Hassfigur: Putin-Freund Matthias Warnig Putins Freund in Staufen: geächtet statt geachtet

Seit 30 Jahren mit Putin befreundet: Matthias Warnig (66) Foto: picture alliance/Alexei Druzhinin

Lange wohnte Matthias Warnig unauffällig in Staufen. Mit dem Angriff auf die Ukraine begannen für den engsten deutschen Putin-Freund harte Zeiten. Jetzt wird er angefeindet.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Neulich hat ein Staufener, der drei Straßenecken weiter wohnt, einen offenen Brief an Matthias Warnig formuliert. „Sie verstehen es hervorragend, das Beste aus zwei Welten – aus einer Autokratie und aus einer Demokratie – für sich zu nutzen“, schrieb er dem Chef des Pipeline-Unternehmens Nord Stream 2. Als Freund von Putin habe der einstige Stasimann enorm von einem politischen System profitiert, „das den Werten unseres demokratisch geordneten Rechtsstaats nicht standhält“. Zugleich nehme er an seinem Wohnort „die Sicherheit ebendieses Rechtsstaats in Anspruch“, um das dank Russland verdiente viele Geld von guten Gesetzen geschützt in Immobilien zu investieren. Damit liefere Warnig „ein Musterbeispiel für das Lehrbuch des Opportunismus“. Wie weit sein Wirken zur Etablierung von Putins Gewaltherrschaft beigetragen habe, werde er selbst wissen.

 

Freund eines Kriegstreibers?

In der Lokalzeitung sind die Vorwürfe des Nachbarn bisher nicht erschienen, dafür aber andere, nicht minder deutliche Leserbriefe. Bürgerinnen und Bürger aus dem 8000-Seelen-Städtchen im Breisgau, aber auch aus der gesamten Region, bekunden darin ihr Unbehagen über das südbadische Netzwerk von Russland-Profiteuren. „Wir sollten schleunigst aufwachen und uns genauer ansehen, wer sich in unserer näheren Nachbarschaft so breitmacht“, schreibt ein Freiburger. Es sei „höchste Zeit“, die „Zersetzungsstrategie“ der Putin-Getreuen zu stoppen, mahnt ein anderer Leser. Der Kremlchef sei schließlich schon lange „ein Kriegstreiber“, meint ein Dritter, nicht erst seit dem Überfall auf die Ukraine. Von Leuten wie Warnig, der lange die Staufener Kulturwoche sponserte, aber auch von dem im Nachbarort Münstertal ansässigen Ex-Russland-Konsul Klaus Mangold – er gilt als mindestens so spendabel – dürfe man kein Geld mehr annehmen.

Ein Hausbesuch von Putin

Im lieblichen Markgräflerland, wo gerade alles zu blühen beginnt, ist das Klima unversehens rau geworden für „Putin-Versteher“. Die Staufener wissen zwar schon lange, wer seit 2007 in der etwas versteckt gelegenen Villa in der Bestlage Burgblick wohnt. Mit hergelotst wurde Warnig einst von Mangold, als er auf der Suche nach einem Wohnsitz in Süddeutschland war, halbwegs in der Nähe des Schweizer Steuerparadieses Zug, wo die Nord Stream 2 AG sitzt. Doch im Städtchen fiel der rundliche Mann nicht weiter auf, zumal er viel unterwegs war: Jährlich soll er auf gut 200 Reisen gekommen sein, meist vom nahen Euroairport aus. Selbst als 2013 Putin zu einer Stippvisite bei seinem Freund aus Petersburger Zeiten vorbeischaute, bekamen die Bürger davon wenig mit. Schwer bewaffnete Sicherheitsleute, hört man, hätten sich damals im Haus getummelt.

Seit dem 24. Februar aber steht Warnig voll im Scheinwerferlicht. Nationale und internationale Medien leuchten seine Karriere vom Stasispitzel zum einflussreichsten Deutschen im System Putin aus, auch seine russische Frau und die beiden gemeinsamen Kinder werden in den Blick genommen. Gleiches gilt für den älteren Sohn aus erster Ehe, der es als Promikoch zu gewisser Bekanntheit brachte und in seinem Restaurant auch schon Putin bewirtet haben soll. Journalisten läuten an der modernen Villa mit Pool und Gartenhaus, doch für Gespräche steht der Hausherr derzeit nicht zur Verfügung.

Klebt Blut am Sponsorengeld?

Auch in Staufen ist der lange kaum beachtete Mitbürger unversehens zum großen Gesprächsthema geworden. Der Bürgermeister Michael Benitz setzte den Ton, als er vier Tage nach Kriegsbeginn einen Brief an Warnig öffentlich machte. Angesichts der bestürzenden Ereignisse in der Ukraine sei es „unerträglich . . ., dass es persönliche Verbindungen von Herrn Putin auch in unsere Stadt gibt“. Warnig solle sich von ihm distanzieren und alle Ämter in russischen Unternehmen abgeben. Die 5000-Euro-Spende für die Kulturwoche 2022 werde man zurückgeben. Eigentlich hätte man sich schon früher fragen müssen, ob das Geld sauber sei, monieren manche Staufener. Nun klebe Blut daran.

Was überregionale Schlagzeilen angeht, ist Benitz Kummer gewohnt. Eine verunglückte Erdwärmebohrung beschäftigte jahrelang die Öffentlichkeit: Der Untergrund quoll auf und hob sich, die malerische Altstadt drohte zerstört zu werden. Vor wenigen Jahren verband sich ein schlimmer Missbrauchsfall mit dem Namen Staufen, schaudernd wurde besonders die Rolle der Mutter des Opfers registriert. Nun wird das Städtchen als Heimatort eines wichtigen „Einflussagenten“ Putins bekannt, wie der Russland-Experte Stefan Meister den Manager nennt. Im Rathaus melden sich Reporter, doch der Bürgermeister hat inzwischen größere Sorgen: Wohin bloß mit den Ukraine-Flüchtlingen, die der Angriffskrieg von Warnigs Freund aus ihrer Heimat vertreibt?

Empörung über gut gemeintes Angebot

Ob seiner Stasivergangenheit wurde Warnig in Staufen schon immer etwas skeptisch beäugt. Nun aber ist er vom immerhin geachteten zum nahezu geächteten Mitbürger geworden. Handwerker müssen sich vor ihren Kunden rechtfertigen, warum sie noch für den Putin-Freund arbeiten. Wenn es dabei bleibe, verzichte man eben auf ihre Dienste. Als Warnigs russische Ehefrau kürzlich anbot, für ukrainische Kinder zu dolmetschen, führte das an der Schule zu größeren Turbulenzen: Könne man den Opfern des Familienfreunds Putin eine solche Begegnung zumuten? Der Bürgermeister musste mäßigend eingreifen, damit der Konflikt um die gut gemeinte Offerte nicht eskalierte. Im Internet gab es bereits Aufrufe, dem gebürtigen Lausitzer das Leben in Staufen „ungemütlich“ zu machen. Man habe die Wohnorte von Warnig und Mangold im Blick, heißt es bei der Polizei in Freiburg. Mit dem Landeskriminalamt erstelle man „lageorientierte Gefährdungsbewertungen“, zu Schutzmaßnahmen könne man nichts sagen.

Häuser für Millionen zusammengekauft

Mit neuen Augen sieht man in der Region auch das Immobilienimperium, das Warnig und seine Frau mit ihrer MW Invest zusammengekauft haben. Reporter der „Welt“ machten sich die Mühe, in die Grundbücher zu schauen, und listeten einen bemerkenswerten Gebäudebestand auf. Im nahen Bad Krozingen gehören Warnig zwei große Wohn- und Geschäftshäuser an beiden Enden der Fußgängerzone. Bei der Grundsteinlegung zum „Bahnhofseck“ zeigte sich der Vertreter der Stadt erfreut über den „Investor, der es ernst und ehrlich meint“. Kritische Stimmen, die es auch gab, kamen im Bericht der Lokalzeitung nicht vor. In Staufen besitzen die Warnigs eine historische Villa am Stadtsee und ein denkmalgeschütztes Gebäude gegenüber dem Rathaus. Ein Teil der Verwaltung sitzt dort, weshalb die Stadt Miete an den dank Putin reich Gewordenen zahlen muss – derzeit eher zähneknirschend. Den Verkehrswert der Immobilien schätzte die „Welt“ auf 25 bis 30 Millionen Euro, dazu komme Grundbesitz mit einer Fläche von 14 Fußballfeldern, samt einem Weinberg unterhalb der Staufener Burgruine.

Als „Aufpasser Putins“ im Aufsichtsrat

Warnigs Antwortbrief an Benitz war nicht dazu angetan, die Wogen im Städtchen zu glätten. Er zeigte sich „menschlich betroffen und fassungslos“, der „militärische Konflikt“ sei für ihn „ein unbeschreiblicher Irrtum“. Putin wurde überhaupt nicht erwähnt, eine Distanzierung fehlte. Vom Verzicht auf seine Ämter in Russland war zunächst keine Rede. Inzwischen hat Warnig, der als einziger Deutscher auf der US-Sanktionsliste steht, die Abgabe aller Posten angekündigt – bei Gazprom, Transneft, Rosneft und der VTB-Bank. Beim Aluminiumkonzern Rusal, wo er als „Aufpasser Putins“ galt, hatte er sich schon früher auf US-Druck zurückgezogen. Als Rusal voriges Jahr nach hartem Ringen die Traditionsfirma Alu Rheinfelden übernahm, vermuteten manche dahinter auch die Strippenzieher aus dem Breisgau.

Er wolle sich ganz auf seine Rolle als Chef der Nord Stream 2 AG konzentrieren, teilte Warnig zuletzt mit, für die er einen Konkursantrag ankündigte. Für alle Beteiligten sei das „eine bittere Zäsur aufgrund von Entwicklungen, die außerhalb unserer Verantwortung liegen“. Kurz vor der geplanten Inbetriebnahme der Milliarden teuren Pipeline gibt es die Firma praktisch nicht mehr: die Mitarbeiter sind entlassen, die Webseite ist abgeschaltet, die Mailadressen funktionieren nicht mehr, das Hauptquartier in Zug steht leer – alles als Folge des Ukraine-Kriegs und der Sanktionen.

In einer erweiterten Erklärung, die er unserer Zeitung zukommen ließ, erwähnte Warnig erstmals auch den „russischen Präsidenten“. Dessen Entscheidungen hätten „dramatische Auswirkungen auf das Leben von Millionen Menschen“, in der Ukraine und weit darüber hinaus. Für die Situation gebe es „keinerlei Rechtfertigung“. Das Blutvergießen müsse beendet, ein Waffenstillstand vereinbart werden.

Warnig will sein Leben nun neu ordnen

Wie es für ihn persönlich weitergeht, scheint der Wahlstaufener noch nicht zu wissen. Er müsse die auch für ihn bis vor Kurzem unvorstellbare Entwicklung noch „in allen Facetten durchdenken“. Sicher sei eines: „Es gibt für mich Konsequenzen, und ich muss für meine Familie und mich das Leben neu ordnen.“ Zum Appell, seinen Einfluss auf Putin zu nutzen, sagte Warnig bisher nichts; die Entwicklung seines Freundes soll er schon länger mit Sorge verfolgt haben. Wenn er wirklich helfen wolle, heißt es in Staufen, könne er sein Wissen als Kreml-Insider den zuständigen Stellen offenbaren.

Im offenen Brief ermunterte der Nachbar ihn zu mehr Mut: „Setzen Sie Ihre Freundschaft und Ihren Wohlstand aufs Spiel!“ Nur wenn Putin gestoppt werde, könnten die Warnigs weiterhin „in Wohlstand und Freiheit durch Staufens Reben spazieren“. Wenn das nicht gelinge, lautete sein Schlusssatz, „werden wir die Welt nicht wiedererkennen“.

Am Rande erwähnte der Staufener auch noch ein persönliches Problem mit Warnig: Beim Spazierengehen verrichte dessen Hund gerne mal sein Geschäft in seinem Garten. „Würde ich mich von der Handlungsmaxime Ihres Freundes Putin leiten lassen“, böte sich der Einsatz einer „Wurst aus der Nowitschok-Gruppe“ an – jenes chemischen Kampfstoffs, mit dem etliche Gegner des Kremlchefs ausgeschaltet wurden. Aber davon sehe er selbstverständlich ab.

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