Jean Chauvet unterrichtet seit 50 Jahren in am Hegel-Gymnasium in Stuttgart-Vaihingen. Seit 20 Jahren tut er das ehrenamtlich.

Stadtleben und Stadtkultur : Alexandra Kratz (atz)

Vaihingen - Barabara Graf begrüßt Jean Chauvet freudestrahlend. „Wir haben uns heute ja noch gar nicht gesehen“, sagt die Rektorin des Hegel-Gymnasiums und reicht dem alten Herren die Hand. „Aber wir haben uns doch gestern erst gesehen“, antwortet dieser etwas überrascht über das überschwängliche Willkommen. „Da sehen Sie es“, sagt Graf mit einem Augenzwinkern an die Besucherin gewandt. Denn es ist keineswegs selbstverständlich, dass Chauvet noch immer so oft im Hegel-Gymnasium ist. Seit mittlerweile 20 Jahren ist er im Ruhestand. Das hält den 85-Jährigen aber nicht davon ab, sich noch immer an „seiner“ Schule zu engagieren.

 

Chauvet ist Franzose. Im Dezember 1930 wurde er in der Nähe der Loire-Mündung an der Atlantikküste Frankreichs geboren. Nach seinem Studium unterrichtete er dort an einer Schule, die dem Dillmann-Gymnasium freundschaftlich verbunden war. So lernte er seine spätere Frau kennen und lieben, denn diese unterrichtete an der Schule im Stuttgarter Westen.

Empört über die eigene Pensionierung

„Die Frage war also nur noch: Wer geht zu wem?“, sagt Chauvet. Er war Gentleman und zog 1965 nach Deutschland. Von 1966 an unterrichtete er am Hegel, und zwar bis zu seiner Pensionierung 30 Jahre später. Allerdings war er damals eher empört darüber, dass er von seinen geliebten Schülern abgezogen wurde. Mit 75 Jahren folgte er noch einmal der Bitte der Schule und sprang für mehrere Monate für einen erkrankten Kollegen ein. Bis heute ist er Lehrer mit Leib und Seele. Auf die Frage, warum er sich für diesen Beruf entschieden habe, antwortet der 85-Jährige: „Ich habe gute Erfahrungen mit meinen Lehrern in Westfrankreich gemacht. Das waren freundliche und kompetente Leute.“

Chauvet war nie ein strenger Lehrer. „Das war gar nicht nötig“, sagt er. Das deutsche Schulsystem sei liberal. Das wirke sich auf die Stimmung und auf das Verhältnis von Schülern und Lehrern aus. „Die Atmosphäre am Hegel-Gymnasium war immer sehr angenehm“, betont Chauvet. Darum habe er auch nie das Bedürfnis gehabt, die Schule zu wechseln. Das französische Schulsystem hingegen, sei von Napoleon geprägt. „Dort ist Disziplin heute noch ein großes Wort“, sagt Chauvet und ergänzt. Die Schüler seien deshalb aber auch nicht gehorsamer oder eifriger. Doch die Stimmung sei eine andere. So seien Waffenkontrollen wie an manchen Schulen in Paris in Deutschland schier undenkbar.

Angenehme Atmosphäre am Hegel

Die Atmosphäre am Hegel sei auch der Grund dafür, weshalb er nach wie vor an mindestens zwei Tagen in der Woche an die Schule komme. Um „Kleinigkeiten zu machen“, wie Chauvet es formuliert. Jeden Montag gibt er drei Schülern mit ausländischen Wurzeln Nachhilfe in Französisch. „Die Schüler würden sonst unter Umständen das Klassenziel nicht erreichen. Das wäre ein Schock für sie und ihre Familien“, sagt Chauvet. Mittlerweile sei er sich aber sicher, dass es nicht dazu kommt. Zudem betreut der Pensionär noch immer die Schüler, die beim Bundeswettbewerb für Fremdsprachen mitmachen. „Dieses Jahr hatte das Hegel 14 Teilnehmer, und viele haben Preise gewonnen“, sagt Chauvet nicht ohne Stolz. Über die Jahre hat er unzählige Schüler auf die Klausur vorbereitet.

Dass er mittlerweile schon zwei Generationen unterrichtet hat, erkennt Chauvet auch immer wieder daran, dass die Jugendlichen ihm Grüße von den Eltern bestellen. „Das ist rührend“, sagt der 85-Jährige. Er habe das Gefühl, dass die Schüler und Lehrer dankbar seien, dass er sich noch immer regelmäßig blicken lasse. Seinen Ruhestand genieße er trotzdem. Aber sein Engagement am Hegel schaffe Abwechslung und sei Teil seiner Freude, die er im Ruhestand habe.