Beim Besuch in Berlin zum 25-jährigen Bestehen des deutsch-französischen Finanz- und Wirtschaftsrates legt der französische Finanzminister Pierre Moscovici den Fokus auf Wachstumsförderung.

Berlin - Der französische Finanzminister Pierre Moscovici kann seine Genugtuung nicht verbergen. Als er mit dem deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble zum 25-jährigen Bestehen des deutsch-französischen Finanz- und Wirtschaftsrates in Berlin zusammentrifft, gilt sein besonderer Dank dem Gastgeber: Er wisse zu schätzen, dass der deutsche Partner gut zuhören könne. Seit Monaten wirbt die französische Regierung dafür, dem Land mehr Zeit zum Erreichen der Defizitziele einzuräumen. Die EU-Kommission hat diesen Wunsch erhört. Paris bekommt bis 2015 Zeit, um beim Defizit die Obergrenze von drei Prozent des Sozialprodukts zu erreichen. Moscovici wertet dies in Berlin als großen Erfolg. Hinter der Entscheidung Brüssels stehe eine wichtige Kursänderung, sagt der Minister vor Studenten in Berlin. Die Kommission erkenne an, dass die Ankurbelung des Wachstums nicht vernachlässigt werden dürfe.

 

Der deutsche Finanzminister wirkt bei Moscovicis Worten zwar angespannt, doch er widerspricht seinem Gast aus Paris nicht. Schäuble sagt, es sei nicht sinnvoll, Kontroversen auszubreiten. Die Entscheidung der EU-Kommission hält Deutschlands Kassenwart für angemessen. Er habe volles Vertrauen in Frankreich. Mit diesen Worten will Schäuble die Tonlage in der Koalition vorgeben. In den Reihen von Union und FDP gibt es große Zweifel am Brüsseler Aufschub. Diese Bedenken wischt Schäuble vom Tisch. Er hält es für ein Missverständnis, wenn in der Debatte Wachstumsförderung und Defizitreduzierung als Gegensatz dargestellt würden.

Paris und Berlin haben das Stabilitätspaket einst ausgehebelt

Moscovici weiß, dass die Brüsseler Entscheidung in Deutschland viele Fragen aufwirft. Hierzulande ist noch gut in Erinnerung, dass Deutschland und Frankreich den Stabilitäts- und Wachstumspaket vor zehn Jahren aushebelten. Seit 2009 wurde das Vertragswerk verschärft.

Moscovici deutet an, dass die Bundesregierung eine Fristverlängerung um zwei Jahre wohl nicht vorgeschlagen hätte. Weil er um die Skepsis weiß, gibt er die Versicherung ab, das Sparen nicht zu vernachlässigen. „Wir wollen die Staatsausgaben in den Griff bekommen“, sagt der französische Minister in feierlichem Ton. „Das ist ein Versprechen, das ich in Berlin gebe.“ Solche Zusagen sind in der Praxis allerdings kaum belastbar. Nach der französischen Lesart hat die EU-Kommission eine Kurskorrektur vollzogen. Es reiche nicht aus, sich auf Sparziele zu fixieren, argumentiert Paris. Notwendig sei vielmehr ein ausgeglichenes Verhältnis: In Europa müsse es mehr Anstrengungen geben, um Wachstum und Beschäftigung zu fördern, sagt der französische Minister.

Moscovici spricht von neuem Spielraum, der genutzt werden soll. Hätte Brüssel auf der Einhaltung der Sparziele bestanden, wären die Folgen wohl Steuererhöhungen im Nachbarland gewesen. Dies hätte die Konjunktur weiter belastet, meint Moscovici. Er warnt vor einer übertriebenen Anpassung, die unweigerlich in die Rezession geführt hätte. Das französische Regierungsmitglied will mit dem Zeitgewinn verantwortlich umgehen. „Die Entscheidung der Kommission darf nicht so interpretiert werden, dass dies für Frankreich ein Anreiz für Faulheit wäre“, so der Minister. Vielmehr werde weiterhin auf sparsame Haushaltsführung geachtet. Die ursprünglichen strukturellen Defizitziele, also die von der Konjunktur unabhängigen Haushaltszahlen, sollen trotz Verschiebung weiter gelten.

Beide Länder wollen die Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen

Einig sind sich die beiden Minister, dass der Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit in Europa eines der wichtigsten Themen für die nächsten Monate ist. Schäuble hat wenig Hoffnung, dass europäische Programme gegen Jugendarbeitslosigkeit viel bewirken. Die Erfahrung zeige, dass europäische Initiativen zu spät kämen. Deshalb wird darüber nachgedacht, mit bilateralen Abkommen Verbesserungen zu erreichen.

An den Gesprächen in Berlin nehmen auch die Notenbankchefs der beiden Länder teil. Bundesbankchef Jens Weidmann spricht eine leise Mahnung aus. „Deutschland und Frankreich haben eine besondere Führungsrolle bei der Auslegung der Verabredungen“, sagt Weidmann.