Der Deutsche Tierschutzbund hat vor einigen Wochen davor gewarnt, durch die steigenden Energiepreise könnten viele Reptilien ausgesetzt oder abgegeben werden. Bisher ist die Lage jedoch noch ruhig. Kommt der Ansturm noch?

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

Schlangen, Schildkröten und andere kleine Reptilien sind inzwischen beliebte Haustiere geworden. Das erfordert etwas Aufwand, denn die Tiere brauchen es recht warm. Zwischen 22 und 24 Grad brauchen die wechselwarmen Tiere es in der Regel konstant. Bei den steigenden Energiepreisen ist das für viele Familien nicht einfach, viele haben auch so schon Mühe, die erhöhten Gebühren für Strom und Gas aufzubringen. Kürzlich warnte der Deutsche Tierschutzbund daher schon, dass viele ihre Tiere diesen Winter in Tierheimen abgeben oder sie sogar aussetzen könnten.

 

Bisher ist die Lage aber noch recht ruhig. „Ich fürchte aber, dass fängt erst richtig an“, sagt die Stuttgarter Tierärztin Ursula Häfner, die sich in ihrer Praxis auf Reptilien spezialisiert hat. „Mir wird richtig schlecht, wenn ich an die Reptilien denke.“ Vor allem auch die erhöhten Gebühren für Tierärzte und eben die steigenden Energiepreise könnten viele Besitzer dazu verleiten, ihr Tier einfach wegzugeben. Viele ihrer kleinen Patienten, die die Halter nicht mehr versorgen können, nimmt sie auch mal bei sich auf. Kleine Schildkröten stecke sie draußen bei sich mit ins Gehege. „Aber ich kann leider nicht jedes Tier aufnehmen.“

Der Tierschutzbund rechnet für eine kleine Echse mit rund 500 bis 800 Euro im Jahr an Kosten für Strom, Futter, technisches Equipment und Tierarztkosten. Im Stuttgarter Tierheim in Botnang spürt man die Auswirkungen bereits, hieß es kürzlich gegenüber unserer Zeitung. Jede Menge Kornnattern, Land- und Wasserschildkröten, ein Chamäleon und andere Exoten tummeln sich dort bereits, die in diesem Jahr gefunden oder abgegeben worden sind – insgesamt 77 Reptilien.

Andernorts hält sich der Ansturm bisher noch sehr in Grenzen. Thomas Meining betreibt in Untertürkheim ein Fachgeschäft für Terraristik, dort bietet er auch kleinere Reptilien aus Nachzuchten zum Verkauf an. „Bisher gibt es kaum Nachfragen, ob ich Tiere aufnehmen kann“, sagt er und ergänzt: „Es gibt auch keine Massenpanik bisher unter Besitzern, die ihre Tiere weggeben wollen.“ Die Menschen zeigten jedoch ein sehr zurückhaltendes Kaufverhalten inzwischen. „Sie sind vernünftiger geworden – auch im Vergleich zur Coronazeit.“ Aber da sei es eher um Hunde und Katzen gegangen. Wer sich ein Reptil anschaffe, überlege sich dies in der Regel schon sehr gut, seine Kunden seien in der Regel auch sehr informiert.

Auch beim Stuttgarter Veterinäramt halten sich die Nachfragen in Grenzen. „Es hat sich inzwischen auch schon wieder gelegt, was vermutlich an der kommenden Strompreisbremse liegt“, sagt Thomas Stegmanns. Er leitet bei der Stadt die Dienststelle für Lebensmittelüberwachung, Verbraucherschutz und Veterinärwesen und ist selbst Reptilienbesitzer. Vor zwei bis drei Monaten seien die Nachfragen, wo man Tiere hingeben könnten, noch häufiger gewesen. Auch gebe es nicht mehr gefundene Tiere, die ausgesetzt wurden. Er rechnet auch nicht mehr mit einem großen Ansturm über den Winter.

Seit den 1990ern seien Schildkröten, Leopard-Geckos oder Kornnattern zu Familientieren geworden und hätten bei vielen das Kaninchen oder den Hamster als beliebter Haustiere ersetzt. „Aus Tierschutzgründen ist das gut“, findet Stegmanns. Aus seiner Sicht sei ein Reptil tatsächlich oft sogar pflegeleichter als ein Hund oder auch Kaninchen – gerade wenn Kinder im Haus seien. „Ein Reptil muss nicht jeden Tag draußen sein, braucht kein Rudel, keine Erziehung und folgt auch keiner Rangordnung wie zum Beispiel ein Hund“, sagt Stegmanns. Und grade bei Kaninchen oder Hamstern sei es Kindern oft noch schwer zu vermitteln, dass dies keine Kuscheltiere sind. „Eine Katze wehrt sich, wenn sie nicht kuscheln will, ein Kaninchen kann das gar nicht“, sagt der Tierarzt.

Trotzdem sei nicht jedes Tier geeignet als Haustier. „Ein Krokodil gehört schlicht einfach nicht in die Badewanne“, sagt Stegmanns. Ein Anfängerfehler, den unerfahrene Reptilienbesitzer immer wieder mal machten. „Aber das wird halt schnell groß.“

Auch Isabel Koch, Kuratorin für Reptilien in der Stuttgarter Wilhelma, rät, eine Entscheidung für ein Reptil, nicht „zwischen Tür und Angel zu treffen“. Die meisten Besitzer würden dies aber auch nicht tun. Deshalb rechnet auch sie nicht mit einem großen Ansturm bei Tierheimen oder Auffangstationen. „Die, die ihre Tiere abgeben, hätten eh nie ein Reptil haben sollen“, gibt sie zu bedenken. Das sei auch kein Phänomen, welches neu sei. „Das gab es schon immer, dass Menschen sich mal für ein falsches Tier entschieden haben und es dann irgendwo anders unterbringen wollten“, sagt Koch. „Die sind dann leider ganz enttäuscht, wenn die Zoos da nicht ‚Hurra“ schreien.“

Für Reptilien sind nämlich die Auffangstationen zuständig, die nächstgelegene ist in München – dort ist aber auch häufig der Andrang groß. Ende 2020 lebten dort laut dem Jahresbericht aus dem Jahr 2010 insgesamt 2455 Tiere – darunter über 500 Schildkröten und auch drei Krokodile. „Bei uns ist es sehr selten, dass wir Tiere aufnehmen – eventuell mal aus Beschlagnahmungen“, sagt Isabel Koch. Gelegentlich gebe man auch mal einer Schildkröte einen Platz. Das sei die einzige Ecke in der Wilhelma, wo es mal Platz gebe. „Viele denken leider, es sei hübsch, wenn der Zoo einfach ihr Reptil aufnimmt“, sagt Koch. „Aber wir sind leider keine Arche Noah, es muss bei uns einen vernünftigen Platz geben.“ Zoos hätten in der Regel diesen zusätzlichen Platz aber nicht. Deshalb seien die Tierheime oder Reptilienauffangstationen zuständig. „Aber da sind wir in Deutschland jämmerlich aufgestellt.“ Aus ihrer Sicht müsste jedes Bundesland eine haben. „Die Tierheime schaffen das nicht – und sind auch nicht auf Reptilien ausgerichtet.“