Flehende und weinende Mütter: Hebammen in den Kreisen Ludwigsburg und Böblingen lassen sich inzwischen viel einfallen, um verzweifelte Frauen nach der Geburt zu unterstützen. Sogar Videos gibt es mittlerweile.

Kreis Ludwigsburg - Die automatische Antwort auf eine E-Mail an Rebecca Nemetz verdeutlicht den Hebammenmangel in drei Sätzen: „Aufgrund der vielen Anfragen ist eine zeitnahe Antwort nicht immer möglich. Bitte sehen Sie mir nach, dass ich bei ausgeschöpfter Kapazität nicht jede Mail beantworten werde. Neue Betreuungen kann ich erst wieder ab 2021 anbieten!“

 

Mit „vielen Anfragen“ meint Rebecca Nemetz 20 bis 25 im Monat. Zwei könne sie zusagen, „oft kommt eine dritte dazu, weil es mir so leid tut, dass die Frauen keine Hebamme finden“, sagt die 32-Jährige aus Weil der Stadt (Kreis Böblingen). Ein „riesiges Problem“ sei die Wochenbett-Betreuung, also die Nachsorge in den ersten Wochen nach der Geburt.

Immer mehr Hebammen gehen inzwischen neue Wege, um Frauen zu helfen, die ohne häusliche Betreuung dastehen. In der Leonberger Praxis des Gynäkologen Gero Dongus, der auch in Ditzingen praktiziert, bieten Rebecca Nemetz und ihre Kollegin Simone Boscher seit gut einem Jahr eine Wochenbettsprechstunde an. Beide arbeiten neben ihrer hauptberuflichen Tätigkeit in einer Stuttgarter Klinik freiberuflich. Diese Kombination praktizieren laut dem Hebammenverband im Land rund drei Viertel der angestellten Hebammen.

„Die beste Alternative, die wir haben“

An zwei Tagen in der Woche kümmern sich Nemetz und Boscher in einem Raum eingerichtet mit Stillstuhl, Wickeltisch, Untersuchungsliege und Sportgeräten für Rückbildungsübungen je eine halbe Stunde lang um Mütter. „Das ist kein Ersatz für die häusliche Betreuung, die wir viel lieber machen. Doch es ist die beste Alternative, die wir haben, um eine möglichst gute Nachsorge anzubieten“, sagt Nemetz. Weil sie sich die Anfahrt zu den Eltern spart, könne sie mehr Frauen länger betreuen.

Erfahren Sie hier mehr über die ambulante Hebammensprechstunde in Ludwigsburg

Bislang kann die 32-Jährige alle Anfragen bedienen. Sie und Boscher betreuen jeweils drei bis sechs Frauen pro Woche. Ausgeschöpft seien die Kapazitäten nicht. Nemetz vermutet, dass das Angebot noch zu wenig bekannt ist. Denn: Bedarf sei da. Deshalb biete sie die Sprechstunde an – obwohl sie auch so gut ausgelastet sei.

Eine Ausweitung nach Dizingen ist denkbar

Der Frauenarzt Dongus war „gleich begeistert von der tollen Idee“. „Hebammen betreuen in der Regel nur Frauen in einem bestimmten Umkreis. Unser Angebot ist offen für alle“, sagt er. Den Raum stellt Dongus kostenlos bereit. Seines Wissens nach ist in den Kreisen Ludwigsburg und Böblingen eine Sprechstunde wie diese in einer Arztpraxis bislang einzigartig.

Gero Dongus kann sich vorstellen, das Angebot in Leonberg zu erweitern oder auch in Ditzingen zu etablieren. „Wenn wir hierfür eine Hebamme finden. Das hängt von deren Auslastung ab“, sagt er. Gleichzeitig berichtet er von Berührungsängsten gerade bei manchen älteren Frauenärzten. „Hebammen werden als Konkurrenz gesehen, weil sie immer mehr Aufgaben übernehmen.“ Er selbst betrachte sie als eine Ergänzung.

„Erstgebärende brauchen am dringendsten Hilfe“

Auch Maike Wentz aus Bietigheim-Bissingen macht Frauen ein im Landkreis einzigartiges Angebot: Die 49-jährige Freiberuflerin unterstützt sie auf ihrer Internetseite vor wie nach der Geburt mit Bezahl-Videos. „Täglich muss ich zig Frauen absagen. Sie heulen und flehen, manche haben schon 50 Hebammen angerufen“, sagt Wentz. Sie selbst ist bis November ausgebucht. Gerade Erstgebärende würden zu spät – nach der achten Woche – mit der Suche starten. „Dabei brauchen sie am dringendsten Hilfe.“

Damit sie trotz ihrer Auslastung mehr Frauen unterstützen und begleiten kann, begann Wentz vor gut einem Jahr, ihre Arbeit mit einem professionellen Team zu verfilmen. „Meine Plattform gibt werdenden und frischgebackenen Eltern eine gewisse Sicherheit“, sagt sie. Damit könnten rund 70 Prozent der Wochenbett-Betreuung abgedeckt werden.

Noch sei die Resonanz verhalten. „Hebammen verbindet man nun einmal mit etwas Persönlichem“, sagt Maike Wentz. Langsam finde jedoch ein Umbruch dahingehend statt, dass Frauen lieber Alternativen zur häuslichen Betreuung nutzten, bevor sie gar nichts hätten. Daher will die Hebamme ihr Angebot ausbauen: ein Podcast ist das Ziel und Mitte des Jahres eine Online-Sprechstunde, zu der Interessierte sich zuschalten können.

Jede zweite Frau im Land kämpft mit Schwierigkeiten

Laut Schätzungen stehen im Kreis bis zu 40 Prozent der Frauen ohne Hebamme da. Eine Studie im Auftrag des Sozialministeriums belegt, dass im Land die Hälfte der Frauen Probleme hat, eine zu finden. Dies wurde erhoben, nachdem die Landesregierung Anfang 2017 den Runden Tisch Geburtshilfe ins Leben gerufen hatte: Wegen wachsender rechtlicher Vorgaben geben immer mehr Hebammen ihren Beruf auf oder reduzieren. Steigende Geburtenraten verschärfen den Mangel.

Beschlossen wurden fünf Maßnahmen, um die Lage zu verbessern. Etwa die Akademisierung des Berufs. Dies fordert der Hebammenverband schon lange. „Es ist allerhöchste Eisenbahn, dass sich die Politik mit dem Hebammenmangel befasst“, sagt die Vorsitzende Jutta Eichenauer. Nötig seien auch eine bessere Bezahlung, weniger Bürokratie oder weniger hebammenfremde Tätigkeiten.

Auch Sozialstationen bieten Hebammen-Sprechstunden an, ebenso die Geburtshelferinnen im Evangelischen Kinder- und Familienzentrum Ludwigsburg-Hoheneck. Sie möchten ihr Angebot gerne ausdehnen. Doch dafür brauchen sie Geld von Stadt und Kreis. Nun hat sich die Kommunale Gesundheitskonferenz des Themas angenommen, teilt das Landratsamt mit: Eine Arbeitsgruppe habe Kriterien erarbeitet, die eine Förderung bei verschiedenen Modellen der Hebammenversorgung ermöglichen. Der Entwurf werde noch im März nichtöffentlich im Sozialausschuss vorgestellt, der danach einen Beschluss fassen solle.

Die Hebammenliste auf der Internetseite des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen (GKV) erleichtert Frauen die Suche nach einer Hebamme. Bundesweit mehr als 18.000 freiberufliche Hebammen sind dort mit ihrer Telefonnummer und/oder E-Mail-Adresse sowie ihrem kompletten Leistungsangebot aufgeführt. Bevor die Liste Anfang des Jahres ins Netz ging, habe jede Hebamme für sich geworben, sagt Rebecca Nemetz. Viele Geburtshelferinnen hätten Mütter bis dato über Mund-zu-Mund-Propaganda bekommen.