Was haben die Alteingesessenen zu erzählen? Helmtrud Kienle hat ihnen zugehört – und ein Buch daraus gemacht.

Heimsheim - „Was dui secht, schtemmt net älles, aber i halt mi do raus.“ Helmtrud Kienle lacht, Aussagen wie diese hat sie öfter gehört, als sie die Geschichten für ihr Buch „Heimsheimer Allerlei“ gesammelt hat. Viele Jahre lang hat sie zugehört, wenn die alteingesessenen Heimsheimer von früher erzählt haben, behutsam hat sie nachgefragt und dabei erfahren müssen, dass die Schwaben aus der Schleglerstadt nur das erzählen, was sie wollen. „Anfangs habe ich gefragt, ob man sich denn noch an das eine oder andere erinnere“, Kienle schmunzelt, die Antwort kam prompt: „I woiß nix meh, ond was i no woiß, des sag i net.“ Also hat sie nicht mehr gefragt, sondern zugehört. Und aus diesem Erzählen und Zuhören ist eine unterhaltsame Lektüre geworden.

 

Das nicht zuletzt deshalb, weil Helmtrud Kienle ein offenes Ohr für ihre Mitmenschen hat. Die gebürtige Ulmerin hat in Tübingen Germanistik und Romanistik studiert und dort auch ihren inzwischen verstorbenen Mann kennengelernt. „Wir sind im Lauf der Jahre immer mehr in Richtung Schwarzwald gezogen, bis wir schlussendlich mit unseren beiden Söhnen in Heimsheim gelandet sind“, erzählt die Lehrerin im Ruhestand, die am Leonberger Albert-Schweitzer-Gymnasium Deutsch und Französisch, später auch Spanisch und Ethik unterrichtet hat. Durch das Reiten, ihr liebstes Hobby, hat sie in der pferdenärrischen Gemeinde schnell Kontakt gefunden. „Seit mehr als 30 Jahren lebe ich jetzt hier, für mich ist die Schleglerstadt Heimat“, bekennt die 74-jährige Wahl-Heimsheimerin. Sie engagiert sich für ihre Gemeinde, war viele Jahre Mitglied im Kuratorium Schleglerkasten e.V. und ist in der Heimsheimer Flüchtlingshilfe aktiv. Ihr ehrliches Interesse am Ort und an den Menschen, die hier leben, ließ die Idee für das Büchlein reifen, und sie zu Papier bringen, was ihr im Lauf der Jahre von betagten Bürgern aus deren früherem Lebensalltag berichtet wurde.

Was es mit „Wargel“ und „Hudeln“ auf sich hat

Traurige Erlebnisse und kurze Anekdoten wechseln sich mit Erinnerungen an altes Brauchtum ab, wobei die Anonymität der Erzähler immer gewahrt bleibt. „Das war für mich immer oberste Priorität, ich will ja niemanden brüskieren“, betont Kienle. Dennoch hat sie manchen verärgerten oder ängstlichen Anruf bekommen mit der Bitte, sie möge eine bestimmte Erzählung aus ihrer Sammlung entfernen, da man nicht riskieren wolle, erkannt zu werden. „So präsent sind die Dinge, die vor mehr als 70 Jahren geschehen sind, noch heute“, weiß Kienle. So ist das eben in den ländlichen Gemeinden, und die Chronistin hat das respektiert.

Doch die meisten Heimsheimer haben gerne von den alten Zeiten erzählt, es ist ihnen wichtig, die Erinnerungen zu erhalten. „Geschichtliche Fakten gibt es genug. Aber es ist wichtig, die persönlichen Erinnerungen zu bewahren. Sie geben uns Bodenhaftung und Wurzeln“, findet Kienle. Sie hat im Lauf der Recherchen gelernt, was der „Wargel“ ist, mit dem „gehudelt“ wurde: War der Schamottstein im städtischen Backhäusle zu heiß, wurde mit einem um eine Stange geschlungenen nassen Lappen, dem Wargel, solange zügig über den Stein gewischt, also gehudelt, bis die richtige Backtemperatur erreicht war. Daher auch der schwäbische Rat, sich manchmal mehr Zeit zu lassen: „No net hudle.“

Erinnerungen aus der Kriegszeit

Kienle hat auch die Heimsheimer Institutionen „Dande Karoline“ vom „Kenderschüle“ und „Schweschter Luise“, die Gemeindeschwester, kennengelernt. Heute hochbetagte Heimsheimer erzählen immer noch respektvoll und mit Zuneigung von der tatkräftigen Leiterin der Kinderschule, heute wäre es ein Kindergarten, und der resoluten Gemeindeschwester, die Pflaster auf blutige Knie „bäbbt“ hat.

Auch schlimme Erinnerungen aus der Kriegs- und Nachkriegszeit werden nicht ausgespart. Dabei fasziniert die Autorin ein Aspekt besonders: „Egal, wie historisch verbrieft die Gründe für die Zerstörung Heimsheims sind, nach wie vor wird über die scheinbar wahren Gründe und das Schicksal der angeblich Verantwortlichen spekuliert.“ Auch diese Theorien haben Eingang in das „Heimsheimer Allerlei“ gefunden, auch sie gehören zu den Heimsheimer Erinnerungen. „Inzwischen sind schon zehn der Menschen, die mitgeholfen haben, das Buch mit lebendigen Geschichten zu füllen, gestorben“, sagt Kienle. Umso schöner, dass der Erfolg des „Heimsheimer Allerlei“ noch im Erscheinungsjahr 2017 eine zweite Auflage erfordert hat. Die ersten 150 Exemplare waren so schnell vergriffen, dass sie weitere 250 Stück in der JVA drucken ließ. Und auch die sind bis auf gut zwei Dutzend schon weg.

Das Buch „Heimsheimer Allerlei“ ist für acht Euro bei Helmtrud Kienle persönlich erhältlich, Telefon 0 70 33 / 3 42 33, sowie bei der Gärtnerei Blumen Kauffmann in der Talstraße 5 in Heimsheim.