Bücher hat er verfasst, die in 15 Ländern in einer Auflage von rund neun Millionen Exemplaren erschienen sind. Mit zahlreichen Filmszenarien und Drehbüchern hat er überdies ein Stück Film- und Fernsehgeschichte mitgeschrieben. Eigentlich, so könnte man meinen, sollten sich die Bücher von Harry Thürk in jeder gut sortierten Buchhandlung finden.

 

Das Gegenteil ist der Fall. Das Problem mit Harry Thürks Werk: Es ist nahezu vollständig in der DDR erschienen. Dort hatte er sein Millionenpublikum, verfilmt wurde er nicht von der Ufa, sondern der Defa. Überdies ist er bis zuletzt ein überzeugter Linker geblieben, der in der DDR durchaus klar kam mit der staatlichen Doktrin und die Wende als Niederlage im Klassenkampf erlebte. Vereinzelt geriet er wegen der einen oder anderen Veröffentlichung mit dem Staatsapparat aneinander, in der Summe darf er aber als treuer Gefolgsmann gelten.

Über die Qualität wird gerne gestritten

Andererseits ist manche Einschätzung wohl auch dem Zeitgeist des Kalten Krieges geschuldet. Wer mit der Distanz eines guten Vierteljahrhunderts heute Thürks Bücher wieder in die Hand nimmt, findet zum Beispiel in „Des Drachens grauer Atem“ die Verstrickungen des amerikanischen Geheimdienstes CIA in die Drogengeschäfte im Goldenen Dreieck zwischen Thailand, Laos und Myanmar geschildert. Was einst nach antiwestlicher Propaganda müffelte, löst beim Leser heute eher verständnisvolles Nicken aus. Das Treiben amerikanischer Geheimdienste ist ja zwischenzeitlich hinlänglich bekannt.

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Über die Qualität von Thürks Literatur wird gerne gestritten. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ attestierte ihm einmal „pubertären Schwulst und politisches Pathos“ und nannte Thürk einen Konsalik des Ostens. Die Geschichten muten bisweilen tatsächlich etwas kolportagehaft an, andererseits ist „Der schwarze Monsun“ mit seiner nüchtern-poetischen Sprache die vielleicht beste deutschsprachige, fiktionale Schilderung des mörderischen Gemetzels der roten Khmer im Kambodscha der 70er Jahre.

Scharmützel mit einer Hongkonger Dramaqueen

Politisch einigermaßen unverdächtig, weil zwischen 1991 und 2000, also im Deutschland des einstigen Klassenfeindes erschienen, sind die zehn Hongkong-Krimis von Harry Thürk. Darin lässt er den Privatdetektiv Lim Tok in der asiatischen Metropole mit britischen Wurzeln ermitteln. Einst selbst Polizist, pflegt er gute Kontakte zur Hongkonger Polizei und nutzt seine Freiheiten als Detektiv gerne mit einer liebenswerten Schlitzohrigkeit. Die hat er sich zugelegt, als er während des Vietnamkriegs Kontakte zwischen liebeshungrigen amerikanischen GIs und geschäftstüchtigen Damen des horizontalen Gewerbes im Rotlichtbezirk Wan Chai vermittelte.

Wie es sich gehört, lebt Tok auf einer Dschunke, wo er sich gelegentlich Scharmützel mit seiner entzückenden Pipi liefert, einer echten Hongkonger Dramaqueen mit Haaren auf den Zähnen und dem Herzen auf dem rechten Fleck. Harry Thürk schildert Alltag und Leben in der schillernden Metropole mit viel Sympathie und Kenntnis der Örtlichkeiten sowie der Mentalität der Hongkonger. Seine Sprache fängt nun allmählich an, altmodisch zu werden, und enthält auch so manche Schrulle aus alten DDR-Zeiten. Doch für Freunde solider Krimikost, die sich in der Tradition eines Raymond Chandler oder auch des Franzosen Léo Malet sieht, und Fans von Hongkong sind die Thürks Krimis allemal lesenswert.

Harry Thürk: Die Hongkong-Krimis. Erschienen in zwei Bänden im Verlag Das neue Berlin, 2006. Auch als E-Book verfügbar.