Der Schauspieler Harvey Keitel spricht über die Kunst, im Alter geistig jung zu bleiben – und wie er in jungen Jahren geklaut und betrogen hat. Außerdem flirtet er ziemlich unverhohlen mit seiner Gesprächspartnerin Bettina Aust.

Cannes - Auf der Leinwand spielt Harvey Keitel oft den harten Kerl. Auch für seine einsilbigen Interviews ist der Schauspieler berüchtigt. Beim Gespräch in Cannes präsentiert er sich auf einmal als charmanter, schlagfertiger Interviewpartner. Im neuen Film von Paolo Sorrentinos berührendem Drama „Ewige Jugend“ – Kinostart ist der 26. November – spielt Harvey Keitel an der Seite von Michael Caine und Jane Fonda einen Regisseur, der seiner nachlassenden Schaffenskraft nachtrauert. Das Thema hat Keitel zutiefst bewegt.

 
Ihr Film heißt „Ewige Jugend“. Was hält Sie jung?
Zum Beispiel, Sie anzusehen. War das eine gute Antwort? Ich denke doch . . .(lacht).
Ihr Filmpartner Michael Caine beschreibt „Ewige Jugend“ trotz aller Dramatik als optimistischen Film. Stimmen Sie dem zu?
Bei allem Respekt für Sir Michael Caine, ich habe natürlich eine eigene Meinung zu diesem Film. Aber die tut hier nichts zur Sache. Ich möchte hier nicht erzählen, was ich über den Film denke. Ich will von Ihnen und anderen Zuschauern hören, was ihr Eindruck ist. Also, was denken Sie?
Der Film hat optimistische Elemente. Gleichzeitig denkt man aber über das Altern und die vergehende Lebenszeit nach. Das hat etwas Bedrückendes.
Ihre Interpretation zeigt, dass ich mit meiner Theorie Recht habe. Jeder hat eine eigene Meinung zu diesem Film und zu Filmen überhaupt. Das macht es interessant, es gibt kein Richtig und kein Falsch.
Über Ihre eigene Meinung zu diesem Film wollen Sie also lieber schweigen?
Wie soll ich darüber sprechen? Dieser Film ist gewaltig. Er erinnert mich an jede Mythologie, die ich kenne, jedes Buch, das ich gelesen habe, jede Musik, die ich gehört habe. Die Erfahrung lässt sich nicht leicht in Worte fassen. Das ist so wie bei meiner Erfahrung, als ich zum ersten Mal beim Stierkampf war.
Was hat der Stierkampf mit dem Film zu tun?
Da ist der Bulle und all die Menschen, die um ihn herumrennen und Lanzen in ihn hineinstechen. Trotzdem war meine Erfahrung, das zu sehen, einzigartig und nicht mit der anderer Zuschauer vergleichbar. Genauso verhält sich das mit dem Film. Ich glaube, ich verliere gerade den Faden, holen Sie mich zurück.
Wie hat sich Ihre Kreativität als Künstler mit zunehmendem Alter verändert?
Das ist eine ähnlich knifflige Frage. Vielleicht sollten wir uns auf ein paar Drinks treffen, um sie zu erörtern . . .(lacht)
Existiert so etwas wie „Alter“ und „Jugend“ als Geisteszustand, wenn man Künstler ist?
Ein guter Gedanke. Paolo Sorrentino kontrastiert „Jugend“ und „Alter“ in diesem Film. Als ich ihn zum ersten Mal gesehen habe, kam mir auch diese Idee, dass man im Geiste immer jung bleiben muss. Denn man wird ständig mit neuen Situationen konfrontiert. Man sieht neue Dinge und lässt sich davon inspirieren. Man muss also jung bleiben, selbst wenn man dem Tod ins Auge sieht. Deswegen muss man auch keine Angst vor dem Tod haben, finde ich. Ich werde anschließend zurückkommen und Ihnen berichten, wie es war.
Kreativität ist also alterslos?
Sehen Sie sich doch all die großen Künstler an. Keiner hat mit zunehmendem Alter die Schaffenskraft verloren, so lange sie am Leben interessiert und neugierig sind. Diese Dynamik verlierst du nicht. Deswegen bleibt Jugend auch ein Teil des Alters, weil du nie weißt, was nach dem nächsten Schritt passiert. Selbst wenn du stirbst, erlebst du eine neue Erfahrung – den Tod. Wir werden uns dann eines Tages alle in der Hölle wiedersehen, vermute ich.
Verstehen Sie das Leben mit zunehmendem Alter besser?
Ja. Ich habe verstanden, dass das Leben schön ist, und zwar in all seinen Facetten. Ich sehe es jetzt so wie in Frank Capras Film „Ist das Leben nicht schön?“ Die Buddhisten haben ein Sprichwort, das mir gefällt, weil es diese Haltung auf den Punkt bringt: „Geh mit allem im Leben spielerisch um, sogar mit dem Tod.“ So bleibst du jung.
Nach der Schule sind Sie zur Marine gegangen. Wie hat Sie diese Zeit geprägt?
Ich habe viel über das Leben gelernt, über Ehre, Respekt und Beständigkeit. Ich habe gelernt, wie man überlebt, sich durchs Leben beißt. Damit bin ich bis heute durchgekommen, bis zu diesem Interview.
Was ist die nachhaltigste Erinnerung an Ihre Jugend?
Diese Frage habe ich mir bei den Dreharbeiten auch gestellt. Meine Jugend ist mir insgesamt sehr präsent. Deswegen sind die Erinnerungen alle irgendwie nachhaltig. Damit sind wir wieder beim Film: Er ist mehr als nur ein Film, er hat für mich eine Art mythische Bedeutung. Er erzählt vom Kreislauf des Lebens: Man wird geboren, verlässt sein Elternhaus, kämpft mit Hindernissen. Wenn du das Glück hast, diese Reise zu überleben, kannst du zurückkehren und dein Wissen mit anderen teilen.
Vorausgesetzt man kann sich daran erinnern. Im Film kann sich Ihre Figur noch nicht einmal an ihre Liebschaft erinnern.
Das ist nur ein Aspekt dieser Figur. Wie jeder große Charakter in einer außergewöhnlichen Geschichte spiele ich mehr als diesen einen Mann. Ich beinhalte viele Figuren, wie Parzival. Man braucht die Summe menschlicher Erfahrungen, um eine Mythologie zu erschaffen. Parzival ist die Quintessenz einer mythologischen Reise.
Es gibt in „Ewige Jugend“ das Zitat, dass niemand im Filmgeschäft die Wahrheit sagt.
Natürlich nicht. Um einen Job zu bekommen, lügst du als Schauspieler das Blaue vom Himmel. Für meine erste Filmrolle habe ich meinen kompletten Lebenslauf erfunden. Meine Bewerbung war eine einzige Lüge, bis auf meinen Namen. Ich habe dabei genau darauf geachtet, dass sämtliche Stücke, in denen ich angeblich mitgespielt hatte, nie bei uns in der Stadt aufgeführt worden waren. Man ist mir nur einmal auf die Schliche gekommen.
Gab es ein Ereignis in der Kindheit, das Sie zur Schauspielerei geführt hat?
Ja, da gab es etwas. Ich habe als Junge nämlich gestohlen. Anschließend musste ich ja so tun, als ob ich nicht gestohlen habe . . .(lacht). Das ist Schauspielen.
Was haben Sie denn gestohlen?
Kleinere Sachen. Ich habe Tauben aus einem Verschlag geklaut und in meinen Verschlag gebracht habe. Manchmal habe ich die Tür nach zu kurzer Zeit geöffnet, dann sind sie zu ihrem Besitzer zurückgeflogen. Ich habe auch Sachen in Billig-Läden mitgehen lassen und Lebensmittel im Supermarkt, zum Beispiel Kartoffeln, die meine Freunde dann am offenen Feuer geröstet haben.
Sind Sie mal geschnappt worden, oder waren Sie schon damals ein guter Schauspieler?
Sie haben mich ein einziges Mal zu fassen bekommen. Ich war an der Reihe, Süßigkeiten zu klauen. Das habe ich auch getan und die Sachen unterm Hemd versteckt. Doch als ich das Geschäft verlassen wollte, fielen sie auf den Boden. Das hört sich jetzt wie aus einem schlechten Film an.