Scientology wirft dem Verfassungsschutz vor, Gerüchte über sie zu verbreiten. Gleichzeitig bestreitet die Organisation, ein neues Domizil an der Heilbronner Straße in Stuttgart erworben zu haben.

Stuttgart - Das derzeitige Quartier der Stuttgarter Scientologen wirkt eher nüchtern als repräsentativ. Der Eingang zum Dianetik-Gemeindezentrum befindet sich in einem schmucklosen Hinterhof im Gebiet Veielbrunnen in Bad Cannstatt. Vor dem Eingang stehen an diesem Vormittag vier junge Menschen, ein Kind fährt im Hof Fahrrad. Alle vier sind freundlich, Auskunft zur Scientology-Organisation aber will keiner geben. Auch ein Rundgang durch das Haus ist nicht möglich, nur ein kurzer Aufenthalt im tristen Treppenhaus, das voller Scientology-Urkunden hängt.

 

Ein repräsentatives Quartier aber ist genau das, was die Stuttgarter Scientologen wollen – und nach Informationen des Verfassungsschutzes offenbar auch gefunden haben. Nach dessen Erkenntnissen hat eine ausländische Firma für acht Millionen Euro das Haus an der Heilbronner Straße 67-69 erworben, um es „wahrscheinlich“ zu einem großen Scientologen-Zentrum auszubauen, wie die Behörde auf Anfrage der StZ schreibt. Die Scientologen dementieren: „Es ist ein Gerücht, dass unsere Gemeinde bereits ein Objekt in Stuttgart gefunden hätte. Diese Spekulationen liegen fast auf derselben Ebene wie die Frage, ob Deutschland 2014 wirklich Fußballweltmeister werden wird“, schreibt Hubert Kech im Namen der Scientology-Gemeinde Baden-Württemberg in einer Mail. Kech bestätigt aber, dass die Gemeinde seit Jahren neue Räumlichkeiten für „ihre wachsende Mitgliederzahl“ im Stuttgarter Bereich sucht und dafür bereits erhebliche Spenden von Mitgliedern gesammelt habe. Für weitere Fragen ist Kech seit Donnerstagabend persönlich nicht zu sprechen.

Verfassungsschutz attestiert den Scientologen Probleme

Der Verfassungsschutz wird in seinem jüngsten Bericht konkreter: Mit zum Teil „rüden Methoden“ seien die Spenden eingetrieben worden; wie schon bei anderen Immobilienprojekten in Hamburg und Berlin sei der Erwerb verdeckt erfolgt und vermutlich ohne Hinweis auf den künftigen Nutzer. Laut Verfassungsschutz soll in Stuttgart das größte Scientologen-Zentrum in Deutschland entstehen. Damit solle an der Basis Aufbruchstimmung verbreitet werden, die die Scientologen demnach auch bitter nötig haben. Die Verfassungsschützer stufen Scientology zwar nach wie vor als „staatsgefährdende Organisation“ ein, stellen aber auch fest, dass diese zunehmend mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Wegen der anhaltend kritischen Öffentlichkeit habe die Organisation nicht nur in Baden-Württemberg große Probleme bei der Mitgliederwerbung. „Sowohl bei den Einnahmen als auch bei den Mitgliederzahlen ergibt sich das Bild eines schleichenden Rückgangs“, steht in dem jüngsten Bericht. In dem Verfassungsschutzbericht aus dem Jahr 2011 ist von einer zunehmenden Überalterung der Organisation zu lesen. Jürg Stettler, deutschlandweit Sprecher der Scientologen, freilich will davon nichts wissen: „Wir haben in Stuttgart viele junge Mitglieder.“ Er spricht von 2000 Scientologen in Baden-Württemberg, der Verfassungsschutz von 900.

Die Stadt will den Vorgang nicht kommentieren

Bei der Stadt will man zur Heilbronner Straße 67 nichts sagen, auch nicht zur Nähe zu so prominenten Projekten wie dem Milaneo und dem Luxus-Wohn- und Hotelturm Cloud No. 7 im Europaviertel: „Solange wir nicht sicher wissen, dass dort ein Scientologen-Zentrum entsteht, geben wir keine Stellungnahme ab“, sagt Fabian Schlabach, Pressesprecher der Stadt. Auch der Sprecher für das Projekt Cloud No. 7 winkt ab, kein Kommentar.

Schlabach allerdings räumt ein, dass die Verwaltung wenige Möglichkeiten habe, die Aktivitäten der Organisation einzuschränken. Scientology wirbt regelmäßig und bis zu dreimal in der Woche mit einem Stand an der Königstraße um neue Mitglieder. „Die Scientologen sind ein eingetragener Verein, den wir inhaltlich, politisch und weltanschaulich nicht bewerten dürfen“, sagt der Sprecher. Tatsächlich waren die Scientologen auch am Freitag wieder mit einem Stand in der Innenstadt, wo sie den Passanten einen Stresstest anboten.

Schon länger auf der Suche nach einem neuen Standort

Die Scientologen suchen seit einigen Jahren einen geeigneten Standort in der Landeshauptstadt. Bereits im Jahr 2007 hatte die Organisation versucht, an der Marienstraße Quartier zu beziehen. Damals prüfte die Stadt den Kauf des Gebäudes, um zu verhindern, dass Scientology übernimmt, tatsächlich kam dann ein privater Investor zum Zug. Untergekommen waren die Scientologen lange Zeit an der Hohenheimer Straße, seit vier Jahren sind sie in der Reichenbachstraße in Bad Cannstatt. Die Nachbarn haben sich an die Nähe zu der umstrittenen Organisation gewöhnt. „Wir hatten nur anfangs Probleme, als die Scientologen mit Tischen auf der Straße standen und auch unsere Kunden zum Stresstest gebeten haben“, sagt eine benachbarte Händlerin.

Zu ihrer jetzigen Nachbarschaft wollen sich die Scientologen nicht äußern, dafür zum Verfassungsschutz: „Zu Gerüchten und Spekulationen noch dazu aus dubiosen Quellen kann es keine konkreten Antworten geben“, so Hubert Kech in seiner Mail.

Warnungen vor der Organisation

Ordnung
„Die Scientology-Organisation strebt unter dem Begriff ,neue Zivilisation‘ eine gesellschaftlich-politische Ordnung an, die auf der Lehre L. Ron Hubbards beruht und die ein totalitäres Regime wäre. Darin wären elementare Grundrechte massiv eingeschränkt.“ So fasst der Verfassungsschutz das Gefährdungspotenzial von Scientology zusammen.

Tochterorganisationen
Die Scientologen treten häufig über Tochterorganisationen auf, wie den Wirtschaftsverband „World of Scientology Enterprises“ (WISE), über den sie versuchen, an kleinere und mittlere Betriebe heranzukommen und diese dann mit ihrer Lehre zu infiltrieren.

Kritiker
Gegner und Ehemalige würden systematisch geschmäht und unter Druck gesetzt, so der Verfassungsschutz. Svenja Hardecker, bei der evangelischen Kirche für Weltanschauungsfragen zuständig, spricht von einer Psycho-Organisation. „Scientology gibt vor, den Menschen geistig weiterzuentwickeln. Tatsächlich aber geht es darum, teure Kurse zu verkaufen und Menschen in ein System zu pressen.“