Die Stadt Stuttgart hinkt bei der Energiewende anderen Großstädten deutlich hinterher. Das hat eine Debatte von Experten und Bürgern ergeben.
Stuttgarter - Bei einem Hearing der Stuttgarter SPD zur Energiewende ist am Donnerstagabend im Rathaus ein Punkt ganz deutlich geworden: Stuttgart hat sich auf den Weg gemacht und Ziele formuliert, ist aber noch weit entfernt von großen Erfolgen und hinkt auch anderen Städten stark hinterher. Drei Experten sind an dem Abend vor erstaunlich zahlreichem Publikum zu Wort gekommen, danach diskutierten diese Experten mit Baubürgermeister Peter Pätzold (Grüne), Arvid Blume von den Stadtwerken und Christa Widmaier-Berthold vom SPD-Themenforum Energie.
Der Energiewissenschaftler Joachim Nitsch zeigte anhand von Berechnungen auf, wie wichtig die Wärmeerzeugung für die Energiewende ist und welche Defizite Stuttgart hat. So sei bei den Heizungen der Anteil der Fernwärme mit 19 Prozent nicht schlecht, doch bei der Nahwärme, sprich bei Blockheizkraftwerken, erreiche Stuttgart mit 0,9 Prozent nicht einmal den Landesschnitt. Um den Rückstand aufzuholen, müsse Stuttgart jährlich sieben bis acht Megawatt an Leistung aufbauen – das entspräche mehr als hundert Blockheizkraftwerken in Einfamilienhäusern. Mit diesen Nahwärmenetzen könnten die Stadtwerke sofort anfangen, sagte Nitsch. Der Streit mit der EnBW um das Fernwärmenetz dürfe nicht dazu führen, dass gar nichts getan und der Rückstand noch größer werde.
Das Fernwärmenetz muss erneuert werden
Daneben müsse das Fernwärmenetz modernisiert werden, es sollten also noch weit mehr Wohnungen angeschlossen werden, und auch die Kraftwerke selbst seien zu erneuern, sagte Nitsch an die Adresse der EnBW. Der geplante Umstieg von Kohle auf Gas in Gaisburg reiche nicht aus, dort müsse ein weit effizienteres Gas- und Dampf-Kombikraftwerk gebaut werden.
Jan Fritz Rettberg von der Universität Dortmund stellte den Energiemasterplan vor, den sein Institut für die Stadt Dortmund erarbeitet hat. Zumindest ausweislich seines Vortrags ist dort eine beeindruckende Bürgerbeteiligung ins Werk gesetzt worden, und der Plan ist wissenschaftlich begleitet worden. Daraus sind 20 Leuchtturmprojekte entstanden, die nach einer Frist umgesetzt sein müssen. Christa Widmaier-Berthold forderte für Stuttgart ebenfalls einen Masterplan. Der auch für Umwelt zuständige Baubürgermeister Peter Pätzold hielt dagegen: In Stuttgart habe es eine umfangreiche Bürgerbeteiligung gegeben, derzeit würden Mitarbeiter eingestellt, welche die konkrete Umsetzung des Energiekonzeptes planen sollen.
Experte fordert drastisches Vorgehen gegen die EnBW
Mit deftigen Worten hat Johannes van Bergen, der 25 Jahre lang die Stadtwerke Schwäbisch Hall geleitet hat, die Situation in Stuttgart beschrieben. In Hall sei man „nicht so blöd“ gewesen (wie in Stuttgart), auch nur ein Prozent der Stadtwerke zu verkaufen, meinte van Bergen. Er schlug der Stadt vor, im Streit mit der EnBW zu drastischen Maßnahmen zu greifen und die Konzession für das Fernwärme- und Wassernetz einfach von der EnBW an die Stadtwerke übertragen. „Dann muss die EnBW verkaufen“, so van Bergen. Zentraler Punkt seiner Rede: Stuttgart müsse alle Sparten übernehmen, da diese künftig stärker ineinandergriffen. „Lassen Sie sich auf nichts anderes ein“, rief er Peter Pätzold zu. Der Applaus des Publikums war ihm gewiss.