Von Heiligabend an ist in der katholischen Heilig-Geist-Kirche im Stuttgarter Osten eine Ohlhäuser-Krippe zu bewundern. Die geschnitzten Figuren sind bis zu 50 Zentimeter groß. Der Bildhauer Walter Ohlhäuser hat in den Nachkriegsjahren rund 30 Krippen geschaffen, die über den ganzen südwestdeutschen Raum verteilt sind.

S-Ost - Papa, können wir jetzt die Figuren holen?“ Gereon ist ganz aufgeregt, dem Neunjährigen geht das alles zu langsam. Da muss der Papa schon einmal bremsen, schließlich ist der Aufbau der Ohlhäuser-Krippe in der katholischen Heilig-Geist-Kirche im Stuttgarter Osten wahrlich kein Kinderspiel. Die Krippe ist riesig. Sie erstreckt sich über eine Fläche von etwa drei Metern Breite und eineinhalb Metern Tiefe, mit plätscherndem Wasser und sich drehenden Engeln. Der Josef ist das Maß aller Dinge, er ist stolze 50 Zentimeter groß, an ihm orientiert sich die Größe aller anderen Figuren. Kopf, Hände und Füße der der Figuren sind aus Lindenholz geschnitzt, zum Teil tragen sie prächtige Gewänder. Von heute an ist die Krippe in der Kirche in der Boslerstraße 1 zu bewundern. Und wer will, kann von Michael Cramer, dem „Papa“, auch mehr darüber erfahren.

 

Ein Vermerk der Landesbildstelle hilft weiter

Cramer ist mit seiner Familie vor zehn Jahren in den Stuttgarter Osten umgezogen und Mitglied der Heilig-Geist-Gemeinde geworden. „Ich habe die Krippe gesehen und sie hat mich sofort angesprochen“, erzählt er. Nach kurzer Zeit half er jedes Jahr beim Aufbau mit, inzwischen ist er zusammen mit dem Mesner der Kopf des Teams. Und er wollte mehr wissen. „Woher kommen die Figuren? Woher kommt die Krippe?“, waren Fragen, die ihn beschäftigten. In der Gemeindechronik entdeckte er ein altes Krippenfoto der einstigen Landesbildstelle, dem heutigen Landesmedienzentrum (LMZ). Auf der Rückseite stand eine Archivnummer. Cramer: „Das war der Ursprung meiner Recherchen.“

Im LMZ-Archiv waren zu dem Foto die Jahreszahl und der Name des Künstlers vermerkt: Ohlhäuser. Michael Cramer konnte den Sohn von Walter Ohlhäuser, Wolfgang Maria Ohlhäuser, ausfindig machen, der 1941 in Bad Cannstatt geboren wurde, selbst Künstler ist und heute in Weinheim lebt. Mit Hilfe der Familie erfuhr Cramer mehr über Walter Ohlhäuser und seine Krippen.

Kunst war ihm lieber als Elektronik

Walter Ohlhäuser wurde 1909 in Karlsruhe geboren, er wuchs in Mannheim auf. 1938 musste er nach Fellbach umziehen, weil der ausgebildete Elektromechaniker zur Arbeit als Betriebselektriker bei Daimler-Benz in Untertürkheim verpflichtet worden war. Allerdings hatte er zuvor nur kurz in diesem Beruf gearbeitet, weil er sich doch eher zur Kunst hingezogen fühlte. Schon vor dem Krieg hatte er an der Hochschule Mannheim Musik studiert und anschließend als Solo-Oboist in mehreren Berufsorchestern gespielt. Gleich nach dem Krieg begann er ein Bildhauerstudium bei Ernst Yelin in Stuttgart. In dieser Zeit entstand auch die Krippe in der Heilig-Geist-Gemeinde.

Die alte Krippe der Gemeinde war bei dem Bombenangriff in der Nacht vom 19. Oktober 1944 in der alten Kirche verbrannt. Deswegen bestellte die Gemeinde im Jahr 1947, kurz nachdem die Kirche wieder aufgebaut war, eine neue Krippe. Michael Cramer fand heraus, dass dies erst die zweite Auftragsarbeit von Ohlhäuser war, er bekam damals dafür 520 Deutsche Mark. Vermutlich finanzierte der Künstler mit seinen Krippen das Leben seiner Familie mit vier Kindern.

Aus einer Punktwolke entsteht ein Bild

Insgesamt fertigte Walter Ohlhäuser mehr als 30 große Krippen, manche in der Figurengröße 25 Zentimeter wie in der St.-Christophorus-Kirche in Stuttgart-Wangen, andere mit 40 Zentimetern wie in St. Michael in Sillenbuch. In den meisten seiner Krippen sind die Figuren rund 50 Zentimeter groß wie in Heilig-Geist. Und ein Freiburg steht sogar eine Krippe mit einem einen Meter großen Josef.

Michael Cramer hat schon viele Daten zusammengetragen – und arbeitet an einem noch ambitionierteren Projekt. Cramer ist Akademischer Oberrat am Institut für Photogrammetrie der Universität Stuttgart und betreut einen Studierenden, der sich in seiner Bachelor-Arbeit mit der dreidimensionalen Rekonstruktion von Krippenfiguren beschäftigt. Dafür werden die Figuren auf eine Drehscheibe gestellt, die von einem Grad-Maß umgeben ist. Mit einer fest montierten Kamera werden die Figuren fotografiert, nach jedem Bild wird die Figur um fünf Grad weiter gedreht. Diese Fotoserie muss dann noch einmal aus einem veränderten Standpunkt der Kamera wiederholt werden. Mit Hilfe einer speziellen Software werden dann alle korrespondierenden Bildpunkte verknüpft. So entsteht am Computer aus einer Punktwolke nach und nach ein dreidimensionales Bild der Figur. So könnten solche Kunstwerke für die Nachwelt in Datenform dreidimensional erhalten werden. Der Traum von Cramer ist, dass sich beispielsweise ein Diözesanarchiv für ein solches Projekt erwärmen könnte. Unabhängig davon will er sein inzwischen gesammeltes Wissen über die Krippe und Ohlhäuser irgendwann einmal in einem kleinen Buch veröffentlichen.