Die linksautonome Szene in Berlin kämpft gegen die Gentrifizierung der Stadt – und scheut nicht vor Gewalt zurück. Lässt sich der Konflikt mit den Hausbesetzern überhaupt noch lösen?

Berlin - „Wir lassen uns nicht unterkriegen! Der Kampf geht weiter!“ – nach den Ausschreitungen in Berlin verbreitet die linke Szene Durchhalteparolen im Internet. Drei Tage nach der Randale im Stadtteil Friedrichshain vermischen sich die Aufrufe allerdings bereits mit versöhnlicheren Tönen. Man wünsche sich eine Deeskalation, sagte Andreas Döhler für eine Anwohnerinitiative bei einer Pressekonferenz am Dienstag. „Reden Sie mit uns“, wandte er sich an Innensenator Frank Henkel (CDU). „Gegenseitige Beleidigungen, Beschimpfungen, und Bedrohungen führen zu nichts.“

 

Die Demonstration am vergangenen Samstag war lange angekündigt – man traf sich, um gegen den „Ausverkauf“ der Stadt zu protestieren. Statt der 200 angekündigten Teilnehmer erschienen nach einem Aufruf allerdings 3500 Demonstranten. Die Polizei, 1100 Beamte aus Berlin, 700 aus weiteren Bundesländern, hatte mit dem Zulauf nicht gerechnet. Die Bilanz des Wochenendes: 123 verletzte Polizisten, 86 Festnahmen, mehr als 100 Strafverfahren – wegen Körperverletzung, Landfriedensbruchs, Widerstand gegen Polizeivollzugsbeamte, versuchter Gefangenenbefreiung, Anlegen von Vermummung, Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz. Dazu brennende Autos in Friedrichshain, Mitte, Prenzlauer Berg und Steglitz, ein brennender Bagger auf einer Baustelle. Die Polizei sprach von der „gewalttätigsten Demo der letzten fünf Jahre.“

Dass Autos brennen ist nichts Neues

Dass Autos brennen, dass Fensterscheiben eingeschlagen werden, ist in diesen Bezirken nichts Neues. Der Konflikt zwischen den Linksautonomen und den Landespolitikern schwelt seit Monaten. Er spitzt sich zu in der Rigaer Straße unweit des Frankfurter Tors, im Szeneviertel Friedrichhain. Hier reihen sich kleine Läden an Wohnhäuser, parken Mittelklassewagen vor den Türen.

Es ist ein Ort, an dem sie spürbar wird, die viel beschworene Gentrifizierung. Längst wohnen nicht mehr nur Menschen mit niedrigem Einkommen oder sozial Schwache in der Rigaer Straße – Künstler, Studierende, Migranten. Luxusapartments und schicke Lokale haben den Stadtteil aufgewertet. Die meisten Wohnungen können sich in Friedrichshain nur noch gut Verdienende leisten. Der Kiez ist angesagt bei jungen, wohlhabenden Familien, aber auch bei Investoren.

Besonders in der Rigaer Straße trifft diese Entwicklung auf Widerstand. Unweit der Kreuzung Rigaer- / Liebigstraße, im Haus Nummer 94, leben rund 15 Frauen und Männer in einem Kollektiv. Mal sind es ein paar mehr, mal weniger. Viele von ihnen arbeiten im sozialen Bereich, einige suchen Arbeit, andere studieren. Sie gelten als Zentrum der linksautonomen Szene Berlins, gehören zu den letzten Hausbesetzern der Hauptstadt, wo in den 1990er Jahren, nach der Wende, viele leer stehende Gebäude besetzt wurden.

„Wir wollen ein selbstbestimmtes Leben führen“

Die Rigaer Straße 94 wechselte seit ihrer Besetzung 1990 dreimal den Besitzer – Ende 2014 kauft die Kapitalgesellschaft Lafone Investment das Haus. Spätestens seit diesem Zeitpunkt ist die Zukunft seiner Bewohner ungewiss. Von den 30 Wohnungen sind nach Angaben der Hausverwaltung noch sieben besetzt. Am 22. Juni dieses Jahres lässt sie unter dem Schutz von 300 Polizisten eine Werkstatt sowie die Szenekneipe „Kadterschmiede“ im Erdgeschoss des Gebäudes räumen. „Wir lassen uns nicht unterkriegen“, lautet die Reaktion der Hausbesetzer.

„Wir lassen uns nicht unterkriegen“ – das sagt Jacques schon Mitte März, lange vor den Ausschreitungen des Wochenendes. Der 29-Jährige sitzt in einer kleinen Bäckerei an der Ecke Rigaer- / Liebigstraße – der Kreuzung, die von den Hausbesetzern liebevoll „Dorfplatz“ genannt wird. Vor zwei Jahren ist Jacques von Stuttgart nach Berlin gezogen. Er findet es spannend, im Kollektiv zu leben – „auch, wenn es manchmal anstrengend ist.“ Jeder Einzelne müsse sich engagieren, sagt er, hat einmal Schankdienst in der „Kadterschmiede“, muss sich dann wieder ums Abendessen kümmern. Viel Zeit für sich habe man nicht.

Doch darum geht es den jungen Hausbesetzern nicht. Sie wollen eine Kneipe, die für jedermann bezahlbar ist, einen Flohmarkt, auf dem sich jeder etwas leisten kann. Sie wollen Filme zeigen, Partys feiern, Konzerte veranstalten – ohne sich vorher um Schanklizenzen oder um offizielle Anmeldungen zu kümmern.

Dass in dem Viertel seit 20 Jahren kein Strafzettel mehr verteilt wurde, der Lärmschutz quasi außer Kraft gesetzt ist – darauf ist Hänsel stolz. Der 26-Jährige aus Leipzig sitzt neben Jacques in der Bäckerei, trinkt Kaffee. Er trägt einen schwarzen Pulli und eine schwarze Mütze. Beim Sprechen schaut er oft zur Seite. Seit drei Jahren wohnt Hänsel in dem Kollektiv. „Wir wollen ein selbstbestimmtes Leben führen“, sagt er. Und schert sich nicht darum, dass Berlins Innensenator von „rechtsfreien Räumen“ spricht.

„Wer Steine schmeißt, der will Gewalt, nicht reden.“

„Der Rechtsstaat ist nicht verhandelbar“, betonte Henkel im Rundfunk Brandenburg-Berlin (rbb) nach der Randale am Wochenende. Er wolle sich nicht auf die Forderungen der Linksautonomen einlassen – auf die Rückgabe der Räume, den Abzug der Polizei. Und er will, im Gegensatz zu anderen Politikern, wie etwa der Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne), nicht mit ihnen sprechen. Ein Gesprächsangebot, so Henkel, sende ein verheerendes Signal: „Wer Autos anzündet, wer Steine schmeißt, wer Banken entglast, der will Gewalt, nicht reden.“

Nach der Gewalteskalation am Samstag sei nicht die Zeit für Runde Tische, sagt nun auch Michael Müller (SPD). Der Regierende Bürgermeister plädierte noch Anfang Juli dafür, sich mit den Hausbesetzern zu treffen, Standpunkte zu diskutieren. Insbesondere der heute parteilose Ex-Pirat Christopher Lauer reagierte auf die Weigerung des rot-schwarzen Senats, mit der linken Szene in Dialog zu treten, harsch: „Man könnte meinen, dass Henkel ein politisches Interesse hat, dass die Situation eskaliert“, sagte Lauer in Bezug auf die bevorstehenden Wahlen zum Abgeordnetenhaus in Berlin.

Bereits im vergangenen Herbst stufte die Polizei den Kiez als „kriminalitätsbelasteten Ort“ ein. Seither dürfen die Beamten ohne konkreten Anlass Passanten kontrollieren. Das empfinden nicht nur die Bewohner der Hausnummer 94 als Gängelei. In einer Pressemitteilung machten etwa die Erzieher der Kindertagesstätte gegenüber des Hauses ihrem Ärger Luft, nachdem Mitarbeiter und Eltern im Anschluss an einen Elternabend kontrolliert worden waren. „Diese Maßnahmen haben nichts mit Verhältnismäßigkeit zu tun, sondern sind reine Schikane gegen alle, die sich in der Rigaer Straße aufhalten“, heißt es darin.

Nicht alle zeigen uneingeschränktes Verständnis

Er habe keine Lust, sich kontrollieren zu lassen, sagt an diesem Nachmittag auch ein Anwohner Mitte 50, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Man brauche nur einmal über die Straße zu laufen, schon müsse man seinen Ausweis zeigen. „Das ist nicht lustig“, sagt er. „Grundlegend haben wir mehr ein Problem mit den Bullen als mit den Alternativen.“

Die Solidarität im Kiez sei hoch, bestätigt Jacques. Nach einer Razzia Mitte Januar dieses Jahres hätten viele Anwohner Kuchen vorbeigebracht – ein Nachbar habe sogar eine Tonne Kohle zum Heizen spendiert, ein anderer zwei Feuerlöscher. „Die Menschen sind viel näher zusammengerückt“, sagt er. „Man diskutiert auf einmal auf der Straße.“

Doch nicht alle zeigen uneingeschränktes Verständnis für die Nachbarn. Carina Schnirch etwa wohnt mit ihrer Familie seit sieben Jahren in der Rigaer Straße. Gerne, sagt sie: „auch, weil hier so unterschiedliche Menschen leben.“ Die Gewalt aber kann die 37-Jährige nicht nachvollziehen: „Von 50 Parteien in unserem Haus hatten 20 schon einen Brandschaden an ihrem Auto.“

Er würde keinen Pflasterstein werfen, sagt Hänsel. Für manche im Haus sei Gewalt aber schon ein Mittel, um etwa auf Razzien zu reagieren. „Autos anzuzünden resultiert vielleicht auch aus einer Ohnmacht heraus“, sagt er. Wie es nun weitergehen soll, weiß er selbst nicht so recht. Am 9. August soll der Szeneladen M99 in Kreuzberg geräumt werden. Auseinandersetzungen mit der Polizei scheinen vorprogrammiert. Auch davon wollen sich die Linksautonomen „nicht unterkriegen lassen“.