Die Heimweghilfe fährt seit 1965 Wasenbesucher in ihrem eigenen Auto kostenlos nach Hause.

Stuttgart  - Aus den Festzelten auf dem Cannstatter Wasen dröhnt laute Volksmusik. Die Achterbahn rast über die Köpfe der Menschen hinweg, spitze Schreie dringen ans Trommelfell. An den Buden flanieren Männer in Lederhosen und Frauen in Dirndl vorbei. Der süße Duft von gebrannten Mandeln und Zuckerwatte liegt in der Luft. Fernab der bunten Lichter sitzen am Rande des Geländes sechs Männer in einem grell beleuchteten Raum bei Cola und Mineralwasser – und warten.

 

Sie sind Teil der 30 Mann starken Heimweghilfe und warten auf Kundschaft. Wer nach der einen oder anderen Maß nicht mehr fahrtüchtig ist, kann per Telefon oder bei der Anlaufstelle einen Fahrer anfordern, der ihn kostenlos im eigenen Auto nach Hause bringt. Nur die Taxipauschale für die Rückfahrt des Fahrers zum Wasen muss vor der Heimfahrt bezahlt werden.

„Die Idee hinter der Heimweghilfe ist, Unfälle durch Alkoholkonsum zu reduzieren. Und wenn der Abend unfallfrei verläuft, gönn' ich mir nach der Schicht daheim noch ein Volksfestbier“, sagt Fahrer und Vorsitzender Peter Erb.

Er ist seit der Gründung der Heimweghilfe 1965 mit dabei. Erb ist zehn Jahre lang Rallyes gefahren und stieß über den Motorsport-Club-Stuttgart zum gemeinnützigen Verein. Zum 170. Volksfest - zugleich der 50.Geburtstag der Heimweghilfe - will er das Projekt aber abgeben.

Der Reiz an der ehrenamtlichen Arbeit sind die Fahrzeuge

Rund 8700 Fahrten kann der Dienst vorweisen - unfallfrei. Finanzielle Unterstützung erhält der Verein von den vier Wasen-Brauereien, diversen Schaustellern und der Stadt Stuttgart. Bei jedem Kunden legt die Heimweghilfe Wert auf Anonymität. Lediglich eine Heimatadresse muss genannt und die Autoschlüssel übergeben werden. „Unter der Woche reichen meist fünf bis acht Fahrer, Ende der Woche können es schon mal bis zu 20 sein“, erläutert Erb. Die Fahrer, vom Studenten bis hin zum Fahrschullehrer, arbeiten alle ehrenamtlich. Zuvor müssen sie ein Fahrsicherheitstraining absolvieren. Lediglich 22 Euro erhalten sie als Auslagenersatz.

„Ums Geld geht es nicht, eher darum, die eigene Fahrpraxis zu erweitern. Und es ist ganz nett, einen Audi Q7 zu fahren oder einen Porsche“, sagt Peter Erb grinsend. Die Fahrer am runden Holztisch nicken zustimmend. „Unsere Kunden sind nicht die Betrunkenen“, betont Peter Erb vehement, „sondern verantwortungsbewusste Männer, die ihren Führerschein nicht riskieren wollen. Auch bekannte Politiker und Manager.“ Just in diesem Moment öffnet sich quietschend die Tür des „Wartesaals“ und der Wasen Hasi kommt hereingeschlürft. „Na, ist dir warm?“, scherzt Erb, als ein komplett verschwitzter Mann unter dem Kostüm zum Vorschein kommt. „Ich sterbe in dem Kostüm“, sagt der Mann und trinkt in wenigen Zügen eine Wasserflasche leer.

Unter dem Gelächter der anwesenden Männer verlässt er den Raum wieder. „Den armen Kerl sehen wir öfter, seit wir in den Räumen des Veranstalters sind. Früher waren wir in einem Zelt auf dem Wasen, dann in einem Container. Da waren wir dann zusätzlich noch Auskunft.“

Der Heimwegdienst als Stuttgarter Privileg

Beim Warten geben die Fahrer erinnerungsselig Anekdoten zum Besten: Über einen Kunden, der verzweifelt nach seinem Auto suchte - bis ihm in einem lichten Moment einfiel, dass er nicht mit dem Auto gekommen war. Über eine Truppe junger Erwachsene, der es gelang, einen Fahrer zu einem Disko-Zwischenstopp zu überreden. Oder über einen Fahrer, der seinen Kunden mit in die Wohnung begleitete, von der Ehefrau für den Saufkumpanen gehalten und hinausgeworfen wurde.

Scharmützel zwischen Fahrern und Kunden sind selten. „Von 100 Kunden ist vielleicht einer dabei, der schwierig ist. Wenn welche zu motzen anfangen, weil sie zu lange warten müssen, gibt's was zu trinken oder ein Stückle Zwetschgenkuchen, dann sind die wieder ruhig“, sagt Peter Erb augenzwinkernd. Per Handzettel an Parkplatzkunden macht der Verein auf sich aufmerksam. „Ich spreche oft mit Besuchern, die nichts von der Existenz des Vereines wissen – leider“, sagt Erb kopfschüttelnd.

Wer den Heimwegdienst in Zeiten von Mobiltelefon und dem Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln für einen Anachronismus hält, dem berichtet Erb mit glänzenden Augen von Stammkunden und dem Jahr, in dem der Dienst nicht stattfand und „ausdrücklich nachgefragt wurde“. Und dann ergänzt er: „Die Wiesn mag mehr Besucher haben, aber die Heimweghilfe hat nur der Wasen!“

Die kostenlose Heimweghilfe ist im Wasengebäude der in.Stuttgart Veranstaltungsgesellschaft neben dem Deutschen Roten Kreuz untergebracht und während der Festzeiten täglich ab 20 Uhr unter der Telefonnummer 0711/95 54 33 33 zu erreichen. Unter der Woche können Fahrer bis 1 Uhr, am Wochenende bis 24 Uhr in Anspruch genommen werden. Vorreservierungen sind möglich. Der gemeinnützige Verein ist immer auf der Suche nach begeisterten Fahrern. Informationen gibt es hier.