Echte Hemminger oder Korntaler gibt es immer weniger. Weil es in keiner Strohgäu-Kommune ein Krankenhaus gibt, kommen die Kinder in Stuttgart, Ludwigsburg oder Leonberg zu Welt. Luis Ristic ist der einzige Hemminger aus dem Jahr 2012.

Hemmingen - Hier ist er“, ruft Niko. Der Dreijährige schiebt die Wiege, in der sein kleiner Brüder Luis schläft, mit Schwung durch das Wohnzimmer der Familie Ristic in Hemmingen. Luis wirbelt dabei zweimal um die eigene Achse – und schläft. Auch Nikos aufforderndes Pieken weckt den Säugling nicht. „Er ist durch nichts aus der Ruhe zu bringen“, sagt seine Mutter Andreia Ristic. Die 26-Jährige und ihr Mann Bojan sind sich sicher, dass Luis’ Gelassenheit auch damit zu tun hat, wie er auf die Welt gekommen ist – nämlich zu Hause.

 

In der Badewanne wurde Luis am 17. November 2012 geboren. Die Hausgeburt war kein Unfall, sondern mit der Hebamme geplant. Damit ist der drei Monate alte Säugling eine Ausnahme in der Gemeinde. Von den 51 Kindern, die im Jahr 2012 in Hemminger Familien geboren wurden, kam er als einziger auch auf Hemminger Gemarkung zur Welt. Da die Gemeinde kein Krankenhaus hat, fahren werdende Eltern in die umliegenden Städte: nach Stuttgart, Leonberg, Ludwigsburg oder Bietigheim.

„Ich habe mir eine Hausgeburt zuerst nicht zugetraut“

Im Bietigheimer Krankenhaus ist vor drei Jahren auch Niko, der erste Sohn von Andreia und Bojan Ristic, zur Welt gekommen. Ristic ist Krankenschwester. Als ihre Hebamme sie damals während der Geburtsvorbereitung fragte, ob sie sich eine Hausgeburt vorstellen könne, lehnte Ristic ab. „Ich habe damals gar nicht dran gedacht und habe mir das nicht zugetraut.“

Nicos Geburt verlief normal und mit sechs Stunden recht schnell. Doch der Krankenschwester war sie zu hektisch. Ihr Mann hatte eine Grippe und musste zwischendurch immer wieder den Kreißsaal verlassen, die Krankenhaushebamme versorgte mehrere gebärende Frauen zugleich. „Da habe ich mir überlegt, wie schön es wäre, wenn jemand während der Geburt nur für mich da ist.“ In vertrauter Umgebung zuhause das Kind zu bekommen – Ristics Wunsch danach wurde immer größer.

Die Familie riet zunächst ab

Ihr Mann Bojan und ihre Familie rieten ihr zunächst ab. „Geh lieber ins Krankenhaus“, sagte auch die Großmutter der jungen Frau. Diese hat ihre vier Kinder zwar allesamt ohne Probleme zuhause zur Welt gebracht, aber: „Hätte ich damals ins Krankenhaus gehen können, hätte ich das getan.“ Doch die 26-Jährige setzte sich durch. „Ich hatte Vertrauen in meine Hebamme und mein Mann dann auch.“

2011 gab es in Hemmingen einen Ausschlag nach oben: Vier Kinder erblickten damals per Hausgeburt das Licht der Welt. 2010 und 2009 wurde kein einziges Kind in Hemmingen geboren. Doch in den umliegenden Städten waren es auch nicht mehr. In Ditzingen etwa kam 2012 kein Kind zuhause auf die Welt, In Gerlingen und Korntal-Münchingen war es jeweils eines.

„Einen Trend zu Hausgeburten gibt es nicht“

„Einen Trend zu Hausgeburten gibt es nicht“, sagt Ursula Flagmeier. Sie ist selbstständige Hebamme in Hemmingen und betreut Mütter bei Hausgeburten. Flagmeier half auch Luis Ristic auf die Welt. Im vergangenen Jahr hat sie zwölf Hausgeburten betreut. 2011 waren es 16. Zwischen 16 und 20 Hausgeburten begleitet sie im Schnitt pro Jahr. „Diese Zahlen haben sich seit zehn Jahren nicht verändert.“

Wenn eine Schwangerschaft gut verlaufe, Mutter und Kind gesund seien, spreche aus ihrer Sicht nichts dagegen, zuhause zu bleiben, sagt die Hebamme. Eine Orientierung bieten ihr zudem zwei körperliche Merkmale der werdenden Mutter: große Füße deuteten auf ein breites Becken hin, volle Lippen darauf, ob die Frau generell „gebärfreudig“ sei, so Flagmeier. Im Falle von Andreia Ristic hat alles gestimmt. „Am Abend haben wir Niko zu den Großeltern gebracht“, sagt die 26-Jährige. Zwei Stunden, nachdem die Hebamme eingetroffen war, war Luis dann schon auf der Welt.