Nach Zugeständnissen der italienischen Regierung will die EU-Kommission von einem Defizitverfahren vorerst absehen. Allerdings muss das Parlament in Rom die geänderten Haushaltspläne noch absegnen. Von einem Abbau der gigantischen Altschulden bleibt Italien weit entfernt.

Korrespondenten: Barbara Schäder (bsa)

Frankfurt - Die EU-Kommission will auf das im November angedrohte Defizitverfahren gegen Italien verzichten. Die Regierung in Rom habe sich im Streit um den Haushalt für 2019 „ein ganzes Stück bewegt“, sagte der für den Euroraum zuständige EU-Kommissar Valdis Dombrovskis auf einer im Internet übertragenen Pressekonferenz. Wenn das italienische Parlament die neuen Haushaltspläne billige, lasse sich „ein Defizitverfahren zum jetzigen Zeitpunkt vermeiden“.

 

Italien hat zugesagt, seine Neuverschuldung im kommenden Jahr auf 2,04 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu begrenzen. Zuvor hatte die Koalition aus Rechts- und Linkspopulisten ein Defizit von 2,4 Prozent angepeilt. Nach Einschätzung der EU-Kommission wäre es letztlich noch höher ausgefallen, weil die italienischen Berechnungen auf einer optimistischen Wachstumsprognose beruhten. Diese hat Rom nun von 1,5 Prozent auf 1,0 Prozent revidiert, so dass Brüssel auch die neue Defizit-Schätzung als realistisch einstuft.

Zehn Milliarden Einsparung

Italien will gegenüber dem ursprünglichen Plan rund zehn Milliarden Euro einsparen. Dazu soll auf einige Mehrausgaben verzichtet werden. Andere werden lediglich hinausgezögert: So wurde die Einführung des sogenannten Bürgereinkommens, einer italienischen Variante von Hartz IV, von Januar auf April verschoben. Weitere zwei Milliarden Euro an geplanten Ausgaben werden nach Darstellung der Kommission „auf Eis gelegt“. Italien dürfe sie erst freigeben, wenn sich im Laufe des Jahres zeige, dass die Begrenzung der Neuverschuldung auch tatsächlich gelinge.

Dafür darf Italien bei der Berechnung des Defizits einige Sonderposten außen vorlassen: Dazu zählen die Ausgaben für den Neubau der im Sommer eingestürzten Brücke in Genua sowie Instandsetzungsarbeiten nach den heftigen Überschwemmungen im Herbst.

„Die Lösung ist nicht ideal“, räumte EU-Kommissar Dombrovskis ein. Denn Italien sitzt schon jetzt auf einem Schuldenberg von über 130 Prozent des BIP, noch höher ist die Staatsschuldenquote europaweit nur in Griechenland. Der EU-Stabilitätspakt sieht eigentlich eine Begrenzung der Staatsschulden auf 60 Prozent des BIP vor.

Dombrovskis ist besorgt

Besorgt zeigte sich Dombrovskis auch darüber, dass die Kosten für das Bürgereinkommen sowie die Senkung des Renteneintrittsalters spätestens ab 2020 voll durchschlagen würden. Gleichwohl sagte Italien zu, die Neuverschuldung übernächstes Jahr auf 1,8 Prozent und 2021 auf 1,5 Prozent zu senken.

Der französische EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici rühmte den Kompromiss mit Rom als „Sieg des politischen Dialogs“. Die EU-Kommission habe bewiesen, „dass sie nicht der Feind des italienischen Volkes ist, wie es einige gern darstellen wollten“. Den Verdacht, Brüssel scheue mit Blick auf die Europawahl im Frühjahr vor harten Schritten gegen Rom zurück, wies Moscovici zwar zurück. Auf die Frage, ob die Entscheidung mit den Demonstrationen in seinem Heimatland oder mit dem bevorstehenden Brexit zusammenhänge, sagte der Franzose allerdings: „Wir können den Kontext nicht ignorieren, und deshalb ziehen wir den Dialog einer Konfrontation vor.“ Die EU-Kommission halte sich an die Regeln des Stabilitätspakts, diese müssten aber „flexibel und intelligent“ angewandt werden.

Frankreich steuert höheres Defizit zu

Frankreich steuert im kommenden Jahr auf ein noch höheres Defizit zu als Italien. Da Präsident Emmanuel Macron nach den Protesten der Gelbwesten den Verzicht auf eine Klimaschutz-Abgabe und Steuererleichterungen für Rentner zugesagt hat, rechnet die Regierung mit einer Neuverschuldung über drei Prozent des BIP. Das wäre ein Verstoß gegen den Stabilitätspakt. „Die Kommission hat einen faulen Kompromiss mit Italien gemacht, weil sie letztlich auch das hohe Defizit in Frankreich akzeptieren wird“, befürchtet der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer. „Italiens Populisten-Regierung hat also indirekt von den gewalttätigen Protesten der französischen Geldwesten profitiert.“

An den Börsen wurde die Einigung im Haushaltsstreit mit Erleichterung aufgenommen.: Der Euro legte leicht zu. Die Risikoprämien auf italienische Staatsanleihen gaben dagegen nach. Da sie die Finanzierungskosten auch von Unternehmen und Banken beeinflussen, hatte ihr Anstieg in den vergangenen Monaten Besorgnis ausgelöst.

Der Streit ist noch lange nicht ausgestanden

Nach Einschätzung des Analysten Florian Hense von der Berenberg-Bank ist der Haushaltsstreit aber noch lange nicht ausgestanden. „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben“, sagt er mit Blick auf das Defizitverfahren. „Sollte Italien seine jetzigen Zusagen nicht einhalten können, wird das Thema wieder auf den Tisch kommen.“ Das größte Problem bleibe der Zustand der italienischen Wirtschaft: „Für eine langfristige Verbesserung wären Strukturreformen entscheidend. Die Renten- und Arbeitsreformen, die von den Vorgängerregierungen durchgesetzt worden waren, zurückzudrehen, ist genau der falsche Weg.“