Die einen wollen freie Fahrt, die anderen weniger Verkehrsbelastung – weiter könnten die Meinungen der Heimat-Check-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer beim Thema Verkehr kaum auseinandergehen. Dabei eint sie eins: Es gibt wenig, was die Menschen so negativ beantworten wie diese Fragen: Wie hoch ist die Belastung durch den Straßenverkehr? Wie bewerten Sie die Parkplatzsituation in Ihrer Gemeinde? Auf einer Skala von 1 bis 10 erreicht der Landkreis den Wert 4,96. Schlechter wird nur die Situation am Immobilienmarkt bewertet.
Damit sind die Menschen im Kreis Esslingen noch pessimistischer eingestellt als im regionalen Durchschnitt der Heimat-Check-Teilnehmer (5,08). In den freien Kommentaren, die Befragte schreiben konnten, wird vor allem immer wieder ein Problem aufgeworfen: der Verkehrslärm. So schreibt ein Umfrageteilnehmer aus Esslingen: „Bitte Lärm reduzieren! Zum Beispiel die B 10 untertunneln. Das würde die Lebensqualität deutlich erhöhen. Insgesamt ist die Region viel zu laut.“ Und auch aus Nürtingen heißt es: „Der Verkehr allgemein ist zu viel und zu laut.“
Mehr Lebensqualität durch weniger Verkehr – das erhoffen sich viele. In anderen Städten blickt man bewundernd auf den Pragmatismus in Nürtingen, wie er sich beim Stadtbalkon zeigt: Die Alleenstraße wurde teilweise für Autos gesperrt, um Außenflächen für Gastronomie direkt am Neckar zu schaffen. Das findet Lob einiger Umfrageteilnehmer, wird von anderen aber auch kritisiert. Es heißt beispielsweise: „Eine wichtige Straße wurde gesperrt, was viele Berufspendler zu Umwegen zwingt, bloß weil ein paar Restaurants da das große Geld wittern. Stichwort Stadtbalkon.“ Der Nürtinger Oberbürgermeister Johannes Fridrich reagiert gelassen: „Ich kann gut nachvollziehen, dass viele Berufspendler, aber auch Einheimische die Abkürzung über die Alleenstraße geschätzt haben. Die Vorteile der Flaniermeile überwiegen jedoch aus meiner Sicht deutlich.“ Zum einen sei die Aufenthaltsqualität am Neckar mit neuen Gastrobetrieben und dem mediterranen Flair deutlich gesteigert. „Zum anderen hat es aber auch verkehrsrechtliche Vorteile.“ So werde der Lastwagenverkehr nicht mehr durch die Innenstadt, sondern über die Südtangente geführt.
Die Meinungen gehen aber nicht nur beim Stadtbalkon auseinander. Als Lösung ihrer Verkehrsprobleme sehen einige Menschen mehr Lärmschutz, weniger Parkmöglichkeiten, reduzierte Höchstgeschwindigkeiten und bessere Fahrradtrassen. Andere fordern das Gegenteil: Freie Fahrt für Autos, bessere Ampelschaltungen, höhere Geschwindigkeiten, mehr Parkplätze, Tunnel oder neue Umgehungsstraßen. Bei letzterem winkt der Nürtinger OB ab. Viele solcher Vorhaben seien aufgrund klimapolitischer Regelungen nicht mehr erlaubt und die Finanzierung utopisch. „Daher hat der Gemeinderat einstimmig die Planungen für die Tunneltrasse Oberensingen eingestellt.“ Das Augenmerk der Stadt liege darauf, das Straßennetz in einem guten Zustand zu halten oder zu verbessern. Um unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht zu werden, arbeitet man an einem neuen Mobilitätskonzept.
„Während es früher nur darum ging, den Autoverkehr schnellstmöglich durch die Städte durchzuleiten, wird nun versucht, die Interessen aller Verkehrsteilnehmer zu berücksichtigen.“ Unter anderem mittels Trennung der Verkehrsarten, beispielsweise Fahrradstraßen vor Schulen, während der Durchgangsverkehr woanders fährt. Fridrich freut sich, dass Nürtingen bei der Radinfrastruktur laut ADFC einen Sprung von unter- auf überdurchschnittlich gemacht habe.
Derweil gibt es auch in Esslingen Stimmen, die gerne weitere Teile der Innenstadt für Autoverkehr sperren würden. Die Aktion „Parking Day“ macht Parkplätze für einige Stunden zum grünen Wohnzimmer, in diesem Jahr am 15. September. Dabei wollen die Organisatoren nicht den einzelnen Autofahrer kritisieren, sondern die Rahmenbedingungen, die Stadt und Staat verbessern sollten, erklärt Petra Schulz, Vorsitzende des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) im Kreis Esslingen. Und zwar so, dass es bequem sei, zur Fahrt in die Innenstadt Rad oder Bus statt Auto zu nutzen. Aus Schulz’ Sicht hat sich in Esslingen bereits einiges verbessert: „Ich sitze gerade vor einem Café in der Fußgängerzone Ritterstraße. Vor ein paar Jahren noch war es wegen des Park- und Suchverkehrs furchtbar, hier zu sitzen, weil es furchtbar laut war.“