In Obertürkheim gestaltet Ralf Vogel einen besonderen Gottesdienst zu dem sowohl berühmte, als auch viele andere Besucher kommen.

Serie Heimat - Mit Gustav Heinemann hat alles angefangen. 1999 wäre der frühere Bundespräsident 100 Jahre alt geworden, Grund genug für Ralf Vogel ihm einen Gottesdienst zu widmen. Doch der evangelische Pfarrer wollte nicht selbst von Heinemann erzählen. Er machte sich auf die Suche nach jemandem, der den Bundespräsidenten persönlich kannte.

 

Der ehemalige Verfassungsrichter Helmut Simon erzählte schließlich in der Obertürkheimer Andreaskirche, wie er den Staatsmann erlebt hat. „Das war großartig. Die Leute hatten Tränen in den Augen“, schwärmt Vogel, der ohne Talar und im luftigem Hemd mit rotem Rankenmuster so gar nicht wie ein Kirchenmann aussieht. Der Spiel- und Theaterpädagoge, Vogels zweites berufliches Standbein, passt da schon besser. Aber Ralf Vogel ist Pfarrer. 14 Jahre lang hat er die Gemeinde Obertürkheim geleitet, bis vor drei Jahren gemeinsam mit seiner Frau. Als diese die Gemeinde Nellingen in Ostfildern übernahm, musste das Paar in das dortige Pfarrhaus umziehen. Doch Vogel blieb den Obertürkheimern treu.

Eine Mischung aus Theater und Interview

Der Vater einer 14-jährigen Tochter und eines 16-jährigen Sohnes betreute die Gemeinde zusammen mit einem anderen Pfarrer weiter. In Zukunft wird sich Vogel aber ganz aus der Gemeindeleitung zurückziehen. Er tritt eine neu geschaffene landeskirchliche Stelle an. Es geht um die Entwicklung eines neuen Konfirmandenunterrichts, bei dem sich Jugendliche und junge Erwachsene ehrenamtlich engagieren und in die pädagogische Arbeit einbezogen werden.

Im Rahmen dieser Tätigkeit kann sich Vogel auch weiterhin auf seine Gottesdienst-Reihe Nachtschicht konzentrieren. Eine Reihe, die also vor fast 13 Jahren mit Gustav Heinemann beziehungsweise Helmut Simon begann. Denn der frühere Verfassungsrichter war zwar der erste, der als geladener Gast in die Andreaskirche in Obertürkheim kam, aber er blieb nicht der einzige. Vier Nachtschichten organisiert Vogel in der Regel pro Jahr, überwiegend in der Andreaskirche, aber auch an anderen Orten in der Stadt. Die Gottesdienste betrachten ein Thema – häufig mit aktuellem Bezug – aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Der Aufbau der Nachtschichten am Sonntagabend ist immer gleich, eine Mischung aus Theater und Interview.

Im ersten Teil bringt das Nachtschicht-Team, eine Gruppe von mehr als 20 ehemaligen Konfirmanden, das Thema in verschiedenen Szenen auf die Bühne. Im zweiten Teil hat der Gast das Wort. Die Liste der Nachtschicht-Gäste ist lang und vor allem beeindruckend. Viele Prominente sind darunter, wie Bundespräsident Joachim Gauck, der Schauspieler Walter Sittler und der Kabarettist Eckart von Hirschhausen. Zu Wort kommen aber auch Nichtprominente, die zu einem bestimmten Thema einfach etwas Wichtiges zu sagen haben.

Nach dem Angriff auf einen 50-jährigen Mann in einem S-Bahnhof in München, der vier Kindern helfen wollte und dafür von den jugendlichen Gewalttätern zu Tode geprügelt wurde, lud Vogel Peter Meding in seine Nachtschicht ein. Meding hatte sich ebenfalls für eine Gruppe von Kindern eingesetzt, die von Jugendlichen bedroht worden waren. Für seine Zivilcourage schlugen sie ihn krankenhausreif. Nach dem Amoklauf an der Albertville-Realschule in Winnenden hatte der Obertürkheimer Pfarrer die Leiterin der Schule zu Gast.

„Die Kirche ist für die Nachtschicht gebaut worden“

Auf die Frage, wie es ihm gelinge, diese Menschen für seinen Gottesdienst zu gewinnen, erklärt der Kirchenmann: Er rufe da einfach an und mache den Leuten klar, „dass sie genau die Richtigen sind, um über dieses Thema zu sprechen“. Eine Methode, die offenbar gut funktioniert und nicht nur immer wieder außergewöhnliche Gäste in die Andreaskirche in Obertürkheim lockt, sondern auch für volle Kirchenbänke sorgt.

Inzwischen hat es sich herumgesprochen, dass es in Obertürkheim einen Pfarrer gibt, der einen besonderen Gottesdienst macht. Als Joachim Gauck Ende Januar in der Nachtschicht zu Gast war, füllten 600 Gottesdienst-Besucher das Obertürkheimer Gotteshaus. „Wir mussten immer noch 200 Leute nach Hause schicken“, sagt Vogel. Von der Idee, die Nachtschicht dauerhaft an einen anderen, vielleicht etwas zentraler gelegenen Ort in der Innenstadt zu verlegen, hält der 49-Jährige allerdings nichts. „Die Kirche ist für die Nachtschicht gebaut worden“, sagt Vogel, und meint damit, dass sich die Kirche etwa durch ihren verschiebbaren Altar perfekt für diese Gottesdienst-Reihe eignet.

Außerdem seien die Obertürkheimer sehr gastfreundlich, so dass sich ein Besuch im Bezirk auch deshalb lohne. Der Kirchenmann schätzt den Neckarvorort, das ist nicht zu überhören. Auf die Frage, was ihm an Obertürkheim besonders gefällt, antwortet er: Eine argentinische Sängerin, die schon lange im Stadtteil lebt, habe zu ihm gesagt: Ich fühle mich in Obertürkheim zu Hause. „Das finde ich toll“, sagt Vogel. Das Miteinander zwischen den Nationen sei sehr gut. Problematisch werde es allerdings, „wenn die Zuzügler irgendwann nur noch Ausländer sind“. Obertürkheim habe kaum Neubaugebiete, viele junge Familien würden deshalb aus dem Stadtbezirk wegziehen. Vogel würde sich einen stärkeren Austausch zwischen dem doch recht multikulturellen Stadtteil Obertürkheim und dem ebenfalls zum Bezirk gehörenden und sozial besser gestellten Uhlbach wünschen.

Der Pfarrer ist davon überzeugt, dass die soziale Durchmischung und der Austausch der Lebenswirklichkeiten beiden Stadtteilen gut tun würde. Ein erster Schritt in diese Richtung kommt von der Kirche selbst. Gab es in der Vergangenheit kaum Berührungspunkte zwischen den Gemeinden Obertürkheim und Uhlbach, werden die Konfirmanden seit dem vergangenen Jahr zumindest an zwei Wochenenden gemeinsam unterrichtet.