Der Anschluss der Krim an Russland verstößt gegen das Völkerrecht. Aber auch die Regierung in Kiew sei zu Unrecht im Amt, sagt der Völkerrechtler Matthias Hartwig vom Max Planck Institut in Heidelberg.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)
Stuttgart – - Der Übertritt der Krim von der Ukraine zu Russland sei völkerrechtlich unter keinerlei Umständen zu rechtfertigen, sagt Matthias Hartwig vom Max-Planck-Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Moskau könne sein Eingreifen weder mit dem behaupteten Schutz eigener Staatsangehöriger noch aus anderen Gründen rechtlich begründen.
Herr Hartwig, aus Moskau heißt es, die Krim sei jetzt russisch. Was sagt der Völkerrechtler dazu?
Das stimmt nicht. Die Krim ist ukrainisch. Die Krim gehörte seit 1954 zur ukrainischen Sowjetrepublik. Als die Sowjetunion zerfiel, sind die Verwaltungsgrenzen zwischen den Unionsländern zu Staatsgrenzen geworden. Die Ukraine wurde ein Staat – unter Einschluss der Krim. Daran haben die jüngsten Vorgänge nichts geändert.
Aber es ist doch ziemlich viel geschehen?
Schauen wir zunächst auf die Fakten. Nach dem Staatsstreich in Kiew haben Kreise auf der Krim gesagt, dass sie zu Russland wollen. Bewaffnete Uniformträger ohne Hoheitsabzeichen haben dann Gewalt ausgeübt. Nun gibt es zwei Varianten. Entweder man sagt, das waren russische Soldaten. Dann war das ein Einmarsch, eine Aggression. Oder wir nehmen an, es waren privat agierende Truppen – das ist nicht ganz ausgeschlossen. Wenn sie unter Anleitung der russischen Armee standen, dann ist das ähnlich zu werten, wie die erste Variante. In beiden Fällen ist es eine bewaffneter Angriff auf das Territorium der Ukraine.
Russland sagt, man habe nur die Bewohner der Krim schützen wollen. Zählt das nichts?
Nun sind wir im Bereich der möglichen Rechtfertigungsgründe für so einen Angriff. Tätliche Übergriffe auf die Bevölkerung hat es – nach allem, was man weiß – zu dieser Zeit nicht gegeben. Es gab lediglich den sehr unglücklichen Versuch in Kiew, die privilegierte Stellung der russischen Sprache zurückzudrängen.
Muss man mit Hilfe erst abwarten, bis es zu schweren Übergriffen kommt?
Es hat im Zusammenhang mit dem Kosovo eine lange Diskussion unter Völkerrechtlern gegeben, ob überhaupt mit Waffengewalt zum Schutze von Personen eingegriffen werden darf, wenn diese massiv bedroht werden. Das führte schließlich 2005 zu einem UN-Abschlussdokument, in dem eine Schutzverantwortung, eine responsibility to protect, abgekürzt R2P, ausdrücklich anerkannt wird. Aber es bedarf für militärische Maßnahmen immer einer Autorisierung durch den Sicherheitsrat. Einen einseitigen Einmarsch in ein anderes Land, um dort die Bevölkerung zu schützen, ohne einen vorherigen Beschluss des Sicherheitsrates, ist völkerrechtlich unzulässig.