Der Mieterverein warnt vor einer Vertreibung von Bewohnern durch die Mieterhöhungen und fordert eine sozialverträgliche Regelung.

Stuttgart - Energetische Haussanierungen treiben zunehmend die Mieten nach oben und führen vor allem bei bisher noch besonders preiswerten Wohnungen zu großen Problemen. So wurde Mietern der Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG) in der Bottroper Straße auf dem Hallschlag mit den anstehenden Sanierungsarbeiten gleich eine Mieterhöhung von mehr als 60 Prozent angekündigt. Für den Mieterverein ist damit ein zumutbares Maß überschritten. „Die Wohnungen werden für die bisherigen Mieter unbezahlbar und diese faktisch hinausmodernisiert“, warnt der Vereinsvorsitzende Rolf Gaßmann. In einem Brandbrief an den Aufsichtsrat der SWSG fordert er eine neue Grundsatzdebatte über Hausmodernisierungen mit dem Ziel, die Mieten nur sozialverträglich steigen zu lassen, um die angestammten Mieter nicht zu vertreiben.

 

Keinen Grund, sich auf den Frühling zu freuen

Für die 192 Sozialmieter in den heruntergekommenen Gebäuden Bottroper Straße 45 bis 49 und 65 bis 69 gibt es in diesem Jahr keinen Grund, sich auf den Frühling zu freuen. Zum 1. März sind umfangreiche Modernisierungs- und Sanierungsmaßnahmen angekündigt. Neue Fenster, eine neue gedämmte Fassade, neue Aufzüge und neue Bäder werden die Monate bis zum Dezember zu einer Baustellenzeit mit größten Behinderungen, Lärm, Dreck und Einschränkungen machen. Das Schlimmste aber kommt für die Mieter zum 1. Dezember: Dann muss der bauliche Fortschritt mit kräftigen Mietsteigerungen bezahlt werden.

Für eine betroffene Familie mit drei Kindern werden dann statt 822,99 Euro Warmmiete plötzlich 1118,30 Euro fällig – macht eine Steigerung der Grundmiete von 61,52 Prozent. Eine Witwe mit einer kleinen Wohnung muss dann statt 461,43 stattliche 756,75 Euro berappen – 64 Prozent zusätzlich, wie der Mieterverein anprangert, an den sich verzweifelte Betroffene gewendet haben. „Von der Modernisierung hätten sie keinerlei Nutzen, nur einen großen Schaden“, sagt die Beraterin Doris Wittmer. Der Mietervereinsvorsitzende stellt klar, dass man nicht gegen eine energetische Sanierung sei und dass auch die Mieterhöhung rechtlich zulässig ist. „Aber es geht um die Frage, ob die Ziele sozialverantwortlich verfolgt werden“, betont Gaßmann.

60 Prozent Steigerung ist „problematisch“

Er hat deshalb an den SWSG-Aufsichtsrat appelliert, die Mieterhöhungen nach Modernisierung nicht wesentlich höher ausfallen zu lassen als die zu erwartenden Einsparungen. „Jede Steigerung der Mietbelastung, welche über zehn Prozent hinaus geht, überfordert die finanzielle Leistungsfähigkeit der Mieter“, schreibt Gaßmann und verweist auf andere städtische Wohnungsgesellschaften wie etwa in Konstanz, „die sich in diesem Sinne beschränken und ihre soziale Verantwortung wahrnehmen“.

Damit aber stößt er bei der SWSG wie auch beim Aufsichtsratsvorsitzenden und Ersten Bürgermeister Michael Föll auf klare Ablehnung. „Dann könnte nichts mehr saniert werden“, wehrt Föll ab. Er wie auch SWSG-Geschäftsführer Wilfried Wendel sieht auch keinen Grund für eine neue Grundsatzdebatte zum Umgang mit Modernisierungen, sondern verweist auf die bisherige Regelung. Demnach werden Modernisierungskosten bei geförderten Wohnungen nur bis zu einer Miete von 90 Prozent des Mietspiegelmittelwertes weitergereicht und für den Fall, dass die Miete dann trotzdem für die Mieter zu teuer werde, eine Ersatzwohnung angeboten. „Die Probleme entstehen dort, wo die Mieten bisher extrem günstig sind“, so Föll. 60 Prozent Steigerung sei „problematisch und im Einzelfall auch nicht zumutbar.“

Hilfen im Einzelfall

Wilfried Wendel hält auch 60 Prozent mehr Miete für zumutbar. „Ich schaue nicht auf Prozente, wir sehen die Kosten und den Mietspiegel“ sagt er. „In der Bottroper Straße haben die Mieter bisher extrem günstig gewohnt und nach der Sanierung werden die Leute dort immer noch für Stuttgarter Verhältnisse günstig wohnen.“ Im übrigen verweist er auf die Hilfen im Einzelfall, was bisher immer funktioniert habe. Die vom Mieterverein beklagten Fälle seien der SWSG bisher nicht bekannt. Unter 30 Mietern, die um Beratung nachsuchten, seien nur zwei Fälle, denen das Sozialamt unter die Arme greifen müsste.