Bei „Hart aber fair“ gehen die Experten überraschend ehrlich auf die Risiken der Corona-Impfung ein – und der Grünen-Politiker Boris Palmer muss sich von einer Medizinprofessorin korrigieren lassen.

Stuttgart - Ein plumper Witz des Moderators Frank Plasberg auf Kosten von Boris Palmer, dem grünen Bürgermeister von Tübingen, und eine Belehrung von Palmer durch eine Medizinprofessorin, nachdem der gern allwissend auftretende Grünen-Politiker mögliche Risiken einer Corona-Impfung etwas kleingeredet hatte – das gehörte zu den dekorativen Unterhaltungselementen der Sendung „Hart aber fair“ am Montag. Doch dazu später, denn ansonsten ist in der Talkrunde – es war der Tag, an dem der US-Konzern Moderna die Zulassung eines Corona-Impfstoffs in der EU beantragt hatte – ziemlich ernsthaft über Risiken und Nebenwirkungen des Impfens diskutiert worden: in alle Richtungen.

 

Am Schluss kommen Verkäuferinnen und Lehrer dran

Aber zuvor ist das Thema der gerechten Verteilung der Impfstoffe – mit Zulassungen wird Ende des Jahres gerechnet, mit Massenimpfungen im Sommer – gestreift worden. Denn wie ist die Reihenfolge? Sehr früh müsse man da Listen mit einer Folge der zu impfenden Personengruppen festlegen, forderte der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar, „wenn man so etwas ad hoc entscheidet, fängt das Gedrängel an“.

Und der Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen, Karl-Josef Laumann (CDU), der es herausstellte, dass sein Land bald in der Lage sein werde, 80.000 bis 100.000 Menschen am Tag zu impfen, sah das ähnlich. Laumann schlug vor, dass nicht die Politik, sondern Ethiker und Mediziner, am besten die Ständige Impfkommission, über die Rangfolge der zu Impfenden entscheide. Diese Anregung hielt ihn aber nicht davon ab, schon mal seine eigene, persönliche Reihenfolge vorzuschlagen: Zuerst die Mitarbeiter der Gesundheitsdienste, dann die größten Risikoträger, also Ältere und Kranke, gefolgt vom Sicherheitspersonal des Staates und auf Platz vier sollte die Impfung von Personen mit vielen Kontakten geschehen: Verkäuferinnen, Mitarbeiter in Schulen und Kitas.

Fake-News-Kampagne wird befürchtet – so tödlich wie in Japan

Nicht ganz aufgeklärt worden in der Debatte ist aber ein Widerspruch. Da wurde frühzeitig nach der sogenannten Priorisierung gerufen, obwohl es noch wichtige Unbekannte in allen Rechnungen gibt. Es gebe noch nicht viele Hinweise über die Verträglichkeit des Impfstoffs sowie ihre Wirksamkeit bei über 60-Jährigen, hieß es. Die Frage und der Zweifel, ob es sinnvoll sei, in einer solchen Situation dann Ältere in der Rangliste nach vorne zu rücken, anstatt besser die Langzeitwirkungen der Impfstoffe abzuwarten, ist dann aber von Boris Palmer immerhin angerissen worden.

Rund 60 bis 80 Prozent der Bevölkerung sollten schon beim Impfen mitmachen, so die Medizinprofessorin Eva Hummers, die Mitglied in der Ständigen Impfkommission ist, die zwar nicht die Zulassung von Impfstoffen vornimmt, aber Impfempfehlungen herausgibt. Zwei große Risiken sehen nun Hummers und andere Studiogäste am Horizont aufscheinen: Anti-Impfkampagnen im Netz, aber auch mögliche Nebenwirkungen der Impfstoffe selbst. Erwähnt worden ist eine „Fake-News“-Kampagne in Japan, die dort die Impfrate gegen den Gebärmutterhalskrebs von Frauen von 70 Prozent auf ein Prozent drückte, mit tödlichen Folgen, jetzt sterben jährlich 600 bis 800 Japanerinnen an diesem Krebs. Im Netz war ein angebliches Impfopfer gezeigt worden, eine junge Frau, deren Körper sich wie bei einer Besessenen schüttelte. „Das war eine abstruse Geschichte, eine unsägliche Fake News und für die Impfung ein Desaster“, sagte Eva Hummers. Mit ähnlichen Falschmeldungen müsse auch bei der Corona-Impfung gerechnet werden, man müsse sich darauf einstellen.

Vieles ist noch gar nicht bekannt über die Impfstoffe

Gravierender aber ist womöglich, dass über die Impfstoffe noch einiges unbekannt ist. Etwa die Frage, ob eine geimpfte Person trotzdem noch das Virus tragen und mit ihm andere anstecken kann. Schon jetzt ergeht der Rat, dass Geimpfte also weiterhin die Maske tragen, bis die Wissenschaft diese Frage geklärt hat. Die Impfstoffe sind verhältnismäßig rasch entwickelt worden, sind sie da auch wirklich sicher? „Haben Sie ein mulmiges Gefühl“, fragte Moderator Plasberg die Professorin Hummers, und die antwortete: „Ganz unproblematisch ist es nicht.“ Es fehlten noch die Nachbeobachtungen und Erkenntnisse über die Langzeitwirkungen, die werde man wohl erst in sechs Monaten haben. „In der Tat geht es schneller als sonst. Es ist unsicherer, als es sonst ist“, so Hummers.

Bürgermeister und Medizinprofessorin liefern sich einen Disput

Einen kleinen medizinischen Exkurs von Boris Palmer, wonach Impfgegner zu Unrecht zwei Ängste herauf beschwörten, dass nämlich der Impfstoff Hirnzellen und Körperzellen von Leber und Herz „kaputt mache“ und in die Erbsubstanz eingreife und uns zu „Zombies“ mache, was aber in den Bereich der Mythen gehöre, musste dann von der Professorin Hummers leicht korrigiert werden: Ja, dass der Impfstoff nicht ins Genom eingebaut werde, da habe Palmer schon recht, aber „die Sache mit den Körperzellen sehe ich doch ein bisschen kritischer“, so die Ärztin. Es sei grundsätzlich denkbar, so Hummers, dass das Gen für das Spike-Protein – mit dem die meisten Impfstoffe arbeiten – in den Körperzellen exprimiert. Das heißt, dass diese selbst das Spike-Protein herstellen. „Da präsentiert es sich als eigenes Abwehrsystem und das richtet sich gegen die Zellen, die es herstellen.“ Da könne es, je nachdem, um welche Zellen es sich handelt, zu Reaktionen kommen, wenngleich nicht im Gehirn, weil Antikörper nicht ins Gehirn gehen. Aber ganz auszuschließen sei das auch nicht, da gebe es „Unsicherheiten“ und Hersteller der Impfstoffe arbeiteten daran, sie zu beseitigen.

Palmer erwiderte daraufhin, dass diese genannten Probleme in Tierversuchen noch nie beobachtet worden seien, aber auch da behielt Professorin Hummers das letzte Wort: Diese Erkenntnisse ließen sich nicht einfach auf den Menschen übertragen, dass bei solchen Übertragungen auch mal „was schief“ laufe, das sei schon vorgekommen.

Nicht auf Palmer, sondern auf den Moderator Plasberg fiel immerhin eine plumpe Bemerkung über den gegen Corona bereits geimpften Grünen-Politiker zurück. Palmer hatte darauf hingewiesen, dass er „null Nebenwirkung“ gespürt habe, worauf Plasberg meinte: „Aber Sie haben eine neue Frisur bekommen!“ Da lachte niemand, außer dem Moderator selbst.

Impfschäden bei der Schweinegrippe 2009

Wie wird nun die Impffreudigkeit der Bürger ausfallen? Ranga Yogeshwar sagte, dass es ja zwei Impfungen in zeitlichem Abstand geben müsse, und es gut möglich sei, dass Nebenwirkungen auftreten, „die nicht so ohne sind“ und dass sich dann Menschen gegen die zweite Impfung entscheiden. Er verlangte eine offene und Vertrauen schaffende Kommunikation über alle Nebenwirkungen. Als negatives Beispiel sind die Impfschäden durch das Mittel Pandemrix gegen die Schweinegrippe im Jahr 2009 genannt worden, als 30 Millionen Menschen geimpft worden sind. Damals kam es bei 1300 meist jüngeren Personen danach zum Ausbruch der unheilbaren Schlafkrankheit, aber das war nur durch Nachforschungen in Finnland und Norwegen ans Licht der Öffentlichkeit gekommen – gegen den Widerstand des Herstellers. Und auch in Deutschland gab es damals keine systematische Evaluierung der Impfungen. „Wir müssen relevante Risiken offen machen“, so Yogeshwar, „wir brauchen eine wahrhaftige Kommunikation.“

Impfskeptiker sollte man nicht beschimpfen, sagt Boris Palmer

Einen Impfzwang soll es nicht geben – das war Konsens bei den Studiogästen. Und auch eine Zwei-Klassen-Gesellschaft von Geimpften und Nichtgeimpften ist nicht wünschenswert. Boris Palmer rief dazu auf, persönliche Entscheidungen zu respektieren: „Man sollte Nichtgeimpfte nicht benachteiligen oder beschimpfen. Man sollte es beim Werben für die Impfung belassen.“ Ins gleiche Horn stieß die Gesundheitspsychologin Monika Sieverding: „Wer Vorbehalte hat, den sollte man nicht drängen.“

Männer haben weniger Angst vor der Impfung als Frauen

Sieverding ist überzeugt davon, dass das Corona-Impfen ein breiter Erfolg sein wird, die einen Geimpften werden die anderen Zaudernden nach einer Bedenkzeit mitziehen. Sieverding wies auf eine überraschende Erkenntnis hin: Männer seien bisher immer bei der Krebsfrüherkennung und allen Arten der Gesundheitsprävention die Nachlässigeren im Vergleich zu Frauen gewesen. Zum ersten Mal habe sich das jetzt geändert, wie eine neue Studie zeigte: Männer hätten weniger Angst vor der Corona-Impfung als Frauen und seien ihr weniger negativ gegenüber eingestellt. Woran das liegt, konnte Sieverding nur mutmaßen: „Frauen haben eine hohe digitale Gesundheitskompetenz, sammeln mehr Informationen. Es ist möglich, dass die Nebenwirkungen sie stärker verunsichern.“ Und die Männer nicht? Nein, die informierten sich halt weniger.