Wichtiges Ziel der Schlichtung war daher, durch Versachlichung und eine neue Form unmittelbarer Demokratie wieder ein Stück Glaubwürdigkeit und mehr Vertrauen für die Demokratie zurückzugewinnen. Die Schlichtung hat mit dem sachlichen Austausch von Argumenten unter gleichberechtigter Teilnahme von Bürgern aus der Zivilgesellschaft etwas nachgeholt, was schon vor vier oder fünf Jahren hätte stattfinden sollen. Die Schlichtung konnte jedoch diesen Fehler nur teilweise reparieren.

4. Unabhängig vom Ergebnis in der Sache war die Schlichtung, bevor sie heute zu Ende geht, ein Erfolg, wie die "Stuttgarter Zeitung" " schreibt.

Im Einzelnen:

4.1. Bürgerinitiativen aus der Zivilgesellschaft, Projektgegner wie Befürworter, Ministerpräsident, Minister, Bahnvorstände, Bürgermeister, Abgeordnete haben sich an einen Tisch gesetzt und in neun Schlichtungsrunden vom 22. Oktober 2010 bis 30. November die Argumente ausgetauscht. Das wäre noch vor zwei Monaten unvorstellbar gewesen.

4.2. In der Landtagssitzung vom 6. Oktober 2010 sagte Winfried Kretschmann an die Adresse der Landesregierung: "Glauben Sie mir, die Hauptquelle des Protestes ist, daß Sie den Protest gar nicht ernst nehmen und daß Sie denken, die Gegner hätten noch nicht einmal gute Argumente/' Diese Beschwerde müßte er heute nicht mehr vorbringen. Die Projektgegner haben bewiesen, daß sie für das von ihnen ausgeübte Demonstrationsrecht gute Gründe haben.

Dies wird von der anderen Seite anerkannt. Die Debatte wurde auf Augenhöhe geführt. Auch dies hat es in dieser Form noch nie gegeben. Die Bereitschaft der Landesregierung, hier mitzumachen, kann auch als "Gegenbeweis" zu der weit verbreiteten Meinung gelten, "die da oben machen was sie wollen".

4.3. Die Gleichberechtigung wurde auch dadurch sichergestellt, daß das Land Baden-Württemberg alle Ausgaben der Projektgegner für Gutachten und Sachverständige übernommen hat. Das Aktionsbündnis wurde dadurch, wie die FAZ schrieb, zum ebenbürtigen Kontrahenten in der Landespolitik aufgewertet. (Peter Conradi: "Die Schlichtung hat unser Gewicht in der Öffentlichkeit verändert. Es ist gelungen, so etwas wie ein faires Gegenüber herzustellen." Werner Wölfle: "Unsere Akzeptanz ist gestiegen, keiner kann mehr sagen, wir wären nur Protestler.")

4.4. Voraussetzung für das Gelingen der Schlichtung war die vom Ministerpräsidenten ausgegebene Parole: Nicht nur alle an den Tisch, sondern alle Fakten auf den Tisch. Dieser Faktencheck ist weitgehend gelungen - angesichts der Komplexität des Problems fast ein Wunder. Lediglich das Zurückhalten von Detailinformationen zur Projektfinanzierung wegen der Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen bei den Ausschreibungen blieb unbefriedigend. Durch die Einsetzung von drei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften wurde dieser Mangel jedoch in meinen Augen weitgehend behoben.

4.5. Einer der Hauptgründe für das Mißtrauen gegenüber der Politik ist die wachsende Undurchschaubarkeit der politischen und ökonomischen Vorgänge, wie sie sich in der zurückliegenden Finanzkrise gezeigt hat. Die totale Öffentlichkeit und Transparenz des Schlichtungsverfahrens sollte die Gegenposition zu praktizierter Geheimhaltung und Konservierung von Herrschaftswissen bilden. Die Schlichtungen wurden daher jeweils von Anfang bis zum Ende live im Fernsehen durch Phoenix und teilweise SWR und Flügel TV übertragen und ins Internet gestellt.

Gleichzeitig konnten interessierte Bürger im großen Saal des Stuttgarter Rathauses das Geschehen auf einer Großbildleinwand verfolgen. Die Schlichtung war daher auch moderne Aufklärung im besten Sinne von Immanuel Kant, nämlich die Menschen zu befähigen, sich aus "unverschuldeter Unmündigkeit" zu befreien und dadurch "jederzeit selbständig denken" zu können. Das Interesse war enorm und führte bei Phoenix und SWR zu bisher nicht erreichten Einschaltquoten, mit über einer Million Zuschauern.