Obwohl Evelyne Fürst sehr früh mit der Suche begonnen hat, fand sie keinen Nachfolger für ihre Privatpraxis. Warum ist ihr unerklärlich – Hausärzte werden doch gesucht.
Ein Fünkchen Hoffnung ist immer noch da – zu groß ist die Traurigkeit bei Evelyne Fürst. Denn es ist jetzt doch das eingetreten, was die Allgemeinärztin aus Fellbach unter allen Umständen vermeiden wollte. Bis zuletzt hatte sie gesucht und gekämpft, damit sie ihre Privatpraxis nicht ohne Nachfolger schließen muss. Doch zum 1. Oktober hat sie genau das tun müssen. Ein Kleber mit „Leider keine Nachfolge!“ prangt über dem Praxisschild. „Aber akzeptieren kann ich es nach wie vor nicht. Der Plan ist, dass die Praxisräume wieder zur Wohnung werden und ich sie vermiete. Aber wenn sich doch noch jemand findet, wäre es so toll. Es müsste jetzt nur echt schnell gehen.“
Damit es nicht schnell gehen musste, hatte Evelyne Fürst eigentlich extra früh mit der Suche nach einem Nachfolger für ihre Praxis im Herzen Fellbachs angefangen. Vor fünf Jahren, als sie ihre erste Anzeige aufgab, hätte sie nie gedacht, dass sie arbeitet, bis sie 65 Jahre alt ist. „Mit 60 oder 61 wollte ich aufhören. Schlussendlich habe ich den Ruhestand immer weiter verschoben und E-Mails an Ärzte und an meine Patienten geschrieben, in der Hoffnung, jemanden zu finden, um jetzt doch ohne Perspektive schließen zu müssen“, sagt die gebürtige Fellbacherin. Wenn es noch nicht mal bei einer Privatpraxis klappe, eine Nachfolge zu finden, dann wisse sie auch nicht. „Der bürokratische Aufwand, also das, was immer angeprangert wird,ist nur ein Bruchteil dessen, was in einer kassenärztlichen Praxis notwendig ist. Das kommt den Patienten zugute, und trotzdem findet sich niemand.“
Dass sie keinen Nachfolger findet, kann die Ärztin nicht verstehen
Sie verstehe es nicht, sagt Evelyne Fürst, korrigiert sich aber sofort. Denn verstehen kann sie es irgendwie schon, akzeptieren aber nicht. „Ich habe kapiert, dass das Problem nicht ist, dass potenzielle Nachfolger nicht wollen, sie trauen sich schlicht nicht“, sagt die 65-Jährige und sieht darin ein grundlegendes Problem der Gesellschaft. „Ich war nie leichtsinnig, aber ich habe einfach mal was gewagt, im Vertrauen, dass es schon gutgehen wird. Heute wollen alle ein Sicherheitsnetz und gehen immer vom Schlimmsten aus.“
Dabei erinnert sie sich bei der mühsamen Suche durchaus an einige vielversprechende Kandidaten. Teils sei man schon fast bei der Unterschrift gewesen, aber dann hätten die Zweifel doch überwogen. Die alleinige Verantwortung oder die Tatsache, dass es eine Privatpraxis, sei ohne Rückendeckung durch die Kassenärztliche Vereinigung, habe abgeschreckt. „Die vermeintliche Sicherheit der KV geht zu Lasten der Patienten. Ich hatte keine Berge von Bürokratie, nur das Privatrezept und den Laborzettel, das war’s.“
Die Praxis ist in Fellbach – und Evelyne Fürst kam ohne Dior-Kostüm aus
Und sie hat sie wirklich geliebt, ihre hausärztliche Privatpraxis in Fellbach, in der sie 2002 startete. Die Räumlichkeiten sind knapp 100 Quadratmeter groß. Es gibt vier Behandlungszimmer, ein Wartezimmer gibt es dagegen nicht. „Ich konnte das immer so timen, dass meine Patienten gar nicht warten mussten.“ Das sei in ihren Augen nur einer von vielen Vorteilen gegenüber einer Kassenpraxis, sagt Evelyne Fürst, lehnt sich in ihrem Stuhl zurück und schwelgt in Erinnerungen – mit Humor, Dankbarkeit und jeder Menge Bodenständigkeit.
Letzteres ist ihr wichtig. „Ich hatte keine Privatpraxis, weil ich die feine Dame im Dior-Kostüm sein wollte, sondern weil ich Zeit für meine Patienten haben wollte.“ Sie habe eine ausführliche Anamnese gemacht und auch familiäre und persönliche Befindlichkeiten mitbekommen, „statt Fließbandarbeit“ zu machen. „Meine Patienten waren so toll, durch sie konnte ich meinen Traumberuf leben.“
Die Fachärztin für Allgemeinmedizin, die in Stuttgart wohnt und sich trotz allem auf den Ruhestand freut, hat es auch anders gekannt. Die gelernte Krankenschwester hat während des Medizinstudiums Nachtwachen auf Intensivstationen gemacht, war nach Abschluss ihres Facharztes als Oberärztin und danach noch mehrere Jahre als Ärztin in einer Kassenpraxis angestellt. „Das war nicht die Medizin, wie ich es verstehe. Man wurde nur verheizt. Ich habe dann ganz aufgehört, bin ins Coaching gegangen, bis ich gemerkt habe, dass ich ohne Patienten nicht glücklich werde.“ Ihr Mann habe sie darin bestärkt, in Fellbach, wo sie aufwuchs und gut vernetzt ist, die Privatpraxis zu eröffnen.
Mit Erfolg. Ihr Patientenstamm wuchs stetig, und die nunmehr 1000 Patienten hätte die 65-Jährige nur zu gerne in neue Hände übergeben. „Es hätte alles so übernommen werden können, inklusive Sprechstundenhilfen. Und ich wäre bei Bedarf jederzeit eingesprungen“, sagt Evelyne Fürst und denkt dabei an eine Ärztin, die als Mutter mal Engpässe erlebt. „Für so jemanden könnte die Praxis super sein, weil alles flexibler ist, und bei Notfällen hätte ein Anruf gereicht.“
So hat die 65-Jährige – im Abschiedsbrief hat sie mit „Ihre Leibärztin“ Adieu gesagt – es auch mit ihren Patienten gehandhabt. Sie hatte reduziert geöffnet, aber auf dem Handy war sie für Notfälle Tag und Nacht erreichbar. „Das wurde nie ausgenutzt. Manche habe ich montags sogar geschimpft, dass sie sich damit durchs Wochenende gequält haben.“ Es sei ihr immer auch darum gegangen, Ängste zu nehmen und bei Bedarf an den Facharzt zu überweisen. „Ich hab mich ein bisschen als Trüffelschwein gesehen. Ich suche und die anderen graben dann.“ Evelyne Fürst schmunzelt. Sie geht mit einem lachenden und einem weinenden Auge, mit viel Dankbarkeit und mit dem Fünkchen Hoffnung, dass sich doch noch jemand finden möge, um ihren Lebenstraum zu übernehmen.