Der Handel verändert sich rasant und wirbelt dabei das Angebot am Stuttgarter Marktplatz durcheinander. Das Aus des Familienbetriebs Haufler im April ist gleich aus mehreren Gründen zum Symbol dieses Wandels geworden.

Stuttgart - Die Chefin hat ihr Namensschild abgelegt. Christiane Haufler-Becker steht nun fast unerkannt in ihrem Laden, der während des Ausverkaufs beinahe aus den Nähten platzt. „Wenn die Leute auf den ersten Blick sehen, wer ich bin, werde ich pausenlos auf das Aus des Ladens angesprochen“, sagt sie.

 

Das Ende von Haufler am Markt bewegt die Stadt. Die Kunden drängen sich während des Ausverkaufs förmlich auf den Gängen und

Christiane Haufler-Becker Foto: Lichtgut/Max Kovalenko
Treppen auf der Suche nach dem größten Rabatt. Dabei lief das Geschäft lange Jahre nicht gut. 1994 hatte Haufler sein wirtschaftlich bestes Jahr. „Wir haben früher richtig gut Geld verdient. Heute reichen die Umsätze schlicht nicht mehr“, beschreibt Haufler-Becker lakonisch die Entwicklung. Das Aus des traditionsreichen Familienbetriebs am Marktplatz wurde im April dieses Jahres eingeleitet und hat eine Welle an Reaktionen und eine Debatte über die Zukunft der Innenstadt ausgelöst. Haufler steht symbolisch für den Wandel der City.

„Die Generation 40-Plus und die alteingesessenen Stuttgarter bedauern unseren Weggang sehr“, erzählt die Geschäftsführerin, „aber die Jungen brauchen uns nicht mehr. Die kaufen im Internet ein.“ Damit die Kunden ihrer Trauer und Wut über die Geschäftsaufgabe Ausdruck verleihen können, hat die Chefin ein Kondolenzbuch ausgelegt. „42 Jahre komme ich zu Haufler“, steht da beispielsweise in einer feinen, geschwungenen Handschrift, oder: „Ich bin mit Haufler aufgewachsen. Sehr schade!“ Ein weiterer Kunde beschreibt, wie die Schulkinder in den 1930er Jahren bei Haufler am Markt die Adventskalender im Schaufenster bewundert haben.

Seit 1895 am Marktplatz

Das Aus von Haufler ist gleich aus mehreren Gründen zum Symbol des Wandels der Innenstadt geworden. Zum einen fällt das Ende eines Traditionsbetriebs in Zeiten des Eröffnungsreigens neuer Einkaufszentren besonders auf. Zum anderen hat sich der Marktplatz, an dem der Schreibwarenhändler seit 1895 residiert, enorm gewandelt. Aus der Phalanx von Café Scholz, Spielwaren Kurtz, Tritschler und Haufler ist inzwischen lediglich das Einrichtungshaus übrig geblieben. Die anderen Stuttgarter Institutionen wurden von internationalen Marken wie Schlossberg, Nespresso und Thomas Sabo verdrängt.

Zudem steht das Fachgeschäft für eine Philosophie des Einzelhandels, die mehr und mehr vom Aussterben bedroht ist. „Einst haben wir 50 Leute beschäftigt. Wir hatten ausgebildete Berater auf jeder Etage“, erinnert sich Haufler-Becker. „Doch das war auch noch die Zeit, als sich die Menschen in Zweierreihen vor der Theke mit Schreibgeräten gedrängt haben.“

Mitarbeiter mit Chancen auf dem Arbeitsmarkt

Die Chefin hat den Zeitpunkt für das Ende ihres Ladens bewusst gewählt. „Ich wollte, dass meine Mitarbeiter eine möglichst gute Chance auf dem Arbeitsmarkt haben“, sagt sie. Deshalb habe sie ihre Geschäftsaufgabe in eine Zeit gelegt, in der viele neue Einzelhändler eröffnen, sagt Haufler-Becker. Eine Strategie, die offenbar aufgegangen ist: „Die meisten haben eine Stelle gefunden“, sagt Haufler-Becker, „einige sind beispielsweise im Milaneo untergekommen.“ Doch manch einer wollte gar nicht gehen. „Eine Verkäuferin wollte uns einfach nicht verlassen“, erzählt die Chefin gerührt. „Die Frau bleibt bis zum letzten Tag.“

120 Jahre Firmengeschichte hat Haufler bei seinem Ende hinter sich. „30 Jahre davon bin ich im Unternehmen gewesen“, erzählt Haufler-Becker. „Vor mir haben mein Vater und mein Großvater das Geschäft geführt.“ Es war der Vater, der die Firma vom kleinen Briefmarkenhändler zum großen Fachgeschäft aufgebaut hat. Was heute kaum noch einer weiß: „Wir waren einer der ersten Läden, die Apple-Computer in Stuttgart im Sortiment hatten“, erinnert sich die Chefin.

Nach 30 Jahren in der Firma und mit dem sichern Ende des Ladens vor Augen, hat die Geschäftsführerin eine erste Bilanz ihres Berufslebens gezogen. „Durch die vielen positiven Reaktionen der Kunden ist mir klar geworden, dass die viele Zeit und Arbeit nicht sinnlos investiert waren“, sagt sie ein wenig wehmütig. Nicht nur im Kondolenzbuch habe sie viel Zuspruch und Bestätigung erhalten. Aber: „Ein paar wenige Leute haben mich auch regelrecht beschimpft, was ich mir erlauben würde, mein Geschäft nicht weiterzuführen.“

Zukunft ist noch nicht geklärt

Derzeit steht für die Chefin der Ausverkauf an. „Wir machen bis Ende Januar weiter“, sagt sie. Das Problem: „Auf der einen Seite bin ich froh, dass meine Mitarbeiter größtenteils neue Jobs gefunden haben“, sagt sie. „Auf der anderen Seite muss ich den Ansturm der Kunden im Ausverkauf mit einer viel kleineren Mannschaft stemmen.“ Die Chefin und ihr verbliebenes Personal sind im Stress. Diese Anspannung ist ein Grund, weshalb die Geschäftsführerin noch nicht über ihre eigene Zukunft nachgedacht hat. „Eigentlich nehme ich mir immer wieder vor, mir Gedanken darüber zu machen“, erzählt sie, „doch ich bin momentan einfach zu sehr von der Arbeit eingenommen. Ich glaube, ich muss dieses Kapitel zuerst abschließen. Erst dann bin ich bereit für etwas Neues.“

Was für die Chefin gilt, scheint auch auf das traditionsreiche Haus am Marktplatz zuzutreffen. „Die künftige Nutzung steht noch nicht fest“, sagt Christiane Haufler-Becker. Dann hält sie kurz inne und fügt an: „Es wird sicher nicht leicht, das Haus einmal leer zu sehen. Wenn ich an diesen Moment denke, muss ich tief durchatmen.“