Zum Internationalen Hebammentag am Samstag haben Stuttgarter Hebammen auf dem Marktplatz Kondome verteilt. Was hat es damit auf sich?

Filderzeitung: Rebecca Anna Fritzsche (fri)

Stuttgart - „Hier, ein Kondom! Damit Sie sich vor Hebammenmangel schützen können!“ Die Passantin guckt verdutzt, schaut dann auf den Zettel, der ihr mit dem Kondom hingehalten wird, lacht und sagt: „Da muss man erst mal drüber nachdenken!“ Sie fragt nach, was es mit der Aktion auf sich hat. Veronika Mürbeth-Jankowski, von der Kreisgruppe Stuttgart des Hebammenverbands Baden-Württemberg, lässt sich nicht lange bitten: „Der Hebammenmangel ist mittlerweile so eklatant: viele Kreißsäle werden geschlossen, und Frauen in den Wehen müssen lange Wege auf sich nehmen.“ Die Arbeitsbedingungen für Hebammen seien nicht mehr nur „ein bisschen schwierig“, sondern bereits existenzbedrohend: Nicht nur die hohen Versicherungsbeiträge für freie Hebammen, auch etwa die geringe Bezahlung für die Wochenbettbetreuung, die Arbeitszeiten zu Tag und Nacht, die mit einem Familienleben schwer vereinbar sind, sind Gründe, weshalb Hebammen durchschnittlich nur vier bis sieben Jahre in ihrem Beruf arbeiten, bevor sie umsatteln, erklärt Mürbeth-Jankowski. „Darum finden zu viele Frauen keine Hebamme für die Nachsorge im Wochenbett, werden im Kreißsaal von Hebammen versorgt, die gleichzeitig noch drei andere Frauen betreuen müssen, oder werden schon mitten in den Wehen in der Klinik abgewiesen und woanders hin geschickt.“

 

Eine Hebamme ist im Ganzkörper-Kondom-Kostüm dabei

Wie die Passantin reagieren fast alle der angesprochenen Menschen auf dem Marktplatz: interessiert, zustimmend. „Das ist ja wie eine tickende Zeitbombe“, sagt ein älterer Mann fassungslos, der sich die Situation erklären lässt. „Wir erleben eine große Offenheit, aber auch viele Leute, bei denen das Problem noch gar nicht im Bewusstsein ist“, sagt Mürbeth-Jankowski. Extra für die Aktion zum Internationalen Hebammentag an diesem Samstag hat sich ihre Kollegin Rahel Thiessat in Schale geworfen: Sie trägt ein Ganzkörper-Kondom-Kostüm aus weißem Schleierstoff. „Hat ein bisschen was von Junggesellinnenabschied, mein Outfit“, meint sie und lacht. „Aber ein Hingucker bin ich!“

Stehen geblieben sind auch die Schwestern Lena und Meike Müller. „Ich kenne die Problematik, weil in meinem Freundeskreis Hebammen sind“, sagt Meike Müller. „Man muss auf das Problem aufmerksam machen, damit sich etwas ändert“, stimmt ihre Schwester Lena zu, und Meike ergänzt: „Viele Frauen erfahren vom Hebammenmangel erst, wenn sie schon schwanger sind und eine Hebamme suchen. Dann ist es zu spät.“ Die beiden füllen auch die Karten aus, die die Hebammen verteilen: In Anlehnung an die Gelbe Karte, mit der man die Stadtverwaltung auf Missstände aufmerksam machen kann, sind diese Karten direkt an Oberbürgermeister Fritz Kuhn adressiert.

Die Hebammen warten auf eine Reaktion von Fritz Kuhn

Neben den etablierten Hebammen mit Berufserfahrung sind auf dem Marktplatz auch drei Hebammenschülerinnen in Ausbildung dabei. „Die Zukunft unseres Berufsstandes ist uns sehr wichtig“, sagt Sofia Jägle (21). „Wenn wir Leuten erzählen, dass wir Hebammen sind, freuen sich alle und wollen uns am liebsten schon gleich reservieren“, erzählt Karina Betcher, 22. „Das zeigt, dass es nicht genügend von uns gibt, um alle schwangeren Frauen zu betreuen.“ „Das Problem betrifft die meisten Frauen früher oder später“, so Robin Kaintoch (23). Konkret fordern die Hebammen von der Stadt Stuttgart, eine flächendeckende Versorgung durch Hebammen für alle Stuttgarter Bürgerinnen einzurichten, Zuschüsse für Leistungen wie die Wochenbettbetreuung zu bezahlen, und das Berufsbild attraktiver zu machen, beispielsweise mit kostenlosen Parkausweisen, Unterstützung bei der Wohnungsfindung und Existenzgründung. „Wir hoffen auf eine Reaktion von Fritz Kuhn“, sagt Veronika Mürbeth-Jankowski. Um die Arbeitsbedingungen für Hebammen insgesamt zu verbessern, müssten aber auch die Bundesregierung und die Krankenkassen reagieren, unter anderem mit angemessener Bezahlung von Hebammenleistungen.