ZDF Neo begleitet Prominente an die Stätten ihrer Kindheit – in der sechsteiligen Porträtreihe „Heimwärts mit . . .“. Das Format startet am Donnerstag mit dem BAP-Frontmann Wolfgang Niedecken.

Stuttgart - Orte können eine eigentümliche Wirkung auf Menschen haben, sie können Erinnerungen aufwühlen und vergangene Zeiten heraufbeschwören. Als der Reporter Manuel Möglich mit Wolfgang Niedecken in der Eifelgemeinde Rheinbach das katholische Internat betritt, wo der Frontmann von BAP seine Jugend verbracht hat, wird dessen Gesicht eigentümlich starr. Zu entsetzlich sind manche der Erinnerungen, die er mit den Jahren zwischen 11 und 18 verbindet, als er, schlechter Schüler, der er war, dort zum Abitur geführt werden sollte.

 

„Nachts fragte Pater L. gerne mal in seinem Zimmer Vokabeln ab. Man durfte dann auf seinem Schoß sitzen“, sagt Wolfgang Niedecken mit mühsam unterdrückter Emotion. Beim Duschen habe der Mann überprüft, ob die Jungen überall sauber gewaschen waren, öfter schlug er auch mal mit dem Stock zu. Erst als Niedeckens Vater bei seinem Sohn blutige Striemen auf dem Rücken entdeckte und bei der Internatsleitung vorsprach, wurde „der Peiniger“, so nannten ihn die Anstaltsinsassen, entlassen. Er, so Niedecken in der ersten Folge von Manuel Möglichs neuer Sendung „Heimwärts mit . . .“, habe das damals Geschehene ganz gut verdaut, zumal auch einige der Patres „prima Typen, echte Vorbilder“ gewesen seien. Viele seiner früheren Schulkameraden aber blieben fürs Leben geschädigt. „Einer hat sich letztes Jahr das Leben genommen“, sagt er – und der Reporter macht dazu ein betroffenes Gesicht.

Wie waren die Promis, als sie noch nicht prominent waren?

So oder so ähnlich sehen die Filme der sechsteiligen Reihe aus, die ZDF Neo heute startet; die einzelnen Beiträge laufen immer donnerstags um 22.15. Ein junger, wüst tätowierter, ständig die Fäuste in den Hosentaschen ballender Journalist begleitet Prominente an die Stätten ihrer Kindheit und Jugend und spricht mit ihnen dort über ihre Vorstellung von Heimat, ihren Werdegang, ihre Erinnerungen. Wer und wie waren die Prominente, bevor sie ins Rampenlicht gerieten und Menschen auf der Straße sich nach ihnen umdrehten? Bei Wolfgang Niedecken sind solche Fragestellungen einigermaßen ergiebig. Der 62-jährige Musiker ist beispielsweise bereit, das Café, in dem er früher seine Freistunden verbracht hat, zu besuchen. Die alten Kumpel seiner zweiten Band „The Troop“ trifft er auch zu einer musikalischen Session. Und bei all dem ist er klug genug, weniger sich selbst zu analysieren als vielmehr Zeitumstände, familiäre Bedingtheiten und altersabhängige Sehnsüchte.

Manuel Möglich, der im vergangenen Jahr für den Deutschen Fernsehpreis nominiert war und als freier Journalist in Berlin lebt, tut an seiner Seite, was er schon in seiner nicht unumstrittenen Reihe „Wild Germany“ getan hat. Scheinbar unvoreingenommen näherte er sich da gesellschaftlichen Randmilieus in Deutschland, was bei seiner Begegnung mit Hackern gut funktionierte, bei einem Treffen mit Pädophilen eher nicht so. Manchmal braucht es eben bei aller Offenheit und Toleranz doch eine Gabe, die er nun Wolfgang Niedecken großmütig attestiert: Haltung. Der 34-jährige Möglich belässt es aber bei freundlichem, nur selten kritischem Interesse gegenüber den Subjekten, die er vor die Kamera bringt.

Mit Martenstein nach Mainz

Wie er dieses nicht unproblematische Talent wohl gegenüber anderen Gesprächspartnern einsetzen wird? Den selbstironischen, aber durchaus auch von sich eingenommen Kolumnisten Harald Martenstein begleitet er in der nächsten Folge nach Mainz zu dessen Mutter Johanna. Die Schauspielerin Anna Thalbach nimmt ihn mit in ihr Berlin, dessen Teilung in Ost und West sie als Dissidententochter schmerzhaft erfahren musste. Der Arztsohn Jürgen Drews berichtet in Schleswig, wie er mit 15 als Banjospieler Preise einheimste und schließlich das Medizinstudium zugunsten der schönen Künste aufgab. Bevor Manuel Möglich dann mit der früheren Pornoikone Dolly Buster nach Prag zurückkehrt, wo sie einst an der Kunstschule lernte, dürfte er die härteste Nuss zu knacken haben: Der Musiker und Autor Heinz Strunk zeigt ihm seinen Herkunftsort Hamburg-Harburg. Dort wuchs er als Sohn einer alleinerziehenden, depressiven Musiklehrerin auf, was er schon in seinem Bestseller „Fleisch ist mein Gemüse“ komödiantisch, aber auch todtraurig verarbeitet hat.

Und was bedeutet nun all diesen Protagonisten die „Heimat“, dieser schillernde Begriff, der immerhin der ganzen Reihe zugrunde liegt? Harald Martenstein antwortet dem staunenden Interviewer in Mainz: „Heimat ist das, was ich nicht loswerden kann in meinem Leben“. Und Wolfgang Niedecken sagt in Rheinbach: „Eigentlich hätten wir nach Musik fahren müssen.“