Das historische Studentenlokal „Roter Ochse“ ist seit sechs Generationen im Besitz einer Familie. Die Traditionskneipe in der Heidelberger Innenstadt ist aber noch viel älter – es gibt sie seit gut 300 Jahren.

Heidelberg - Auf der Speisekarte stehen Odenwälder Hirschragout und Schwäbischer Zwiebelrostbraten, Pfälzer Bauernplatte und Badische Schäufele, auch ein guter Sauerbraten fehlt selten im Angebot. „Der wird hier sehr gern gegessen, den gibt es bei uns seit 60 Jahren“, sagt Philipp Spengel, der Wirt im „Roten Ochsen“ in der Heidelberger Altstadt. Dazu gibt es heiter-beschwingte Klänge vom Klavier, die den Gästen und Passanten an lauen Frühlingsabenden durch die offenen Fenster schon auf der Straße entgegenwehen. Alte Studentenlieder, Schlager, Swing aus den 50ern – Rudi, der Mann am Klavier hat einiges drauf von „Gaudemus Igitur“ bis zur „Sentimental Journey“ – zu vorgerückter Stunde wird da gern auch mitgesungen.

 

Der gut 300 Jahre alte „Rote Ochsen“ am oberen Ende der Hauptstraße ist eines von drei historischen Studentenlokalen in der Altstadt, in denen einst Verbindungen und Corps ihre Heimat hatten, in denen aber auch viele andere Gäste gern einkehrten. In diesem Jahr feiert man dort ein 175-jähriges Jubiläum. Albrecht Spengel, Metzger und Wirt, hat mit dem Erwerb des Hauses in der Hauptstraße 217 anno 1839 den Grundstein dafür gelegt. Seither betreibt die Familie das Gasthaus. Mit Philipp und Anne Spengel, zwei Gastronomie- und Hotelfachleuten, steht inzwischen die 6. Generation am Herd und am Buffet; das ist ziemlich einmalig, auch in einer Stadt wie Heidelberg mit ihrem regen Kneipenleben.

Das Universitätsarchiv kümmert sich jetzt um die Fotos

In den drei gemütlichen Gasträumen der Spengels gibt es deshalb mehr zu sehen als in manchem kleinen Museum. Die Wände schmücken, dicht an dicht, rund 400 Fotos, Zeichnungen und Lithografien von Studentengruppen und ihren Professoren, dazu Bilder von prominenten Gästen, gerahmte Glückwunschschreiben von Bismarck bis zu Mammi Eisenhower, Zeitungsartikel und Nachrufe. Von den Decken hängen imposante Trinkhörner, die die Gäste im 19. Jahrhundert dem Lokal gespendet haben, auf umlaufenden Regalborden sind historische Bierkrüge aus Steingut und Zinn zu bestaunen.

„Die Tische und Lampen sind noch original, nur die Stühle mussten erneuert werden, sagt Spengel. „Wir haben immer versucht, nichts zu verändern, den Charakter zu erhalten.“ Auch im Keller wird noch allerhand aufgehoben: Geschirr von früher, das Silberzeug, das heute keiner mehr putzen will, und Bilder, die nicht mehr an die Wände passen. „Hier wird nichts weggeworfen“, sagt Anne Spengel.

Im Jubiläumsjahr hat deshalb jetzt auch das Archiv der Universität Heidelberg ein Auge auf das Lokal geworfen. „Hier spiegelt sich das studentische Leben, von dem wir bisher bei uns nur wenig haben“, erläutert der Archivdirektor Ingo Runde. „Wir verwahren ja vor allem Verwaltungsakten und Unterlagen von Professoren. Bilder wie die im „Roten Ochsen“ gibt es bisher bei uns hingegen kaum“. Viele der Fotos dürften einmalig sein, vermutet er; zudem beginnen die Namen und Inschriften auf ihnen langsam zu verblassen. „Da war es auch aus konservatorischen Gründen angezeigt, sie zu sichern“, sagt Runde. In den vergangenen Wochen hat das Archiv damit begonnen, die Bilder und Dokumente zu scannen und zu digitalisieren und die Innenausstattung zu fotografieren. Alles zusammen soll im Lauf des Jahres weiter aufgearbeitet und über die Bilddatenbank der Uni öffentlich zugänglich gemacht werden.

Die weltoffenen Wirtsleute sind in einem Buch verewigt

Ein eindrucksvolles Denkmal hat vor Jahrzehnten schon der englische Schriftsteller Patrick Leigh Fermor dem Ochsen und seien weltoffenen Wirtsleuten in seinem Buch „Zeit der Gaben“ gesetzt. Der Autor war als 18-Jähriger zu Fuß zu seiner ersten großen Reise nach Konstantinopel aufgebrochen. Mitten im Winter 1933 kam er am letzten Tag des Jahres in Heidelberg an, wo er im Ochsen einkehrte. Eigentlich wollte er noch weiterwandern. „Sie können doch nicht mitten am Silvestertag durch den Schnee ziehen“, sagte da Auguste Spengel, die Urgroßmutter des heutigen Wirts und lud mit ihrem Mann den jungen Ausländer ohne Quartier ein, „als unser Gast“ zu bleiben. Der nahm dankbar an und spazierte am nächsten Tag mit Wirtssohn Fritz auf das Schloss, während dessen Mutter, „zum ersten Mal seit London“, auch die Wäsche des jungen Engländers waschen ließ. Etliche Seiten hat Fermor den Spengels und ihrem gastlichen Haus gewidmet. „Der Aufenthalt im Roten Ochsen gehört zu den Höhepunkten meiner Reise und die Erinnerung ist nie durch die folgenden Kriegsjahre getrübt worden“, schrieb er.

Das Bier fließt längst nicht mehr in Strömen

Heute ist das Gasthaus – außer auf Vorbestellungen für größere Familien- und Gruppenfeiern – an Feiertagen geschlossen. Noch immer kommen Studenten und viele Stammgäste, doch die Zeiten, in denen das Bier in Strömen floss, die sind vorbei. „Es geht bei uns immer um Essen und Trinken, das ändert sich nie“, berichtet Philipp Spengel. „Aber die Ansprüche sind gestiegen. Früher hat ein Bier genügt, heute heißt es: wie viel Sorten haben sie? Auch fünf vegetarische Gerichte reichen nicht, es muss auch noch ein Veganes sein“.

Doch die Spengels haben über die Generationen hinweg ihre Gästen zu ihrer Zufriedenheit bewirtet. „Jeder von ihnen hat etwas zur Familientradition beigetragen, wir sind in der ganzen Welt bekannt“, sagt der sechste Spengelwirt. Für ihn stand schon in der Schulzeit fest, dass er Koch werden und den elterlichen Betrieb übernehmen wollte. Sein älterer Bruder war ihm deshalb nie böse. Er ist auf seine Weise bei der Tradition geblieben – und Professor für Wirtschaft geworden.

Der Wirt hat ein Faible für Schmorgerichte

Ausländische Gäste fühlten sich von jeher wohl im Roten Ochsen. Eine der drei Gaststuben war einst Studenten aus der Schweiz vorbehalten. Der bekannteste von  ihnen war der spätere Bundespräsident Guiseppe Motta, der Ende des 19. Jahrhunderts in Heidelberg sein Jurastudium beendet hat. In den 1930er Jahren hat der Schauspieler Heinrich George hier vor den Reichsfestspielen auf dem Schloss in Ruhe sein Bier getrunken. Nach dem zweiten Weltkrieg waren sogar die Schauspieler John Wayne und Marilyn Monroe da.  Der Wirt Philipp Spengel kocht aus Leidenschaft  „Ich bin Zehnkämpfer und mache alles selbst. So etwas wie mich gibt es nicht nochmals“, sagt er über sich. Gelernt hat der 45-Jährige unter anderem im Europäischen Hof in Heidelberg, im Bayrischen Hof in München und im Kempinski in Berlin. Am liebsten macht er große Braten: „Rind, Schwein, Kalb, Kalbshaxe – alle Schmorgerichte“, verrät er. „Der Rote Ochsen“ liegt in der Hauptstraße beim Karlsplatz. Das Lokal ist von Montag bis Samstag jeweils von 17 bis 24 Uhr geöffnet, von April bis Oktober auch von 11.30 bis 14 Uhr. An Sonn- und Feiertagen nur auf Anfrage. Eine Anmeldung empfiehlt sich, Telefon 06221/20977. Generell gilt, das man im Gastraum an größeren Tischen zusammensitzt und bei Bedarf auch zusammenrückt. „Wir sind nichts für Liebespaare, die allein bleiben wollen“, sagt der Wirt.